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„Wir sprechen wieder mit einer Stimme“

26.04.2021 - Interview

Außenminister Heiko Maas im Interview mit t-online zu den transatlantischen Beziehungen.

Herr Maas, unser letztes Interview hatten wir am Ende von Donald Trumps Amtszeit geführt, damals erhofften Sie sich von einem neuen US-Präsidenten Joe Biden eine Normalisierung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Sind die Beziehungen jetzt normal?

Nein, sie sind hervorragend. Joe Biden hat Wort gehalten: „America is back“. Das ist mehr als nur ein Slogan, wir erleben das jeden Tag ganz konkret in der Außenpolitik. Bei allen großen politischen Linien sprechen wir wieder mit einer Stimme – von der Reaktion auf russische Provokationen über das Einstehen für Menschenrechte weltweit bis hin zum globalen Kampf gegen den Klimawandel. Mit Tony Blinken, dem neuen Außenminister, habe ich gefühlt schon mehr gesprochen als mit seinem Vorgänger während seiner ganzen Amtszeit. Und es sind aufrichtige und konstruktive Gespräche – auch dann, wenn wir mal nicht einer Meinung sind.

Was war aus deutscher Sicht die wichtigste Entscheidung in den ersten 100 Tagen von Bidens Präsidentschaft?

Die Rückkehr der USA in das Pariser Klimaabkommen. Wir haben jetzt endlich wieder eine US-Regierung, die im Kampf gegen den Klimawandel vorangeht. Mit John Kerry wurde eine weltweit respektierte Persönlichkeit zum Klima-Sonderbotschafter ernannt. Und der virtuelle Klimagipfel, den die USA gerade ausgerichtet haben, hat schon erste konkrete Ergebnisse eingebracht: Mehrere Staaten haben sich ambitioniertere Emissionsziele gesetzt – auch wir als EU.

Unter Präsident Biden hat sich der diplomatische Ton verbessert. Aber mal abgesehen von der Klimapolitik, wo sehen Sie echte inhaltliche Unterschiede zur Trump-Administration?

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll: Ganz aktuell führen wir intensivste Verhandlungen über eine Rückkehr der USA in das Atomabkommen mit dem Iran. Aber die Rückbesinnung der USA auf den Multilateralismus, auf Allianzen und Partner, zieht sich quer durch alle außenpolitischen Bereiche: Der Beitritt der USA zur internationalen Impfallianz COVAX, die Verlängerung des New Start-Abrüstungsvertrages mit Russland - das alles sind handfeste Schritte, die auch im deutschen und europäischen Interesse sind.

Viele in Deutschland haben sich von Herrn Biden ein Ende der Trumpschen „America-First“-Politik erhofft. De facto verhält sich die neue US-Regierung ebenfalls protektionistisch und liefert zum Beispiel keine Corona-Impfstoffe nach Europa. Haben wir Deutschen von der neuen US-Regierung zu viel erwartet?

Das glaube ich nicht. Dass unsere Interessen auch jetzt nicht immer völlig deckungsgleich sind, ist doch klar. Aber der Zungenschlag ist ein völlig anderer als „America First“. Das gilt auch bei den Impfstoffen. Die Kooperation zwischen Biontech und dem US-Partner Pfizer ist eine absolute Erfolgsgeschichte. Und es ist zwar richtig, dass Europa viele Impfdosen exportiert, die USA hingegen nicht. Aber die USA liefern wichtige Vorprodukte in die EU. Und nochmal: Die Biden-Regierung ist auch der Impfplattform COVAX beigetreten, die bereits fast 120 ärmere Länder mit Impfstoffen beliefert hat. Die USA sind dort jetzt der größte Geber. Deutschland ist jetzt auf Platz 2.

Unter Joe Biden nehmen die USA wieder eine globale ordnungspolitische Rolle ein, was die Konflikte mit Russland und China verschärft. Erwartet die US-Regierung, dass Deutschland nun im außenpolitischen Fahrwasser der USA mitschwimmt und seine Vermittlerposition zwischen den Großmächten aufgibt?

