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Rede von Außenminister Heiko Maas beim 18. Petersburger Dialog in Königswinter
Ich bin froh, heute hier auf dem Petersberg zu sein.
Ich bin gestern erst aus dem Urlaub gekommen, noch gar nicht richtig in Berlin gewesen und dementsprechend bester Laune. Und ich freue mich ganz besonders, dass wir beide, lieber Sergej, gemeinsam zum ersten Mal als Außenminister Deutschlands und Russlands beim Petersburger Dialog sprechen. Dies zeigt, welche Bedeutung wir diesem Forum beimessen, aber auch, welche Bedeutung wir den deutsch-russischen Beziehungen beimessen.
Meine Damen und Herren,
wie vielfältig diese Beziehungen sind, wie nah sich die Menschen in unseren Ländern sind, das erlebe ich immer wieder: Im letzten Jahr, zum Beispiel, als wir das Themenjahr zu den Deutsch-Russischen Städtepartnerschaften beendet haben und sich fast 1000 Vertreterinnen und Vertreter aus Städten, die Partnerschaften in Deutschland oder Russland haben, im Weltsaal des Auswärtigen Amts getroffen haben. Das war gelebte Gemeinschaft von Menschen, die ein ganz besonderes Interesse und eine besondere Emotionalität haben, wenn es darum geht, die Menschen aus unseren Gesellschaften näher zusammenzubringen.
Ich bin Saarländer - aus einem kleinem Bundesland ganz im Südwesten Deutschlands -, das zwar immer mehr Mitglieder des Bundeskabinetts stellt, die Nähe zu Russland ist mir zumindest geographisch aber nicht in die Wiege gelegt.
Doch ich habe in den letzten Jahren daran gearbeitet. Ich habe in Charlottenburg gelebt, dass der Berliner ja nicht umsonst als Charlottengrad bezeichnet, weil sich viele Menschen russischen Ursprungs dort niedergelassen haben. Es gab Momente, in denen ich mich dort Moskau näher gefühlt habe als Saarbrücken. Ganz viele normale Kontakte sind dort entstanden, barrierefrei, in der Nachbarschaft.
Und bei den Nachbarn habe ich mich manchmal auch gefragt, was sie wohl denken, wenn sie Deutschland vor allem mit Disziplin und Ordnung in Verbindung bringen - und dann ausgerechnet nach Berlin kommen. In Sachen Disziplin und Ordnung - auch das habe ich im persönlichen Kontakt erfahren - waren viele meiner russischstämmigen Nachbarn jedenfalls „deutscher“ als viele Deutsche.
Und das, meine Damen und Herren, zeigt doch eines: Wie falsch die Stereotypen sein können, die wir oft übereinander haben.
Aber das brauche ich Ihnen vermutlich am wenigsten zu erzählen.
Sie sind diejenigen, die die deutsch-russischen Beziehungen tagtäglich pflegen, die erleben, wie eng unsere Bindungen wirklich sind. Und vor allem: wie wichtig.
Sie sind damit nicht alleine. Letztes Jahr gaben in einer Umfrage 94 Prozent der Deutschen an, dass sie gute Beziehungen zu Russland für wichtig halten.
Das ist eine, wie ich finde, wirklich beeindruckende Zahl.
Eine Zahl, die erfreulich ist – da unser Verhältnis auf politischer Ebene seit einigen Jahren nicht so ist, wie die Bürgerinnen und Bürger es sich anscheinend wünschen.
Sie alle kennen die Stichworte:
- Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim,
- die Lage in der Ostukraine,
- die gegenseitigen Sanktionen,
- die Sorge um Aufrüstung, gerade auch im Moment.
Ich glaube, wir könnten diese Liste noch weiter fortsetzen.
Aber, meine Damen und Herren, ich möchte den Schwerpunkt heute gerne auf etwas anderes legen. Nämlich auf die Frage: wo sehen wir trotz all dieser Schwierigkeiten Schnittmengen? Und wo können wir Fortschritte erzielen?
Im Sinne der Menschen in unseren Ländern. Und in der Verantwortung, die wir, Deutsche und Russen, auch mit Blick auf unsere jeweilige Geschichte für Frieden, Sicherheit und Stabilität in Europa tragen.
„Kooperation als Leitmotiv für ein Europa in Frieden“ – der Titel für unser Treffen hier ist daher gut gewählt und außerordentlich aktuell. Letztlich steckt darin eine ganz einfache Wahrheit: Dauerhaften Frieden in Europa erreichen wir nur gemeinsam.
Also, bei allen Differenzen die es gibt, lassen Sie uns nach den Schnittmengen suchen im deutsch-russischen Verhältnis. Ich will das an drei nicht ganz unproblematischen Punkten deutlich machen.
Erstens: Eigentlich müssten wir uns alle einig sein, dass die derzeitige Lage im Osten der Ukraine nicht tragbar ist. Und sie soll auch nicht so bleiben.
