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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Vorstellung des Konzepts für einen Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen
Der 1. September 1939 brachte Polen „das Schlimmste […], was es in seiner Geschichte hat durchmachen müssen“ – so hat Willy Brandt den deutschen Überfall auf Polen beschrieben.
Damit begann der Wahnsinn des rassenideologischen Vernichtungskriegs, dem in Mittel- und Osteuropa bis 1945 Millionen Menschen zum Opfer fielen.
Den deutschen Besatzern ging es nicht bloß um militärische Unterwerfung. Mit der Zerstörung ganzer Städte, Umsiedlungen und Massenmorden wollten sie Polen für immer von der Landkarte tilgen.
Wie sehr die Erinnerung an diese Verbrechen viele Menschen in Polen bis heute umtreibt – das konnte ich bei vielen meiner zahlreichen Besuche in Polen förmlich spüren.
Und doch war das Leiden der polnischen Zivilbevölkerung lange nur ein Splitter in der deutschen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg.
Deshalb ist der Beschluss des Bundestages aus dem vergangenen Jahr, in Berlin einen Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen zu schaffen, so fundamental wichtig:
Als Geste an die polnischen Opfer – und als ein Schritt, der die Erinnerungskulturen unserer Länder einander näherbringt.
Das Auswärtige Amt hat in den vergangenen Monaten die Aufgabe übernommen, diesen Bundestagsbeschluss umzusetzen. Das – und das haben wir auch erfahren – ist vielen Mitgliedern des deutschen Bundestags ein persönliches, ein sehr persönliches Anliegen gewesen – und mir ist es das auch.
Zu Jahresbeginn haben wir eine deutsch-polnische Expertenkommission eingesetzt, die inzwischen ein Konzept für den geplanten Erinnerungs- und Begegnungsort vorgelegt hat.
Allen Mitgliedern dieser Kommission, des politischen Beirats und natürlich Ihnen, Herr Botschafter Nikel, möchte ich für diese wirklich außerordentlich engagierte, aber auch nicht einfache Arbeit von Herzen „Danke“ sagen.
Das Konzept verbindet die zwei Wesenskerne des Bundestagsbeschlusses – Erinnern, aber auch Bildung und Begegnung.
- Im Zentrum des zu schaffenden Ortes soll ein Denkmal für die Opfer des Krieges und der nationalsozialistischen Besatzung in Polen stehen. Es ehrt ihre Leben, ihren Widerstand und ihren Mut.
- Zudem werden Ausstellungen die deutsche Besatzung und die deutsch-polnischen Beziehungen seit dem 18. Jahrhundert beleuchten. Denn Erinnern braucht historisches Wissen. Neben diesen Ausstellungen wollen wir Menschen aus Deutschland und Polen zusammenführen – persönlich, aber auch digital: durch Bildungsangebote, Konferenzen und Zeitzeugengespräche.
Ich bin mir sicher: Mit dieser Ausrichtung wird der zukünftige Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen ein Fixpunkt – physisch: im Zentrum Berlins; und geistig: in der Gedenkkultur unserer Gesellschaft.
Das Konzept habe ich an Bundestagspräsident Schäuble übermittelt. Nach den Bundestagswahlen wird es an den neuen Bundestag übergeben.
Damit werden die Abgeordneten eingeladen, zügig über das Konzept und seine Empfehlungen auch eine erneute förmliche Entscheidung zu treffen. Und schließlich soll nach einem Architekturwettbewerb noch in der kommenden Legislaturperiode der Grundstein für das Denkmal und die Ausstellungsräume gelegt werden.
Den Vorschlag der Expertenkommission, dieses Ziel auch im künftigen Koalitionsvertrag, wer immer ihn abschließt, zu verankern, unterstütze ich ganz ausdrücklich – als Bekenntnis zu einer zukunftsweisenden Erinnerungskultur.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
nach den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs und der Spaltung des Kalten Kriegs leben Polen und Deutsche heute gemeinsam in einem friedlichen und freien Europa.
Unsere Länder sind auf das Engste miteinander verflochten – politisch, wirtschaftlich, kulturell.
Und uns verbindet die Verantwortung für eine durch Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vereinte Europäische Union.
Dafür steht der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag, dessen Unterzeichnung vor 30 Jahren wir im Juni gefeiert haben – und den wir immer wieder neu mit Leben füllen müssen.
Denn wir wissen alle: Bei aller existierenden Nähe in Deutschland und in Polen gibt es trotzdem immer noch unterschiedliche Wahrnehmungen und Erinnerungen, bleiben auch genauso die Lasten der Vergangenheit.
Wir können diese Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Und viele Wunden werden wohl auch niemals heilen.
Aber wir können die Toten mit einer ehrlichen Aufarbeitung dieser Vergangenheit würdigen und sie damit auch ehren. Und wir können im gemeinsamen Erinnern neue Wege bahnen in eine gemeinsame Zukunft.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es, was wir mit dem Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen anstreben.
Und allen, die dabei nicht nur in den letzten Wochen und Monaten, sondern in den letzten Jahren beigetragen haben, danke ich ganz herzlich dafür, dass sie diese Idee unterstützt haben.
Und ich bin mir sicher, dass viele von denen, die ich in dieser Zeit getroffen habe und mit denen wir zusammengearbeitet haben, uns auch in Zukunft – denn die Arbeit wird weitergehen und es wird nicht wenig Arbeit sein – unterstützen werden. Dazu lade ich Sie noch einmal alle herzlich ein – verbunden mit einem großen Dank für alles, was Sie bisher schon geleistet haben.