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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Konferenz “2020. Capturing Technology. Rethinking Arms Control”

06.11.2020 - Rede

(deutsche Übersetzung)

Vielen Dank – ich freue mich, Sie alle zu sehen. Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme an dieser Konferenz.

Rüstungskontrolle und die Bekämpfung der COVID-19-Pandemie haben etwas gemeinsam: Beides funktioniert nur, wenn sich alle an bestimmte Regeln und Beschränkungen halten.

Deshalb wende ich mich heute von zu Hause aus an Sie. Ich hatte kürzlich Kontakt zu einer infizierten Person, und den COVID-19-Regeln folgend bin ich nun in Quarantäne. Wie Sie wissen bin ich ein starker Befürworter der regelbasierten Ordnung. Diese wichtige Konferenz wollte ich aber nicht versäumen.

Meine Damen und Herren,

„Der Krieg ist ein Chamäleon“ erklärte der Militärtheoretiker Carl von Clausewitz. Er passt sich neuen Umständen fortwährend an. Und wegen politischem, gesellschaftlichem und technologischem Wandel, so schrieb Clausewitz, hat „jede Zeit ihre eigenen Kriege“.

Wie wir über Krieg in unserer Zeit denken, hat sich im Lauf des letzten Jahrzehnts beträchtlich gewandelt. In einer Welt des Umbruchs sind Kriege hybrid geworden, man kann sie schlechter vorhersagen und schwerer einhegen. Das Chamäleon hat seine Farbe geändert.

Diesen Wandel treiben zwei Entwicklungen an:

Erstens nimmt die geopolitische und militärische Rivalität zwischen Staaten zu.

Großmächte konkurrieren wieder um Vormachtstellung, was zum größten Rüstungswettlauf seit Ende des Kalten Krieges führen könnte.

Darüber hinaus beobachten wir zunehmend regionalen militärischen Wettstreit, etwa im Nahen und Mittleren Osten und im Indo-Pazifik.

Solche Entwicklungen untergraben Vertrauen, schaden der multilateralen Zusammenarbeit und destabilisieren die internationale Ordnung.

Sie haben zudem die nach dem Kalten Krieg begründete Rüstungskontrollarchitektur beschädigt - denken Sie nur an das Ende des INF-Vertrags oder den desolaten Zustand der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa.

Die zweite große Triebkraft des Wandels sind neue Technologien - das Thema unserer heutigen Konferenz.

  • Autonome Waffensysteme schüren die Angst vor „Killerrobotern“, die ohne menschliche Kontrolle Ziele angreifen.
  • Durch Cyber-Angriffe auf kritische Infrastruktur könnten ganze Länder lahmgelegt werden. Und während solche Angriffe nur schwer zuzuordnen wären, könnten Vergeltungsaktionen leicht unbeabsichtigte Konflikte hervorrufen.
  • Durch neue Raketentechnologien - insbesondere Hyperschallraketen - liegt die Reaktionszeit in Krisen heute quasi bei null. Dies könnte in Spannungsmomenten zu groben Fehleinschätzungen führen - mit verheerenden Konsequenzen für uns alle.

Meine Damen und Herren,

als politisch Verantwortliche müssen wir solche Szenarien verhindern.

Wenn der Krieg ein sich beständig wandelndes Chamäleon ist, dann müssen wir auch Rüstungskontrolle als Chamäleon betrachten. Wir müssen sie bewahren, stärken und an unsere neue Zeit anpassen.

Deutschland begrüßt daher die jüngsten Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland über die Verlängerung des New-START-Vertrags. Diese positive Dynamik muss auch nach den US-Wahlen weiterlaufen. Der Vertrag ist kein rein bilaterales Thema - er ist ein Garant für globale Sicherheit.

Darum rufe ich Washington und Moskau auf, endlich die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den New-START-Vertrag zu verlängern, bevor er in weniger als vier Monaten ausläuft.

Eine Verlängerung dieses Vertrags könnte auch den Weg für eine breiter angelegte Rüstungskontrollarchitektur ebnen, die Stabilität und Frieden im 21. Jahrhundert gewährleistet, indem nukleare Sprengköpfe - auch nichtstrategische - weiter reduziert werden. Deutschland steht bereit, eine solche Initiative zu unterstützen.

Auch China muss in diese Gespräche einbezogen werden. Als bedeutende Atom- und Militärmacht muss sich Peking verstärkt für Rüstungskontrolle, Transparenz und Risikominimierung einsetzen.

Die Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags im nächsten Jahr bietet eine Plattform für die Weiterentwicklung der nuklearen Abrüstung. Es bedarf mutiger Schritte seitens der P5. Und wir hoffen, dass die Vereinigten Staaten nach den US-Wahlen wieder ihre Rolle als starke Verfechter des NPT und der nuklearen Abrüstung spielen werden. Wir müssen unserem Ziel einer kernwaffenfreien Welt näherkommen.

