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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Trauerfeier für Bundesminister a. D. Klaus Kinkel
Vor gut zehn Jahren ist Klaus Kinkel in einem Interview gefragt worden, was über ihn einmal in den Geschichtsbüchern stehen solle. Diese Frage, die bis heute viele in Berlin interessiert.
Die Antwort von Klaus Kinkel war ganz typisch für ihn. Er sagte: „Ich würde begrüßen, wenn da mal drinsteht, der war Justizminister, der war BND-Chef, der war Außenminister in der und der Zeit, der hat das und das gemacht und mitgestaltet und hat sich Mühe gegeben, seine Ämter auszufüllen. Punkt. Aus. Schluss. Ich will da keine Verherrlichungen.“
Das heißt: keine Geschichtsbuchverherrlichung. Wenn man sich aber anschaut, was Klaus Kinkel über Jahrzehnte für unser Land getan und geleistet hat, wie er es geprägt hat, als Vizekanzler, Außen- und Justizminister, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Partei- und Fraktionsvorsitzender - dann ist das gar nicht so einfach.
Vor allem aber hat er seine Ämter und seine Mitmenschen durch seine Menschlichkeit geprägt. „Ämter prägen Menschen“, sagt man landläufig. Klaus Kinkel hat bewiesen, dass auch das Gegenteil gilt.
In den Tagen nach seinem Tod war das deutlich zu spüren im Auswärtigen Amt. Obwohl Klaus Kinkels Zeit dort inzwischen über zwanzig Jahre zurückliegt, ist die Erinnerung an ihn dort lebendig. Aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn – noch so ein Sprichwort, das man für Klaus Kinkel abwandeln muss.
Dank all der Geschichten, die mir die Kolleginnen und Kollegen in den letzten Tagen über Klaus Kinkel erzählt haben, entsteht das Bild eines Mannes, der zuerst Kollege war und dann Minister, zuerst Mensch und dann erst Politiker.
Als sein sozusagen „doppelter Nachfolger“ - erst als Justiz- und dann als Außenminister - durfte auch ich Klaus Kinkel so erleben. In besonderer Erinnerung geblieben ist mir eines unserer Treffen im Justizministerium, vor ein paar Jahren, als er mir von den Verhandlungen erzählte, die er 1989 mit den hungerstreikenden RAF-Terroristen geführt hatte.
Und er sagte mir einen Satz, den ich nicht vergessen habe: „Ich wollte sie verstehen, um sie als Menschen für die Gesellschaft zurückzugewinnen.“
Dieser Satz sagt viel darüber, was Klaus Kinkel ausmachte.
Er wollte verstehen und wer verstehen will, muss zuhören können.
Als Außenminister brachte ihm das große Sympathien ein - gerade auch bei kleineren Partnern und vor allen Dingen bei unseren Nachbarn in Mittel- und Osteuropa.
Für ihn als überzeugten, kämpferischen Europäer stand dabei völlig außer Frage, dass das vereinte Europa nicht an Oder und Neiße enden durfte.
Einen geschlossenen Club der Westeuropäer lehnte er genauso ab, wie jede Art von deutschem Vormachtstreben. Mit seinem unzweideutigen Bekenntnis zu einem großen, vereinten Europa half er auch, die Skepsis aufzulösen, mit der das wiedervereinigte Deutschland noch von vielen beäugt wurde. Klaus Kinkel wurde zum Vertrauensstifter.
Für ihn war klar: Deutschland, das seine friedliche Wiedervereinigung dem geeinten Europa und der Einbindung in internationale Strukturen verdankte, muss dem Frieden in der Welt dienen. Deutlicher und früher als alle anderen sprach er aus, was das bedeutet. „Als Volk von 80 Millionen, als wirtschaftsstärkstes Land in der Mitte Europas tragen wir, ob uns das passt oder nicht, eine besondere, teilweise neue Verantwortung. Hierauf müssen wir unser außenpolitisches Handeln in ganzer Breite einstellen.“. Das schrieb er vor 25 Jahren und das ist nach wie vor aktuell.
Wie visionär dieser Ruf nach mehr internationaler Verantwortung war, das wird spätestens beim Blick in unsere heutige „Welt in Unordnung“ deutlich.
