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Idlib: „Angriffe müssen ein Ende haben“

13.02.2020 - Interview

Außenminister Heiko Maas im Interview mit der Süddeutschen Zeitung zur am Wochenende stattfindenden Münchner Sicherheitskonferenz.

Herr Minister, haben Sie sich schon umgehört - kann jemand einspringen für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr?

Nein, das wird nicht nötig werden. Ich habe allerdings auch noch niemanden getroffen im Ausland, der sich über die Entwicklung in Deutschland in den letzten Tagen gefreut hat. Im Gegenteil, die Erwartungen an uns sind groß - Libyen, der nächste Normandie-Gipfel und natürlich die Ratspräsidentschaft. Da geht es etwa um den EU-Haushalt für die kommenden Jahre oder den Brexit. In vielen Feldern haben wir eine führende Rolle. Die Botschaft an uns ist klar: Wir brauchen Euch, gerade jetzt.

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Diese Legislaturperiode ist geprägt von enormen innenpolitischen Problemen: die schwierige Koalitionsbildung, die Konflikte um Migration und Sozialpolitik, die Führungswechsel bei SPD und nun bei der CDU. Gleichzeitig besteht ein enormer Handlungsdruck von außen. Kann die Regierung dem noch gerecht werden?

Ich treffe überall in der Welt Leute, die in ihren eigenen Ländern Veränderungsprozesse erleben. Die lächeln über unsere Probleme nur müde. Wir sollten nicht so tun, als ob in Deutschland die Welt zusammenbricht. Es sind sicher in dieser Legislatur Fehler gemacht worden, aber es gibt auch große Fortschritte. Wir haben sehr viel auf den Weg gebracht. Das sagen ja nicht nur wir, das sagen auch Studien, etwa die der unabhängigen Bertelsmann-Stiftung.

Überall lösen sich Ordnungsmodelle auf, wichtigste Bündnispartner werden unberechenbar, die EU steht unter Druck, Russland gebiert sich aggressiv, die Rivalität zwischen China und den USA nimmt zu. Reichen die Werkzeuge der deutschen Außenpolitik noch aus, da mitzuhalten?

Unsere Methoden sind die einzig sinnvollen, um mit diesen Krisen umzugehen. Wer disruptive Politik betreibt, mag in der öffentlichen Meinung kurzfristig Punkte sammeln. Das wird als interessant und aufregend empfunden. Aber: Wir müssen mit unserer Außenpolitik der disruptiven Realität etwas entgegensetzen.

Nachhaltigkeit, Regeln, internationale Organisationen und Multilateralismus sind mittel- und langfristig der einzige Weg, unseren Herausforderungen zu begegnen: der Digitalisierung, dem Klimawandel, der Migration. Ein Modell Trump ist nicht dazu geeignet, die großen globalen Fragen und Krisen in den Griff zu bekommen.

Nehmen wir Libyen: Die Wirkung der Berliner Konferenz scheint verpufft. Ist bisher die Lieferung einer einzigen Waffe verhindert worden?

Niemand war so naiv, zu behaupten, dass die Bürgerkriegsparteien sich am Montag nach der Konferenz nach jahrelangen Kämpfen sofort in glühenden Pazifisten verwandeln. Wir haben immer gesagt: Das ist ein Prozess, der gerade erst beginnt. Jetzt haben etwa die Militärs zum ersten Mal direkt miteinander gesprochen. Wir versuchen, eine Resolution des UN-Sicherheitsrates auf den Weg zu bringen. Am Sonntag haben wir das erste Treffen mit allen Außenministern des Berliner Prozesses. Das sind alles Fortschritte auf einem sehr langen Weg.

Ist es nicht an der Zeit, diejenigen zu benennen, die das Waffenembargo brechen?

