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Grußwort von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Rabbinerordination

09.10.2018 - Rede
Außenminister Heiko Maas hält eine Rede im Rahmen der feierlichen Ordination von Rabbinern und Kantoren in der Beth Zion Synagoge in Berlin.
Außenminister Heiko Maas hält eine Rede im Rahmen der feierlichen Ordination von Rabbinern und Kantoren in der Beth Zion Synagoge in Berlin.© Janine Schmitz/photothek.net

In kaum einer anderen Religion hat das Lernen einen so hohen Stellenwert wie im Judentum. Jüdinnen und Juden hatten das Konzept des „lifelong-learning“ bereits verinnerlicht, lange bevor es beim Rest der Welt ankam.

Lernen fängt für sie nicht erst in der Schule an. Und es hört auch nicht mit dem Studienabschluss auf. Wie wichtig es im Judentum ist zeigt schon die Tradition, dass gerade das jüngste Kind bei einem Seder die zentralen vier Fragen zu den Ritualen stellen darf.

In einem deutschen Sprichwort heißt es: „Lernen hat bittere Wurzel, aber trägt süße Frucht“. Wahrscheinlich würden Sie widersprechen, was die Bitterkeit der Wurzel angeht. Aber die süßen Früchte des Lernens, die wollen wir heute alle gemeinsam ernten.

Als künftige Rabbiner kommt Ihnen als Lehrende eine ganz besondere Verantwortung zu. Sie sind gefordert, in Ihren Gemeinden die Lernenden in den Mittelpunkt zu stellen und so anzuleiten, dass sie auch durch kritisches Hinterfragen etwas erfahren und eben lernen.

Ich bin sicher, dass Sie das Rabbinerseminar Berlin in exzellenter Weise auf diese wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe vorbereitet hat!

Alle drei Rabbiner, die wir ja heute in ihr Amt entlassen dürfen, haben zwei Gemeinsamkeiten in ihren Lebensläufen, aus denen geht das hervor: sie wurden alle drei in der Ukraine geboren und haben sich zu längeren Lehraufenthalten in Israel aufgehalten.

International denken, unterschiedliche Kulturen verstehen, immer wieder neue Perspektiven einnehmen - das bringen Sie in Ihrer Arbeit mit. Und würden Sie nicht an Ihren künftigen Wirkungsstätten so dringend gebraucht, ich wäre glatt versucht, Sie für das Auswärtige Amt abzuwerben.

Aber natürlich werden Sie auch in Ihren Gemeinden diese Fähigkeiten gut einbringen können - schließlich geht es dort ebenfalls um das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und auch ganz unterschiedlicher Prägung.

Über welchen Erfahrungsschatz wir im Bereich Migration und Integration bereits verfügen, ist vielen gar nicht bewusst – er ist nämlich mitten in unseren jüdischen Gemeinden!

Meine Damen und Herren,
ich freue mich sehr, dass wir heute die sechste Ordination von Rabbinern des Rabbinerseminars Berlin nach dessen Wiedergründung feiern und das zum ersten Mal auch in Berlin.

Gleichzeitig dürfen wir auch drei Absolventen des Instituts für Traditionelle Jüdische Liturgie Leipzig in ihre Tätigkeit entlassen. Ihre Stimmen werden ganz sicher über die Grenzen ihrer zukünftigen Gemeinden hinaus klingen.

Heute dürfen wir Ihnen hier, in einer der letzten noch erhaltenen privaten Hofsynagogen Berlins lauschen und das ist ein wunderschöner Ort geworden.

Die Novemberpogrome von 1938 bildeten den Übergang von Ausgrenzung und Entrechtung der Juden zu ihrer systematischen Verfolgung und Vernichtung. Sie waren der Auftakt zur Shoah, dem unfassbarsten Menschheitsverbrechen der Geschichte.

Dass in Berlin, dem Ort, an dem Deportationen und Vernichtung geplant und beschlossen wurden, heute wieder die größte jüdische Gemeinde Deutschlands lebt, das ist für uns Deutsche ein Geschenk – ein unverdientes Geschenk.
Aber es ist auch ein Vertrauensvorschuss für unseren Rechtsstaat und für unsere Demokratie.

Mit allen Kräften müssen wir dieses Geschenk bewahren. Mit allen Kräften müssen wir dieses Vertrauen verteidigen.

80 Jahre nach der Pogromnacht ist das leider wieder so nötig wie schon lange nicht. Es erschaudert mich, wenn ich sehe, dass Hitlergruß und Hassparolen sich wieder auf unseren Straßen breit machen. Und geistige Brandstifter Menschen anderer Herkunft oder anderen Glaubens ihre Menschenwürde absprechen. Das ist und bleibt unerträglich!

Das können, dürfen und das werden wir auch nicht hinnehmen hier in unserem Land. Gemeinsam müssen wir unsere Freiheit und unsere offene Gesellschaft verteidigen. Politik und Zivilgesellschaft sind zusammen gefordert, sich Antisemitismus, Hass und jeder Form von Rassismus entgegenzustellen und zwar das ganz entschieden, laut wahrnehmbar und hörbar, auch für die, die anderes tun, und Eintreten für Menschenrechte, Toleranz und Verständigung.

Denn, unsere Verantwortung in Deutschland, jüdisches Leben zu schützen, die endet nie.

Die heute ordinierten Rabbiner und Kantoren werden keine leichte Aufgabe haben. Sie werden in ihren Gemeinden mit dazu beitragen, dass Deutschland nach wie vor ein lebenswerter Ort für Jüdinnen und Juden ist und es auch bleibt. Lassen wir sie nicht allein und unterstützen wir sie nach Kräften!

Für Ihre künftigen Aufgaben wünsche ich Ihnen von Herzen Glück und Segen!

Vielen Dank!

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