Klaus Kinkel richtete die gesamtdeutsche Außenpolitik auf diese neue Verantwortung aus:
- In seine Zeit als Außenminister fallen die ersten Auslandseinsätze der Bundeswehr. Die Grundsatzentscheidung aus Karlsruhe zur Verfassungsmäßigkeit solcher Einsätze verstand er als Ermutigung für seinen Kurs – auch gegen innenpolitische Widerstände.
- Er baute das Auswärtige Amt für die neuen Aufgaben um, stärkte die Außenwirtschaftspolitik und gründete die Abteilung für Vereinte Nationen und globale Fragen.
- Das Versagen der Weltgemeinschaft, die Völkermorde auf dem Balkan und in Ruanda zu verhindern, schmerzten ihn sehr– und das bis an sein Lebensende. Er nahm seine Erschütterung über die Hilflosigkeit der internationalen Politik aber zum Anlass, um als einer der ersten für den Aufbau einer internationalen Strafgerichtsbarkeit zu kämpfen. Für ihn war das nicht zuletzt auch eine Antwort auf die schrecklichen Verirrungen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Klaus Kinkel hat mir einmal erzählt, wie sehr ihn als junger Jurist die Auschwitz-Prozesse beeindruckt und geprägt haben. Und so habe ich mich auch nicht gewundert, als ich im letzten Jahr bei meinem Besuch in Auschwitz erfuhr, dass der letzte deutsche Außenminister, der dort vor mir gewesen ist, Klaus Kinkel hieß.
Er war ein Mann mit Haltung, mit klarem Kompass – gespeist auch aus einem tiefen Gespür für die Verantwortung, die sich aus Deutschlands Geschichte ergibt. Gerade deshalb vermochte er, das wiedervereinigte Deutschland in Europa und in der Welt neu zu verorten. Heute wissen wir: auf seinen Kompass war Verlass.
Meine Damen und Herren,
das bringt mich zum zweiten Teil des Satzes, den Klaus Kinkel mir mit Blick auf die
RAF-Terroristen gesagt hat. Er wollte sie als Menschen zurückgewinnen für die Gesellschaft. Und ja, das konnte er - Menschen gewinnen.
Er, der Berufspolitiker wider Willen, begegnete allem Aufheben um seine Person mit großem Argwohn. Das strikte protokollarische Korsett empfand er eher als Zwangsjacke. Pomp und Selbstvermarktung waren ihm fremd, ja geradezu suspekt.
Politiker-Sprechblasen gab es aus seinem Mund nicht zu hören. Als „Klarsprecher“ hat er bei seinen Diplomaten manchen Schweißausbruch verursacht. Sie nahmen es ihm nicht krumm. Er konnte mit Menschen – das zählt und das zählte vor allen Dingen in der Arbeit mit ihm.
„Mensch“ fing für ihn dabei übrigens nie erst bei den oberen Besoldungsgruppen an. Legendär sind im AA die Geschichten, wie der Minister oft spät abends oder nachts selbst zum Telefonhörer griff, um sich danach zu erkundigen, wie es Kollege X oder Kollegin Y auf einem Krisenposten ging. „Mensch, Bub, pass‘ auf Dich auf!“ – lautete dann schon mal die telefonische „Ministerweisung“ an den jungen Attaché in Kigali.
Die Kolleginnen und Kollegen im AA haben das nie vergessen. Geradlinig, integer, authentisch, frei von jedem Dünkel – so erinnern sie sich an ihren Minister Klaus Kinkel. Und darin liegt immer Anerkennung und Wehmut.
Dass wir Klaus Kinkel heute so vermissen, hat vielleicht auch damit zu tun, wie sehr ihn diese Eigenschaften absetzen von vielen, die heute politische Verantwortung tragen.
Meine Damen und Herren,
mit Klaus Kinkel hat unser Land einen aufrechten Kämpfer für ein weltoffenes Deutschland verloren, einen großen Europäer, einen hoch angesehenen Staatsmann und einen Fürsprecher unseres Landes in der ganzen Welt.
Ich bin sicher: All das wird eines Tages auch in den Geschichtsbüchern stehen. Der wichtigste Satz aber wahrscheinlich nicht: Klaus Kinkel war ein feiner Kerl.
Und deshalb, liebe Frau Kinkel, sind Sie in Ihrer Trauer nicht allein.