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Nationales Statement von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Sitzung des VN-Sicherheitsrats “Supporting the Non-Proliferation Treaty ahead of the 2020 Review Conference”

02.04.2019 - Rede

Wir alle neigen dazu, Dinge erst dann zu vermissen, wenn sie nicht mehr da sind. Es gibt aber auch Dinge, bei denen dürfen wir nicht darauf warten, bis wir sie vermissen.

Eine solche Sache ist der Nichtverbreitungsvertrag. Stellen wir uns nur für einen Moment mal vor, es hätte ihn nicht gegeben.

Weit mehr Staaten als heute wären im Besitz von Atomwaffen.

Die Nuklearprogramme, die eine Reihe von Staaten noch nach Ende des Kalten Krieges unterhielten, wären nicht entschärft.

Das gegenseitige Misstrauen wäre um ein Vielfaches höher.

Kurzum: Unsere Welt wäre ein sehr viel unsicherer Ort. Am Beispiel des NVV wird deutlich, was der finnische Diplomat Martti Koskenniemi meint, wenn er vom Völkerrecht als “gentle civilizer of nations” spricht.

Ein solcher „Zivilisator“ ist übrigens auch die Internationale Atomenergieorganisation. Auch das zeigt sich, wenn wir die IAEO einmal wegdenken:

Ohne sie hätten wir keinen so hohen universellen Sicherungsstandard.

Wir hätten keine zivile Reaktortechnik, die in den meisten Ländern ohne Anreicherung und Wiederaufbereitung auskommt - ohne hochangereichertes Uran, ohne Plutonium.

300 abgeschlossene Sicherungsabkommen und Zusatzprotokolle, 1.500 installierte Kameras, 3.000 vor Ort durchgeführte Inspektionen, mehr als 1 Millionen ausgewerteter Dokumente – all das würde fehlen. Und damit würden Transparenz und Sicherheit fehlen – zum Schaden aller NVV-Staaten.

Auch bei der Umsetzung des Iranabkommens – ein Meilenstein der Nichtverbreitungsdiplomatie – spielt die IAEO eine unverzichtbare Rolle. Deshalb müssen wir alles daransetzen, dass die IAEO unabhängig und neutral arbeiten kann.

Das gilt übrigens auch mit Blick auf Nordkorea. Auch dort brauchen wir die Kapazitäten der IAEO zur Verifikation. Es ist schlicht nicht hinnehmbar, dass Nordkorea sich als erstes und einziges Land durch offene Verletzung des NVV als Atommacht etabliert. Dies würde der gesamten nuklearen Ordnung einen schweren Schlag versetzen.

Das Proliferationsrisiko, das von einem isolierten, nuklear gerüsteten Nordkorea ausgeht, wäre unkalkulierbar.

Aufrüstungsdynamiken würden angeheizt.

Und letztlich würde ein Staat belohnt, der sich wieder und wieder über Beschlüsse des Sicherheitsrates hinweggesetzt hat.

Nordkorea muss in einen glaubwürdigen Prozess der Denuklearisierung einsteigen. Das ist unsere Erwartung, auch als Vorsitz des Sanktionskomitees für Nordkorea.

Liebe Kollegen,

wenn wir den NVV und seine Universalität bewahren wollen, dann müssen wir das erhalten, was ihn im Kern ausmacht: Die Balance zwischen nuklearer Nichtverbreitung, friedlicher Nutzung nuklearer Technologien und dem Gebot zu nuklearer Abrüstung.

Um es konkret zu sagen: Zur Überprüfungskonferenz des NVV 2020 muss deutlich werden, dass auch Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrages weiter gilt. Auch die anerkannten Nuklearwaffenstaaten müssen abrüsten – das ist ihre Pflicht und das ist unsere Erwartung!

Und es ist nun höchste Zeit, einen Präsidenten für die Überprüfungskonferenz zu wählen.

Wir brauchen eine Roadmap, die uns den Weg zurück zur nuklearen Abrüstung weist. Drei konkrete Elemente möchte ich heute vorschlagen:

Erstens: Wir müssen Eskalationsrisiken abbauen. Wir brauchen:

  • mehr Transparenz in den nuklearen Arsenalen;
  • krisenfeste Kommunikationskanäle;
  • einen erneuerter Dialog der P5, die besondere nukleare Verantwortung tragen sowie

Zweitens: Wir müssen die technischen Grundlagen schaffen für eine atomwaffenfreie Welt. Der vielleicht wichtigste Schritt dahin ist glaubwürdige Verifikation. Damit hängen schwierige Fragen zusammen. Etwa: Wie können auch Nichtnuklearwaffenstaaten die Demontage eines nuklearen Sprengkopfes verifizieren, ohne selber Kenntnis vom Bauplan einer Atombombe zu erlangen? Darauf Antworten zu finden – dem dient eine Abrüstungsverifikationsübung, die wir im September zusammen mit Frankreich ausrichten. Dazu möchte ich Sie alle herzlich einladen!

Drittens: Wir müssen die Architektur der nuklearen Rüstungskontrolle stärken und ausbauen. Viel zu lange schon treten wir auf der Stelle. Lassen Sie uns mit Verhandlungen eines Vertrags beginnen, der der Herstellung von waffenfähigem Spaltmaterial ein Ende setzt. Unterschiedliche Ansichten zu einzelnen Aspekten eines künftigen Vertrags sollten wir während der Verhandlungen klären, sie sollten aber den Beginn der Verhandlungen nicht behindern.

Und lassen Sie uns dafür sorgen, dass der Atomteststoppvertrag endlich in Kraft tritt. Atomtests müssen Geschichte sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ob in Europa, Asien oder anderswo - wir können uns keine weiteren Erschütterungen der strategischen Stabilität leisten. Deshalb müssen wir einen so wichtigen, funktionierenden Vertrag wie New START erhalten. Er schafft nicht nur Sicherheit zwischen den USA und Russland. Er ist eine Säule der Sicherheit Europas und der globalen nuklearen Ordnung. Und er setzt eine Verpflichtung um, die sich direkt aus dem NVV ergibt.

Ich bin überzeugt: Weitere Reduzierungsschritte sind möglich- ohne Sicherheitseinbußen. Die USA und Russland könnten und sollten die Zahl ihrer Sprengköpfe und Trägersysteme weiter abbauen.

Meine Damen und Herren,

gerade in Zeiten sich verschärfender Gegensätze müssen wir die Errungenschaften bewahren, die sich bewährt haben. Der NVV ist eine solche universelle Errungenschaft, ein “gentle civilizer of nations”.

2020 müssen wir seine Zukunft sichern. Das wird unseren ganzen Einsatz erfordern. Aber unsere Sicherheit und der Frieden in der Welt sollten uns diesen Einsatz wert sein.

Vielen Dank!

[Die Rede wurde auf Englisch gehalten]

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