China ist und bleibt die absolute Priorität der amerikanischen Außenpolitik. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die Partner. Aber die Biden-Regierung setzt dabei nicht auf Erpressung, sondern auf Kooperation. Die Sichtweise auf China hat sich ohnehin angenähert. Die Biden-Regierung hat eine Beschreibung übernommen, die wir in der EU schon länger verwenden: China ist gleichzeitig Partner, Wettbewerber und Systemrivale. Wir brauchen einerseits Zusammenarbeit bei Themen wie Klima oder der Pandemiebekämpfung, für die es nur globale Lösungen geben kann. Gleichzeitig müssen wir China gemeinsam die Stirn bieten, wenn es um schwere Menschenrechtsverletzungen wie in Xinjiang und die Entwicklungen in Hongkong geht. Und das tun wir auch, wie zuletzt im März mit unseren koordinierten Sanktionen gegen chinesische Offizielle in Xinjiang.

Auch Joe Biden droht Deutschland wegen Nord Stream 2 mit Sanktionen. Wieso beschädigt die Bundesregierung mit ihrem Festhalten an der Ostsee-Pipeline den Aussöhnungsprozess mit den USA, obwohl das Projekt für die deutsche Gasversorgung gar nicht notwendig ist?

Unsere Einschätzung ist weiterhin, dass Nord Stream 2 energiepolitisch sinnvoll ist. Natürlich kann man das Projekt nicht unabhängig vom Verhalten Russlands betrachten. Nur wird Nord Stream 2 immer mehr zu einem Allheilmittel verklärt, mit dem man Russland zur Räson bringen könnte. Das geht an der Realität vorbei, vor allem wenn gleichzeitig Europa weiterhin russisches Gas über die Ukraine und die Türkei bezieht und die USA im großen Stil Öl aus Russland kaufen.

Die USA und die Nato haben das Ende des Afghanistan-Einsatzes eingeläutet, die Bundeswehr will ebenfalls abziehen. Wann wird der letzte deutsche Soldat Afghanistan verlassen haben?

In der NATO haben uns gemeinsam auf einen geordneten Abzug bis September geeinigt. Dieser Beschluss ist die Grundlage für die Planungen der Bundeswehr. An welchem Tag genau der Abzug abgeschlossen sein wird, hängt von vielen Faktoren ab. Dazu steht die Bundeswehr in engem Kontakt zu unseren NATO-Partnern und natürlich der afghanischen Regierung und Armee. Unsere oberste Priorität ist es, zu jedem Zeitpunkt die Sicherheit aller Soldatinnen und Soldaten sowie des zivilen Personals zu gewährleisten. Daran richtet die Bundeswehr ihre Planungen aus.

Die Taliban werden vermutlich in das Machtvakuum nach dem westlichen Abzug vorstoßen. Nimmt Deutschland in Kauf, dass nach fast 20 Jahren Aufbauarbeit die Islamisten wieder erstarken und Frauen, Säkulare, Minderheiten diskriminieren?

Diese Gefahr will ich nicht kleinreden. Aber der militärische Abzug bedeutet natürlich nicht das Ende unseres Engagements insgesamt. Deutschland ist nicht nur zweitgrößter Truppensteller, sondern auch zweitgrößter ziviler Geber. Wir wollen Afghanistan weiter mit Entwicklungszusammenarbeit helfen. Und wir werden den innerafghanische Friedensprozess weiter durch unsere diplomatischen Bemühungen unterstützen. Natürlich sind diese Verhandlungen nach Jahrzehnten des Konflikts langwierig und schmerzhaft. Da gibt es keine Abkürzungen.

Wann besuchen Sie Ihren Kollegen Antony Blinken in Washington?

Sobald es die Umstände erlauben. Wir sind in regem Kontakt und haben uns kürzlich erst in Brüssel getroffen. In nicht allzu ferner Zukunft steht dann sicher auch ein Besuch in Washington auf dem Programm.

Interview: Florian Harms
t-online.de

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