Auf Initiative des ukrainischen Präsidenten Selensky wurde nun, das ist eine ganz neue Entwicklung, mit der Entflechtung an einem Hotspot des Konflikts in Staniza Luhanska ein Schritt unternommen, der Hoffnung macht. Auch deshalb, weil wir, lieber Sergej, darüber in den letzten Monaten im Normandie-Format viel gesprochen haben, aber keinen Schritt weitergekommen sind.
Dass am Sonntag ein Waffenstillstand in Kraft treten soll, der nicht an einen bestimmten Feiertag oder eine Jahreszeit gekoppelt ist, auch das macht Hoffnung. Wir hatten einige Waffenstillstände in der letzten Zeit, die aber permanent gebrochen wurden.
Dass nun beides zusammen so kurzfristig möglich geworden ist nach der Wahl des neuen Präsidenten der Ukraine macht mich hoffnungsvoll für die weiteren Gespräche. Wir haben heute bilateral besprochen, dass wir im Normandie-Format weiter nach Möglichkeiten suchen werden, das Minsker Abkommen wieder zum Leben zu erwecken und weitere Punkte umzusetzen. Dazu brauchen wir konstruktive Schritte – von ukrainischer und von russischer Seite!
Und wir stehen zusammen mit unseren französischen Partnern im Normandie-Format Tag und Nacht bereit, um zu verhandeln, um Fortschritte zu erzielen. Ich glaube, wir haben ein neues Momentum in dieser fast vergessenen Krise, das wir nutzen müssen. Denn letztlich herrscht dort Krieg und dieser Krieg kostet Menschenleben, nach wie vor.
Mein zweiter Punkt betrifft Syrien, auch darüber haben wir heute schon gesprochen. In diesem Konflikt stehen wir, Deutschland und Russland, auf zwei unterschiedlichen, entgegengesetzten Seiten. Wir glauben nicht, dass das Assad-Regime in Syrien eine Zukunft haben sollte. Nicht nach dem, was dort geschehen ist und was das Assad-Regime der Bevölkerung angetan hat.
Wir sind uns inzwischen aber wohl einig, dass der Konflikt in Syrien militärisch nicht zu lösen sein wird. Dass es ohne einen tragfähigen politischen Prozess kein stabiles Syrien geben wird. Genau darauf sollten wir uns deshalb jetzt auch konzentrieren.
Russland hat einiges unternommen, die Regierung in Damaskus zur Teilnahme an einem solchen Prozess zu bewegen. Das ist offensichtlich und außerordentlich positiv.
Allerdings stellen wir fest, dass der Einfluss auf dieses Regime von außen gar nicht so groß ist, wie man denkt oder es vielfach verbreitet wird.
Ich will noch einen Punkt ansprechen, der uns im Moment besonders viel Sorge macht: nämlich dass die Lage in Idlib, wo heftige Kämpfe stattfinden, nicht weiter eskalieren darf. Wir wollen kein weiteres Aleppo.
Die Einberufung eines Verfassungskomitees – das, was im Rahmen der Vereinten Nationen als erster Schritt des politischen Prozesses bezeichnet worden ist - ist lange überfällig. Und im Moment gibt es einige Anzeichen dafür, dass uns dieser erste Schritt als „door opener“ für den politischen Prozess auch gelingen könnte.
Wenn wir diese Hürde nehmen, dann hat Syrien zwar keine Gewissheit, aber zumindest eine Chance auf eine stabilere Zukunft. Dann kann auch eine Perspektive entstehen, um dieses geschundene Land Stück für Stück wieder aufzubauen. Darauf sollten wir mit aller Kraft hinarbeiten. Das ist ein Thema, das uns auf der internationalen Bühne weiter intensiv beschäftigen wird.
Meine Damen und Herren,
ich will noch einen dritten Bereich erwähnen, in dem unsere Interessen enger beieinander liegen, als die Rhetorik vermuten lässt. Es geht um die Rüstungskontrolle in Europa – auch das kein einfaches Thema.
Unsere Auffassung ist: Wenn Russland nicht zur Vertragstreue zurückkehrt, wird der INF-Vertrag über das Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen in weniger als zwei Wochen Geschichte sein. Aber glauben wir wirklich, dass Europa ohne diesen Grundstein der Abrüstungsarchitektur einen Deut sicherer sein wird?
Ich fürchte, das Gegenteil wird der Fall sein. Denn: Was auch immer eine Seite als Bedrohung wahrnimmt, das schafft für die andere am Ende keine Sicherheit.
Also sollten wir uns darauf besinnen, was die Grundlage war für alle Abrüstungsschritte, selbst zu Hochzeiten des Kalten Kriegs: Das ist Vertrauen.
Vertrauen entsteht nicht über Nacht. Deshalb wird auch in den letzten Jahren verlorengegangenes Vertrauen nicht über Nacht zurückkehren. Es entsteht nur, wenn man offen und ehrlich miteinander redet. Wenn man sich aufeinander verlassen kann, wenn man Dinge verabredet. Wenn wir die Sorgen des jeweils anderen, auch wenn sie noch so schwer nachvollziehbar scheinen, versuchen zu verstehen oder zumindest ernst nehmen.
Das ist einer der Gründe gewesen, weshalb ich schon letztes Jahr einen strukturierten Dialog zwischen Russland, den USA und den West- und Mitteleuropäern über die Sicherheit in Europa vorgeschlagen habe.