Wir wollen erreichen, dass der Sicherheitsrat und das Sanktionskomitee diejenigen benennt, die gegen das Embargo verstoßen. Gemeinsam mit den Vereinten Nationen wollen wir die Ergebnisse der Berliner Konferenz absichern. Dazu gehört auch die Verpflichtung auf das Waffenembargo. Wer das Waffenembargo unterläuft, dem muss klar sein, dass das nicht ohne Folgen bleiben wird.

Nicht mal in der EU gibt es Einigkeit über die Mission Sophia, die ein Waffenembargo überwachen könnte.

Einige haben leider Schwierigkeiten mit einer Überwachung des Embargos durch Schiffe. Aber: Eine neue Mission könnte auch mit einer Luftbeobachtung beginnen. So könnten wir Stück für Stück eine Operation zustande bringen, die alle Zugänge nach Libyen - Wasser, Luft und Landwege - kontrolliert. Niemand soll ungesehen Waffen nach Libyen bringen können.

Kommen nicht die meisten Waffen per Frachtflugzeug?

Premier Sarradsch wird vor allem über das Meer beliefert, General Haftar auf dem Landweg und durch die Luft. Wir müssen alle Wege gleichermaßen kontrollieren.

Und wie?

Man kann aus der Luft Lagebilder erstellen.

Überwachen allein bringt doch nichts. Drohen auch Sanktionen?

Es gibt eine Reihe von Instrumenten, die wir uns vorstellen können. Mit unseren europäischen Partnern tauschen wir uns dazu intensiv aus.

Wenn Sie die Bilder aus dem syrischen Idlib sehen, wie fühlt sich die Machtlosigkeit eines deutschen Außenministers an?

Das löst vor allem Wut und Ärger in mir aus. Diese Angriffe müssen ein Ende haben. Die Situation in Idlib spitzt sich gerade noch einmal dramatisch zu und nimmt das Ausmaß einer humanitären Katastrophe an.

Haben Sie Ihrem russischen Amtskollegen klar gemacht, dass es sich da um Kriegsverbrechen handelt, die auch von Russland begangen werden?

Selbstverständlich machen wir Russland gegenüber unsere Erwartungen sehr klar. Und dennoch ist es unerträglich, wie der Krieg weiter zu Lasten der Zivilbevölkerung tobt. Das ist auch der Grund dafür, dass wir weitere sieben Millionen Euro für ein UN-Programm für grenzüberschreitende humanitäre Hilfe bereit stellen.

Trägt die Präsenz der Türkei in Idlib zur Eskalation bei?

Es gab dort eine türkisch-russische Vereinbarung zur Deeskalation. Leider erleben wir derzeit eher das Gegenteil. Assad nimmt auf grausame Weise den Tod schutzloser Menschen in Kauf. Russland muss seinen Einfluss auf das Regime geltend machen. In einem türkisch-russischen Konflikt auf dem Rücken der Menschen in Syrien wird es nur Verlierer geben. Deswegen brauchen wir eine politische Lösung, mit der auch das türkische Engagement in Syrien der Vergangenheit angehört.

Fürchten Sie eine neue Flüchtlingswelle?

Wir tun alles, um Beiträge zur Deeskalation zu leisten und den Menschen vor Ort zu helfen. Die Flüchtlinge würden ja zunächst in der Türkei ankommen, wo bereits drei Millionen Flüchtlinge leben. Das würde die humanitäre Situation der Flüchtlinge dort noch einmal verschlechtern. Eine solche Zuspitzung müssen wir dringend versuchen zu verhindern.

Das irakische Parlament hat den Abzug ausländischer Truppen gefordert. Kann die Bundeswehr im Irak trotzdem weiter ausbilden?

Wir alle teilen das Interesse, das zu bewahren, was wir in den vergangenen Jahren im Kampf gegen den IS mühsam erreicht haben. Genauso klar ist auch: Wir werden unser Engagement im Irak nur mit Zustimmung der irakischen Regierung fortsetzen.

Die Bundeswehr kann bleiben, selbst wenn deutlich weniger US-Soldaten vor Ort sind?

