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„Wir dürfen nie und nirgendwo wegschauen“

20.03.2019 - Interview

Interview mit Außenminister Heiko Maas, erschienen u.a. in der Südwest Presse. Themen: Klimaschutz, deutsche Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat, transatlantisches Verhältnis, #EuropeUnited, Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Herr Maas, Sie sind jetzt seit einem Jahr Außenminister, sind 300 000 Kilometer geflogen, haben Dutzende Länder bereist. Kommen Sie als Triathlet eigentlich überhaupt noch zum Trainieren?

Ich laufe und fahre auch noch Rad, wann immer der Terminkalender es zulässt. Aber für ein echtes Training für Triathlon-Wettbewerbe habe ich wegen der vielen Reisen keine Zeit mehr. Trotzdem mache ich weiter Sport. Das brauche ich auch, um den Kopf frei zu bekommen.

Es gibt Bilder von Ihnen im Sport-Outfit; zu einer SPD-Vorstandssitzung kamen Sie mal ganz leger in Lederjacke und Sneakers. Hinterher haben Sie gesagt, Ihre eigentliche Verkleidung sei Ihr Anzug. Empfinden Sie das immer noch so?

Ja. Ganz einfach weil ich zu Hause und in der Freizeit ganz bestimmt nicht so rumlaufe wie hier im Büro oder auf Auslandsreisen. Das soll auch so bleiben.

Und das aus dem Munde des Mannes, der 2016 zum bestangezogenen Mann Deutschlands gekürt wurde. Der australische Sänger Nick Cave hat mal erklärt, dass der Anzug, in dem er immer auftritt, für ihn Arbeitskleidung und Rüstung sei. Können Sie das nachempfinden?

Nick Cave ist einer der besten Sänger, die es überhaupt gibt. Demnächst ist er übrigens zu einem Konzert in Berlin. Es war nach wenigen Minuten ausverkauft. Mal sehen, ob ich es dorthin schaffe. Das hängt davon ab, wo ich dann bin.

Sie sind Nick-Cave-Fan?

Schon ewig, seit der Zeit, als er mit Blixa Bargeld und den Bad Seeds aufgetreten ist. “The Boatman’s Call” ist eine tolle Platte. Seine Konzerte sind jedes mal ein Ereignis, ich habe es oft erlebt.

Und? Was halten Sie von seinem Anzug-Ausspruch?

Also, eine Rüstung ist der Anzug für mich sicher nicht. Ich fühle mich auch nicht unwohl darin. In meinem Amt einen Anzug zu tragen, hat auch etwas mit Respekt zu tun. Selbst in Ländern, in denen es etwa sehr heiß ist, gibt es die berechtigte Erwartung, dass man den Gastgebern gegenüber genauso auftritt wie im Weißen Haus oder im Kreml. Umgekehrt würde ich das übrigens für mich nicht in Anspruch nehmen. Wer mich besucht, braucht nicht zwingend in Anzug und Krawatte zu erscheinen.

Sie sind sehr sportlich, Sie sind schlank, Sie machen sich Gedanken über Ihr Äußeres, so wie auch Emmanuel Macron, Christian Lindner oder Justin Trudeau. Sehen Sie sich als Vertreter dieses neuen Politikertyps?

Über solche Kategorien mache ich mir keine Gedanken. Ich bin einfach, wie ich bin. Der Sonntagabend mit der Lederjacke war im Übrigen auch nicht der erste SPD-Termin, bei dem ich nicht mit Schirm, Charme und Melone aufgelaufen bin. Meine Kleidung mag jeder finden, wie er möchte. Was ich mich allerding schon frage ist, ob es nicht deutlich Wichtigeres zu diskutieren gibt.

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Zukunft ist ein gutes Stichwort. Jeden Freitag gehen Schüler unter dem Stichwort “Fridays for Future” auf die Straße, um für Klimaschutz zu demonstrieren. Wären Sie dabei, wenn Sie noch Schüler wären?

Ich war als Schüler auf vielen Demonstrationen. Es könnte durchaus sein, dass ich auch an dieser teilgenommen hätte.

Die Schulstreiks finden ja weltweit statt. Ist das ein Thema, das Sie auch mit Ihren Kollegen besprechen?

Ja, natürlich. Gerade in den vergangen Tagen etwa mit der schwedischen Außenministerin. Und: Wir müssen auch im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen viel mehr über den Klimawandel reden. Der Klimawandel wird weltweit immer mehr zur Gefahr für Frieden und Sicherheit. Deswegen: Das Thema Klimawandel muss ganz oben auf die Agenda des Sicherheitsrats. Während unserer Mitgliedschaft werden wir uns dafür stark machen.

Seit Jahresbeginn sitzt Deutschland als nichtständiges Mitglied für zwei Jahre im UN-Sicherheitsrat, im April hat es für einen Monat den Vorsitz inne. Was können Sie da erreichen?

Vier Wochen Sicherheitsratsvorsitz werden nicht dazu führen, dass wir alles durchsetzen können, was wir gern hätten. Aber: Wir können die Prioritäten definieren, indem wir Themen auf die Tagesordnung setzen. Neben dem Klimawandel liegen uns vor allem zwei weitere am Herzen. Zum einen das Thema Abrüstung. Nach der Aufkündigung des INF-Vertrages gibt es Gesprächs- und Handlungsbedarf, und zwar nicht nur, was Atomwaffen angeht, sondern auch über neue moderne Waffensysteme: autonome Waffen, Cyberwaffen, Killer Roboter. Wir haben viel zu lange das Thema Abrüstung nicht auf der internationalen Tagesordnung gehabt, und das wollen wir ändern. Ein anderes Thema, was uns sehr wichtig ist, ist die Rolle von Frauen in Konflikten.