Und ich habe auch noch einmal versichert, dass Deutschland das Thema Rüstungskontrollarchitektur gerade jetzt, als Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, wieder auf die internationale Tagesordnung setzt. Zusammen mit unseren französischen Freunden haben wir dazu vor einigen Wochen eine Debatte im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen angesetzt. Ich selber war überrascht, dass dies das erste Mal seit Jahren gewesen ist, dass im Sicherheitsrat über nukleare Abrüstung gesprochen wurde.
Meine Damen und Herren,
wo Vertrauen ist, da entsteht aus gemeinsamen Interessen gemeinsames Handeln. Dafür gibt es Beispiele. Das sehen wir etwa in der Arktispolitik oder beim Atomabkommen mit dem Iran – wo Deutschland und Russland trotz manch unterschiedlicher Interessen konstruktiv zusammenarbeiten.
Und deshalb arbeiten wir daran, dass auch an anderen Stellen neues Vertrauen entsteht.
- Wir haben dazu letztes Jahr die Hohe Arbeitsgruppe Sicherheitspolitik zwischen unseren beiden Regierungen wieder ins Leben gerufen.
- Und allein wir beide, lieber Sergej, treffen uns seit meinem Amtsantritt heute zum siebten Mal - nicht gerade wenig in anderthalb Jahren – und die Anzahl der Telefonate zähle ich schon gar nicht mehr mit.
Doch so wichtig enge politische Kontakte auch sind. Die Breite und Tiefe unserer Beziehungen entsteht doch aus dem Kontakt zwischen den Menschen, aus unseren Gesellschaften.
Aus ihnen erwächst Vertrauen, das wir in unseren Beziehungen so dringend brauchen.
Dafür steht unter anderem der Petersburger Dialog. Und genau das wollen wir als Regierungen fördern und unterstützen. Auch dafür tun wir einiges, auch wenn dies manchmal unter dem Radar der medialen Berichterstattung abläuft.
Wir haben dazu das deutsch-russische Jahr der Hochschulkooperation ins Leben gerufen. Damit sich junge Leute begegnen und gemeinsam studieren können.
Unsere Forschungs-Roadmap mit Russland, man mag es kaum glauben, ist weltweit einmalig.
- Wir haben mit der Humanitären Geste für die Opfer der Leningrad-Blockade endlich ein historisches Zeichen für die Leidtragenden eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte gesetzt. Und ich weiß, dass dies Dir auch ein ganz persönliches Anliegen ist, lieber Sergej.
- Wir sind uns auch im wirtschaftlichen Bereich, trotz aller Schwierigkeiten, trotz der Sanktionen, weiter eng verbunden. Über 4.500 deutsche Unternehmen sind in Russland präsent und haben in den letzten Jahren viel Geld investiert.
- Dies ist ebenso wichtig wie die kommunale Zusammenarbeit, die ein weiterer Eckpfeiler unserer Beziehungen ist. Erst vor drei Wochen hat sich das bei der deutsch-russischen Städtepartnerschafts-Konferenz in Aachen und Düren eindrucksvoll gezeigt. Und wir werden das weiter unterstützen.
Meine Damen und Herren,
man braucht so etwas wie eine „Außenpolitik von unten“ – gerade in schwierigen Zeiten. Wir brauchen lebendige, eng vernetzte Zivilgesellschaften. Wir brauchen so etwas wie den Petersburger Dialog.
Und deshalb sind wir heute hier. Um auch im Namen unserer Regierungen zu sagen: Sie haben unser volles politisches Backing für Ihre Arbeit!
Wir wollen einiges dafür tun, um den Austausch zwischen Deutschen und Russen zu fördern.
Das setzt vor allem eines voraus: Offenheit. Und deshalb werden wir auch die Themen weiter offen besprechen, die uns schwierig scheinen. Wir werden aber auch weiter nach positiven Beispielen suchen.
Und ich weiß, dass ein Thema einige hier ganz besonders beschäftigt: Visaerleichterungen, insbesondere für junge Menschen aus Russland. Das ist ein Punkt, den wir weiterverfolgen wollen. Wir können darüber zwar nicht allein entscheiden, aber wir wollen mit unseren Schengen-Partnern sehen, was man hier weiter tun kann.
Denn wir sind überzeugt: Austausch und Offenheit – das stärkt unsere Beziehungen. Nur so entsteht Raum für Kreativität, für neue Ideen und für ein neues Miteinander. Und das ist etwas, was bitter nötig ist.
„Gedankenfreiheit ist die größte Freiheit, die der Mensch erreichen kann.“ Das hat ein russischer Charlottenburger gesagt, den ich leider als Nachbar nicht mehr erleben durfte, nämlich Maxim Gorki.
Nehmen wir uns die Freiheit dieses Denkens. Offen - ohne Scheuklappen und ohne Stereotypen.
Dann sehen wir Trennendes, das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Aber eben auch Schnittmengen. Schnittmengen, aus denen gemeinsames Handeln entstehen kann. Daran wollen wir arbeiten.
Vielen Dank!