Das wird davon abhängen, welche Teile der amerikanischen Truppen abgezogen werden. Bisher hören wir ja aus den USA, dass sie nicht zum Abzug bereit sind. Dass es allerdings insgesamt zu Veränderungen in der Mission kommen wird, halte ich für sehr wahrscheinlich.

Sehr ausgeprägt ist die Bereitschaft in ihrer Fraktion, die Mission fortzusetzen, doch ohnehin nicht?

Immerhin ist die Mission mit Zustimmung der SPD noch einmal verlängert worden, obwohl schon das vorausgegangene Mandat das letzte gewesen sein sollte. Das verdient Anerkennung. Das Mandat für die Tornado-Überwachungsflüge läuft noch bis zum 31. März. Wir sind in Gesprächen, ob möglicherweise italienischen Streitkräfte übernehmen. Das Ausbildungsmandat läuft bis Oktober.

Werden die Tornados auch dann abgezogen, wenn die Italiener nicht einspringen?

Das ist eine Entscheidung des Deutschen Bundestages. Ich kann mir derzeit allerdings nicht vorstellen, dass es nach zwei letztmaligen Verlängerungen eine weitere Verlängerung geben wird.

Es gibt Überlegungen, die Luftbetankung von Jordanien aus fortzusetzen? Stimmt die SPD dem zu?

Sollten italienische Streitkräfte nicht über die Kapazitäten für die Luftbetankung verfügen und die Übernahme des Mandats durch Italien daran hängen, sollten wir uns solchen Überlegungen nicht verschließen.

Grünen-Chef Robert Habeck hat kürzlich Donald Trump als Gegner bezeichnet. Ist er das?

Ich habe eine breitere Sicht auf das transatlantische Verhältnis. Natürlich nehmen wir wahr, dass der amerikanische Präsident ja schon Russland, China und die EU als Gegner bezeichnet hat. Aber: Wir sollten unseren Blick über den Atlantik nicht allein auf Donald Trump verengen. Eine strategische Bindung darf nicht davon abhängig gemacht werden, wer gerade im Weißen Haus sitzt. Unsere außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interessen sind deutlich langfristiger ausgerichtet. Wir haben ein Interesse daran, dass die Vereinigten Staaten, die unsere demokratischen Werte teilen, unser Partner bleiben.

Dennoch laufen die Interessen vielfach diametral auseinander.

Es war auch vorher nicht so, dass wir mit den Vereinigten Staaten immer einer Meinung gewesen wären. Unter Trump hat sich das nun verschärft. Im Einzelfall müssen wir ein gemeinsames europäisches Gegengewicht bilden und unseren Interessen folgen. Im Fall der Pipeline Nord Stream 2 etwa haben wir uns nicht davon abbringen lassen, das zu tun, was wir wirtschaftspolitisch für richtig halten. Wir haben klar gemacht, dass über europäische Energiepolitik in Europa entschieden wird.

Gibt es angesichts der neuen Großmächte-Rivalität zwischen den USA, China und Russland einen eigenständigen Weg für Deutschland?

Ja. Das muss ein europäischer Weg sein.

In einem Europa, das so uneinig ist?

Trotz aller Schwierigkeiten: Für mich gilt immer noch, was der frühere belgische Premierminister Paul-Henri Spaak gesagt hat. Es gibt in Europa nur zwei Arten von Ländern: Kleine Länder und Länder, die noch nicht gemerkt haben, dass sie klein sind. Mit Blick auf die Großmächtekonkurrenz bin ich mir mit Präsident Macron einig. Wenn wir außen- und wirtschaftspolitisch nicht eine gemeinsame Politik verfolgen, werden wir zum Spielball globaler Interessen und nicht mehr in der Lage sein, über unsere Zukunft zu entscheiden.

Macron geht noch einen Schritt weiter und fordert, Europa müsse sich selbst verteidigen können. Gehen Sie da mit?

