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Grußwort von Außenminister Heiko Maas beim Solidaritätsgebet anlässlich des antisemitischen Vorfalls gegen Rabbiner Teichtal

09.08.2019 - Rede

Lieber Rabbi Teichtal, es ist eine Herausforderung nach Ihnen zu reden. Wenn Sie über das jüdische Leben in Deutschland sprechen, dann wird in jedem Wort Ihrer Reden deutlich, wie lebendig das jüdische Leben in Deutschland ist.

Und ich kann jedem empfehlen: Wer die Lebendigkeit des jüdischen Lebens in Deutschland kennenlernen will, sollte ganz einfach Sie kennenlernen. Lieber Rabbi Teichtal, das ist auch ein Grund, warum ich und ganz viele andere heute hier sind.

Im Hebräischen gibt es eine Besonderheit: das Wort für Geduld, savlanut, kommt vom Begriff sevel – Schmerz, Leiden.

Ein geduldiger Mensch, das ist also einer, der viel erträgt, der leidensfähig ist. Der sich dabei aber nicht von seinem Weg abbringen lässt. Ein geduldiger Mensch ist mutig. Ein geduldiger Mensch hofft.

Und deshalb sind wir heute hier. Weil wir mit Ihnen einen geduldigen und mutigen Menschen unterstützen wollen und Ihnen sagen wollen: Wir stehen an Ihrer Seite. Und nicht nur heute, denn daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.

Ich stehe heute hier neben einem geduldigen Menschen.

Wie könnte man das anders beschreiben. Ein Mann, der attackiert wird, und zwar auf übelste Weise. Der beschimpft wird, auf dem Heimweg vom Gottesdienst, mit seinem kleinen Sohn an der Hand. Da kann man sich vorstellen, wie schmerzhaft das ist. Und der anschließend einen Satz ganz laut ausruft, der lautet: „Ich bin Optimist!“ Das könnte nicht jeder.

Lieber Rabbi Teichtal,

wir sind heute alle hierhergekommen, um unsere Solidarität mit Ihnen zum Ausdruck zu bringen. Und um zu zeigen, dass Antisemitismus in unserer Gesellschaft keinen Platz hat.

Es ist abstoßend und widerlich. Alle, die hier sind, empfinden so. Und es macht wütend, es macht wirklich viele Menschen in dieser Stadt und in diesem Land wütend, wenn Jüdinnen und Juden in Deutschland beschimpft und bespuckt werden und es immer wieder geschieht.

Es zeigt, wie sich das Klima in unserem Land verändert hat. Und wir müssen ehrlich zu uns selber sein: Der Ton verroht.

Vor allem im Internet findet Hass mittlerweile einen Resonanzboden, viele Hetzer fühlen sich bestätigt. Die Hemmschwellen sinken immer weiter und weiter. Und den Worten folgen leider Taten.

Antisemitismus ist in diesem Land nicht über Nacht entstanden. Aber er ist lauter und er ist aggressiver geworden. Wenn Jüdinnen und Juden Angst haben, sobald sie öffentlich ihre Religion zeigen, dann ist das nichts anderes als beschämend für unser Land.

Umso beherzter müssen wir alle gegenhalten, wo immer es geht. Das tun heute ganz viele hier in der Synagoge.

Das ist auch deshalb notwendig, weil es mittlerweile Leute gibt, die versuchen, derartige Angriffe auch politisch zu instrumentalisieren.

Die unsere Gesellschaft spalten wollen, indem sie so tun als sei Antisemitismus ausschließlich ein importiertes Phänomen, die trennen zwischen rechtem, linkem und muslimischem Antisemitismus.

Deshalb muss man einmal ganz klar sagen: Egal, welches Motiv: Antisemitismus bleibt Antisemitismus. Er ist Gift für unsere Gesellschaft. Intoleranz beantwortet man nicht mit Intoleranz und Hass nicht mit Hass.

Deshalb dürfen wir auch nicht sprachlos werden. Wir dürfen dies nicht tun, vor allen Dingen angesichts der Lautstärke der anderen!

Ich erlebe auch im Ausland, dass ich danach gefragt werde: Was ist bei Euch los? Und viele informieren sich im Internet. Und die, die Hass und Hetze verbreiten, sind im Internet besonders laut und besonders engagiert und im Übrigen auch gut organisiert.

Und manchmal haben einige den Eindruck, dass die Lauten mehr sein könnten als nur eine Minderheit.

Das ist aber nicht so. Und das wissen wir. Aber wir müssen uns auch deutlich machen, dass die Lautstärke der Minderheit reguliert wird durch die Lautstärke der Mehrheit. Wenn wir alle nichts sagen, wirkt auch eine Minderheit außerordentlich laut.

Schweigen und Gleichgültigkeit ist keine Alternative. Weil auch schon der Holocaust Väter hatte und viele Gleichgültige, die ihn möglich gemacht haben. Das sollten wir aus unserer Geschichte gelernt haben: Wir dürfen nie wieder gleichgültig sein.

Lieber Rabbi Teichtal,

Sie haben nach dem Angriff gesagt: „Wir dürfen uns nicht verstecken, wir müssen stolz sein und wir müssen die Hand ausstrecken. Wir müssen alle in den Dialog treten, weil wir eine Gesellschaft sind.“

Wie Recht Sie haben. Und welch ein Mut und welche Zuversicht spricht aus diesen Worten von jemandem, der gerade so etwas erlebt hat, dazu noch mit einem Kind an der Hand!

Und deshalb glaube ich, ist es kein Zufall, dass das Wort für Toleranz im Hebräischen – sovlanut – dem Wort für Geduld – savlanut – so ähnlich ist.

Shalom!

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