In welcher Hinsicht?

Frauen gehören zu den ersten Leidtragenden in Krisen und Konflikten. Vergewaltigungen sind ein grausames Mittel der Kriegsführung. Das ist schlicht unerträglich. Ich war gerade in Sierra Leone, dort hat der Präsident vor einigen Wochen wegen der ausufernden sexualisierten Gewalt gegen Frauen den Notstand ausgerufen. Wir müssen Frauen darüber hinaus aber auch viel mehr einbinden, um Krisen zu beenden. Je gleichberechtigter die Rolle von Frauen in politischen Konflikten desto größer die Chance auf Frieden.

Wenn man die Deutschen nach ihren größten Ängsten fragt, dann taucht inzwischen immer häufiger mit großem Abstand einer auf: Donald Trump. Sehen Sie das auch so?

Nein. Dass vielen Menschen diesen Eindruck gewonnen haben ist ein erschreckender Befund. Es ist nachvollziehbar, dass viele Entscheidungen von Donald Trump die Deutschen irritieren. In der Außenpolitik dürfen wir allerdings nie eine Person gleichsetzen mit einem ganzen Land. Die USA sind weit mehr als die Tweets aus dem Weißen Haus. Uns sollte auch ganz klar sein: Wir brauchen die Vereinigten Staaten. Nur mit ihnen gemeinsam können wir unsere Werte – Demokratie, Freiheit, Menschenwürde – in allen Systemkonkurrenzen durchsetzen, die es weltweit gibt.

Wenn der US-Botschafter in Deutschland nun androht, die Zusammenarbeit der USA mit den deutschen Geheimdiensten wegen einer möglichen Beteiligung der Chinesen am Aufbau des deutschen 5G-Mobilfunknetzes einzustellen, sind elementare Sicherheitsinteressen Deutschlands bedroht. Kann sich die Bundesregierung das gefallen lassen? Das ist doch Erpressung.

Deutschland ist niemals erpressbar, egal um was oder wen es geht. Die Frage, ob der chinesische Konzern Huawei am Aufbau des 5G-Netzes beteiligt wird, beraten wir schon seit Wochen sehr intensiv in der Bundesregierung. Bei einer solchen Infrastruktur, die viele Bereiche unseres Lebens prägen wird, sind sicherheitspolitische Aspekte extrem wichtig und da dürfen wir keine faulen Kompromisse machen. Dafür brauchen wir keine Beratung, von wem auch immer. Die Entscheidungen werden wir autonom treffen.

Gibt es Punkte, von denen Sie denken, dass Donald Trump Recht hat?

Wir haben nach wie vor sehr viele gemeinsame Interessen mit den USA. Einzelne Konflikte gibt es oft nicht über die Ziele, sondern über die Wege, wie man sie erreicht. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Lösung der großen Zukunftsfragen – Klimawandel, Digitalisierung oder Migration – nur gelingen kann, wenn wir international besser zusammen arbeiten. Unsere Antwort auf ‚Russia first‘, ‚China first‘ oder ‚America first‘ kann nur Europe United sein.

Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie gesagt, dass nicht SPD-Übervater Willy Brandt der Anlass für Sie war, in die Politik zu gehen, sondern Auschwitz. Wie zeigt sich das in Ihrer aktiven Politik?

Meine Lehre aus der deutschen Geschichte ist, dass wir nie und nirgendwo wegschauen dürfen. Der Nationalsozialismus und der Holocaust sind auch deshalb möglich gewesen, weil viel zu viele Menschen weggeschaut haben. Und das dürfen wir nie wieder tun. Wir dürfen nicht schweigen, wenn uns Rassismus, Antisemitismus und Extremismus im Alltag begegnen - egal, ob im Bus, auf dem Fußballplatz oder auf der Straße. All das hat etwas mit Verantwortung zu tun, auch international. Wenn wir uns dem neuen Nationalismus nicht entschieden entgegen stellen, müssen wir uns die Frage stellen, wie viel Verantwortung wir selber dafür tragen.

Heißt Verantwortung auch, militärisch stärker tätig zu werden? Lange Jahre war ja die deutsche Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust, sich nicht militärisch in Konflikte hineinziehen zu lassen.

Die deutsche Außenpolitik tut gut daran, nicht mit einem erhobenen Zeigefinger aufzutreten, sondern mit einer ausgestreckten Hand. Aber diese ausgestreckte Hand heißt auch immer, Verantwortung zu übernehmen, als ultima ratio auch militärisch. Und das tun wir: Deutschland ist einer der größten europäischen Truppensteller und der zweitgrößte Zahler der UN. Auf meinen Reisen erlebe ich, dass das Vertrauen und die Erwartungen, die man in Deutschland setzt, gewachsen ist – weil wir als verlässlicher Partner angesehen werden, wenn es darum geht, Europa zusammen zu halten und multilaterale Zusammenarbeit zu verteidigen.

Interview: Stefan Kegel und Guido Bohsem

www.swp.de

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