Um dieses Ziel zu erreichen und im Interesse unser aller Sicherheit müssen wir regionale Proliferationskrisen beenden.

  • Zusammen mit der EU und unseren französischen und britischen Partnern haben wir hart dafür gearbeitet, während der letzten schwierigen Jahre das Nuklearabkommen mit Iran zu erhalten. Iran muss alle seine Verstöße gegen das Abkommen einstellen. Wir ermutigen Iran und die neue US-Regierung nachdrücklich, wieder zu Diplomatie zurückzukehren. Dies könnte zu einem breiteren Dialog über regionale Sicherheit und nukleare Nichtverbreitung im Nahen und Mittleren Osten führen.
  • Wir brauchen zudem die vollständige Einstellung des nordkoreanischen Atomprogramms. Wir unterstützen Verhandlungen mit Nordkorea unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung und Stärkung des Sanktionsregimes. Dieses ist von zentraler Bedeutung um Nordkorea an den Verhandlungstisch zurückzubringen.

Meine Damen und Herren,

Bei diesen Bemühungen für globale Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung kann und muss Europa eine wichtige Rolle spielen. Und wie die Anwesenheit von vier meiner europäischen Kolleginnen und Kollegen bei dieser Konferenz zeigt, sind wir dazu auch bereit.

Wir sind bereit, mit Ihnen allen an neuen Normen zur Stärkung der multilateralen Rüstungskontrolle zu arbeiten. Sie sind sogar schon Teil dieser Bemühungen:

  • Nach unserer ersten Konferenz zu neuen Technologien im vergangenen Jahr bringt die diesjährige Konferenz im hybriden Format 1.000 Fachleute aus aller Welt zusammen.
  • Die “Missile Dialogue Initiative”, die wir ebenfalls vergangenes Jahr ins Leben gerufen haben, hat sich zu einem Forum für Entscheidungsträger und Fachleute entwickelt, um den Herausforderungen für Frieden und Sicherheit in unserer Zeit zu begegnen.
  • In den Vereinten Nationen haben wir ein erstes Paket von Leitlinien mit ausgearbeitet, welche menschliche Verantwortlichkeit bei der Nutzung autonomer Waffen festschreiben.
  • Und mit unseren europäischen Partnern haben wir ein EU-Cyber-Sanktionsregime geschaffen, um diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die Angriffe auf unsere Bürgerinnen und Bürger, unsere Unternehmen und unsere Demokratien verüben.

Aber dabei dürfen wir nicht stehenbleiben. Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Tschechischen Republik, aus Schweden, den Niederlanden und Finnland werbe ich für eine stärkere Rolle der Europäischen Union in der Rüstungskontrolle.

Mit ihren militärischen Kapazitäten, ihrer industriellen Stärke und ihrer regulatorischen Erfahrung können die EU und ihre Mitgliedstaaten Normen und Standards für die militärische Nutzung neuer Technologien setzen.

Als ersten Schritt schlagen wir einen strategischen Prozess innerhalb der Europäischen Union zur verantwortungsvollen militärischen Nutzung neuer Technologien vor. Ein solcher Prozess würde bewerten, wie politische Maßnahmen der EU in diesem Bereich einen Beitrag zu Sicherheit in unserem neuen technologischen Zeitalter leisten können. Wir wollen ein gemeinsames europäisches Verständnis zukünftiger Konflikte schaffen.

Und wir sind überzeugt, dass Europa hier mit gutem Beispiel vorangehen muss – immer orientiert an Werten, die wir mit Partnern in aller Welt teilen.

Meine Damen und Herren,

Carl von Clausewitz, den ich eingangs erwähnte, hat sein ganzes Leben lang über Krieg nachgedacht – was für ein Leben. Er ist allerdings nicht auf dem Schlachtfeld gestorben.

Nein, er starb in einer Cholera-Epidemie, die Europa Anfang der 1830er Jahre heimsuchte.

Keine Kriegstheorie, keine Waffen und keine Armee hätte ihn davor schützen können.

Heute, da die COVID-19-Pandemie uns alle bedroht, sollten wir das nicht vergessen.

Denn wie zu Anfang meiner Rede gesagt, erfordert sowohl der Kampf gegen COVID-19 als auch die Rüstungskontrolle die Einhaltung von Regeln, multilaterale Zusammenarbeit und gegenseitiges Vertrauen.

Nur durch Zusammenarbeit können wir das sich ständig wandelnde „Chamäleon“ Krieg kontrollieren und so Frieden sichern.

Vielen Dank!

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