Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

„Sollten die Taliban ein Kalifat errichten, wäre Schluss mit den internationalen Hilfsprogrammen.“

12.08.2021 - Interview

Außenminister Heiko Maas im Interview mit der Stuttgarter Zeitung.

Herr Maas, Sie sind seit dreieinhalb Jahren im Amt. Täuscht es, oder ist die Welt seitdem unruhiger geworden?

Das täuscht überhaupt nicht, das ist so. Schon mein Vorvorgänger Frank-Walter Steinmeier hat gesagt: „Die Welt ist aus den Fugen.“

In Afghanistan überschlagen sich die Ereignisse, nach Einschätzung von US-Geheimdiensten könnte die Hauptstadt Kabul schon bald, wenige Wochen nach dem Abzug der westlichen Truppen, an die Taliban fallen. War der Einsatz umsonst?

Nein, das glaube ich nicht. Es hat sich in diesen 20 Jahren in Afghanistan viel verändert. Angefangen vom gestiegenen Durchschnittseinkommen über die gewachsene allgemeine Lebenserwartung und die gesunkene Kindersterblichkeit bis hin zur Tatsache, dass Mädchen zur Schule gehen können - es hat Fortschritte gegeben. Sie müssen politisch verankert werden. Deshalb tun wir alles, um den Friedensprozess zu stärken. Wenn er misslingt, kann es sein, dass diese Fortschritte schnell wieder verschwinden.

Welche Einflussmöglichkeit hat der Westen, um die Lage zu stabilisieren?

Afghanistan wird ohne die finanzielle Unterstützung des Westens keine Zukunft haben. Wir beteiligen uns daran mit jährlich 430 Millionen Euro. Aber unsere Hilfe ist davon abhängig, ob es einen nachhaltigen Frieden gibt und dass die Errungenschaften der vergangenen 20 Jahre verankert werden. Sollten die Taliban ein Kalifat errichten, werden sie sich international abkoppeln, wird es keine diplomatische Anerkennung für solch einen Staat geben, und es wäre Schluss mit den internationalen Hilfsprogrammen. Das muss man ihnen sehr deutlich machen.

Bundesinnenminister Seehofer hat gerade die Abschiebung von Straftätern nach Afghanistan gestoppt. Wird das angesichts des Machtzuwachses der Taliban ein Dauerzustand sein?

Das wird von der Entwicklung vor Ort abhängen. Die afghanische Regierung hat uns gebeten, ein Moratorium für Rückführungen bis Ende Oktober zu vereinbaren. Um diesen Zeitraum geht es jetzt, dann wird man weitersehen. Die neue Bundesregierung wird dann unter Berücksichtigung der Lage entscheiden müssen, ob zumindest Rückführungsflüge von schweren Straftätern wieder aufgenommen werden können oder nicht.

Beruht der Sinneswandel des Innenministers auch auf einer neuen Lageeinschätzung Ihres Hauses?

Unser letzter Lagebericht von Ende Mai wird gerade aktualisiert. Und er wird bestätigen, dass die Lage im Land sehr ernst ist. Dazu waren wir in der Bundesregierung natürlich in den letzten Tagen schon in Gesprächen.

In Ihrer Partei gibt es verschiedene Strömungen, wenn es um die deutsche Außenpolitik geht. Das macht sich an Russland fest, aber auch beim Streit um die Anschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr. Welche Richtung wird sich da durchsetzen?

Aus der Erfahrung der letzten Jahre kann ich sagen, dass die Erwartungen, die von außen an Deutschland gerichtet werden, außerordentlich groß sind. Wenn es darum geht, dass Werte und internationales Recht beachtet werden, muss Deutschland in Europa und in den Vereinten Nationen Verantwortung übernehmen. Wir werden deshalb so geschätzt, weil wir nicht nur auf militärische Mittel setzen, sondern auf einen vernetzten Ansatz. Wer deutsches Engagement will, der wird damit auch immer diplomatisches und politisches Engagement einkaufen. Ich kenne keinen militärischen Konflikt, der nachhaltig ohne eine politische Lösung befriedet worden wäre.

Ihre erste Amtszeit neigt sich dem Ende zu. Was sollen die Menschen und die Geschichtsbücher mit diesen dreieinhalb Jahren Heiko Maas als Außenminister verbinden?

Die Zeit war international keine einfache. Erst hatten wir Donald Trump im Weißen Haus, dann kam das Coronavirus. Ich habe meine Politik an dieser Erkenntnis ausgerichtet: Unsere großen Herausforderungen wie Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel, Migration und auch die Pandemie haben eines gemeinsam: Grenzen spielen keine Rolle mehr, man braucht mehr internationale Zusammenarbeit. Wir haben die Allianz für Multilateralismus gegründet, der inzwischen mehr als 70 Länder beigetreten sind. Dafür haben wir unter schwierigen Rahmenbedingungen gekämpft.

[...]

Schlagworte

nach oben