Ja, Europa muss sich in Zukunft selbst verteidigen können. Unsere Zusammenarbeit in der NATO bleibt dabei wichtig.

Macron spricht wohl eher von einer Verteidigung notfalls ohne die Nato und die USA.

Es gibt im Moment ja durchaus auch militärische europäische Initiativen. In der Sahelzone sind sowohl die EU als auch Frankreich mit Missionen aktiv. Wir müssen aber immer auch präventive und zivile Komponenten für diese Konflikte mitdenken. Wenn es um Verantwortung geht, liegt der öffentliche Fokus viel zu oft nur auf dem Militärischen.

Ist das wirklich nur der öffentliche Fokus? Auch Ihr französischer Kollege Jean-Yves Le Drian fordert mehr militärisches Engagement Deutschlands im Sahel.

Darüber sind wir im Gespräch. Das Mali-Mandat wird verlängert und auch verändert werden müssen. Dabei wird es darum gehen, ob das Einsatzgebiet nur Mali sein wird, oder ob etwa Niger und Burkina Faso hinzu kommen. Deutschland ist derzeit an zehn internationalen Einsätzen beteiligt mit etwa 3500 Soldaten. Ich lasse mir nicht aufs Brot schmieren, dass wir uns militärisch überall raushalten.

Können Sie mit Macrons Begriff von der strategischen Autonomie leben?

Ja, aber auch das bezieht sich nicht nur auf das Militär. Wir brauchen genauso etwa eine digitale Souveränität. Im Moment gibt es in der digitalen Welt zwei Pole. Der eine ist amerikanisch. Das ist das profitmaximierende Modell, zu sehen an Unternehmen wie Facebook. Das andere ist das chinesische Modell, das auch einen repressiven Charakter hat. Beide Modelle stellen mich nicht zufrieden. In einer Welt, in der die Digitalisierung immer mehr Macht über uns haben wird, brauchen wir in Europa mehr eigene Kontrolle über unsere digitalen Ressourcen, vom Router bis zur Cloud. Das wird auch ein Thema unserer Ratspräsidentschaft sein.

Warum entscheidet die Bundesregierung beim Aufbau des 5G-Netzes dann nicht im Sinne europäischer Anbieter?

Warten Sie mal ab, was die Bundesregierung entscheidet.

Huawei wird ausgeschlossen?

Niemand kann einzelne Anbieter ausschließen, das können wir schon rechtlich nicht so einfach. Aber Sicherheitsgesichtspunkte müssen bei der Lizenzvergabe eine viel größere Bedeutung haben als bei 4G oder 3G. Alles was smart sein wird auf der Welt, vom Auto bis hin zu kritischer Infrastruktur, wird künftig über 5G abgewickelt. Unternehmen, die da beteiligt sind, müssen hohe Sicherheitsstandards erfüllen. Sonst ist das Risiko zu groß.

Deutschland lädt im September zum EU-China-Gipfel nach Leipzig. Was ist China? Partner, Konkurrent oder Gegner?

China ist Partner und Konkurrent.

Kein Gegner?

Außenpolitik muss immer zum Ziel haben, dass wir möglichst wenige Gegner haben. China ist unser wichtigster Handelspartner. China sitzt mit Vetorecht im UN-Sicherheitsrat. Wir brauchen China, um internationale Konflikte zu lösen. Aber wir müssen auch aussprechen, was nach unserer Auffassung nicht akzeptabel ist. Das haben wir in der Vergangenheit getan, als es um den Umgang mit den Uiguren und um Hongkong ging. Entscheidend wird sein, dass wir gegenüber China als Europäer geschlossen auftreten.

China hat im Kampf gegen den Coronavirus viel Zeit verloren. Müssen die Chinesen erkennen, dass ihr autoritäres System eben doch nicht überlegen ist?

Autoritäre Systeme sind demokratischen Systemen grundsätzlich nicht überlegen.

Interview: Daniel Brössler Stefan Kornelius

www.sueddeutsche.de/


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