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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich des Festakts 10 Jahre PASCH / Eröffnung des Weltkongresses der Deutschen Auslandsschulen

06.06.2018 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Sehr geehrte Mitglieder des Deutschen Bundestags,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Mittlerorganisationen,
liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Weltkongresses deutscher Auslandsschulen,
liebe Schülerinnen, Schüler und Alumni der PASCH-Schulen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

Brief Albert Einsteins an Ernesto Alemann
Brief Albert Einsteins an Ernesto Alemann© Pestalozzi-Schule Buenos Aires

im Juli 1938 erhielt Ernesto Alemann aus Buenos Aires einen Brief. Der Absender: Albert Einstein, wohnhaft in Nassau Point, Peconic, New York.

Ein paar Zeilen, getippt auf Schreibmaschine und von Einstein eigenhändig unterschrieben.

Ernesto Alemann arbeitete seinerzeit als Herausgeber des „Argentinischen Tagblatts“. Als entschiedener Gegner der in Deutschland herrschenden Nazis gründete er das „Colegio Pestalozzi“. Dieses wurde schnell zum Zufluchtsort für viele jüdische Flüchtlingskinder.

Den Brief, den Albert Einstein im Juli 1938 an Ernesto Alemann schrieb, gibt es heute noch. Ich habe ihn bei meinem Besuch in der Pestalozzi-Schule in Buenos Aires vor drei Wochen in den Händen gehalten und seitdem lässt mich ein Satz daraus nicht mehr los.

Einstein schrieb:

Ich sende Ihnen zur Einweihung Ihres neuen Schulgebäudes freundliche Glückwünsche. Heute ist es wichtiger als je, dass die Kinder in einer geistig reinen Atmosphäre aufwachsen und dass sie von der systematischen politischen Seelenvergiftung bewahrt werden.

Natürlich muss man das Zitat in seinem zeitlichen Kontext sehen. 2018 ist Gott sei Dank nicht 1938.

Aber auch heute befindet sich die Welt in einem gewaltigen tektonischen Umbruch - das haben mir meine ersten Wochen im Amt des Außenministers mit großer Deutlichkeit vor Augen geführt. Vermeintliche Selbstverständlichkeiten lösen sich auf.

  • Der Vorkämpfer des freien Welthandels, die USA, setzen auf Abschottung und Protektionismus und stellen internationale Vereinbarungen einseitig in Frage.
  • Autoritäre Regierungsformen und Ideologien gewinnen weltweit an Unterstützung – und das nicht nur in China oder Russland.

  • Auch in Europa wächst nach zehn Krisenjahren bei vielen die Sehnsucht nach starken Männern. Nationalisten und Populisten verführen die Menschen überall auf unserem Kontinent mit ihren allzu einfachen Botschaften oder manipulieren die öffentliche Meinung durch „fake news“. Und gleichzeitig steht Europa in der Außenpolitik vor ganz neuen Bewährungsproben, wenn es notgedrungen zum Bewahrer des Multilateralismus und Kämpfer für eine regelbasierte Weltordnung werden muss.
  • Und in Deutschland sitzt erstmals seit dem zweiten Weltkrieg eine Partei im Bundestag, die offen Stimmung macht gegen Ausländer und Minderheiten. Die bewusst Grenzen des Anstands austestet und überschreitet, Zwietracht säht und diffuse Ängste vor Überfremdung und dem Verlust der eigenen Identität schürt.

Warum erwähne ich das heute? Weil ich glaube, das beste Rezept gegen „fake news“ sind Fakten. Gegen Populismus hilft Bildung! Gegen Angst hilft das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten! Und gegen Nationalismus und Abschottung hilft es, Sprachen zu lernen, zu reisen, die Augen zu öffnen für andere Kulturen und so unsere gemeinsame Humanität zu entdecken.

Ganz genau das ist doch das Ziel unserer auswärtigen Bildungspolitik! Und darum ist sie heute wichtiger denn je!

Meine Damen und Herren,

rückblickend darf man es wohl durchaus „visionär“ nennen, was der heutige Bundespräsident Frank Walter Steinmeier 2008 mit der Partnerschulinitiative ins Leben gerufen hat. Denn wer hätte damals gedacht, dass PASCH in nur zehn Jahren 600.000 Schülerinnen und Schüler erreichen würde?

Dass sich die Zahl geförderter Schulen in den zehn Jahren nahezu verdreifacht?

Und dass aus diesen über 2.000 Schulen ein weltweit einmaliges, weltumspannendes Netzwerk entstehen würde – von Punta Arenas in Feuerland bis nach Bodø, nördlich des Polarkreises?

Die Ursache des Erfolgs ist die Vernetzung – ganz vieler Schulen und ganz vieler junger Menschen! Das klingt banal, ist aber eine kleine Revolution.

Erstens, die Vernetzung unterschiedlicher Bildungsabschnitte. So wächst inzwischen eine ganze Generation von Alumni heran, deren Bildungsweg im besten Fall vom Kindergarten bis zur Uni aufs Engste mit der deutschen Sprache und mit Deutschland verknüpft ist.

Einige von Ihnen sind heute hier. Ich möchte Ihnen zum Beispiel Cloudia Sekarsari aus Indonesien vorstellen, die Sie gleich auch noch als eine der Preisträgerinnen des PASCH-Videowettbewerbs kennenlernen werden. Sie hat zusammen mit drei anderen Alumni ein Video gedreht, in dem sie das Deutschlernen mit einer Zitrone vergleicht.

Liebe Cloudia, ich weiß, es gibt süßeres Obst als Zitronen. Und es gibt Sprachen, die sind einfacher zu lernen als Deutsch. Aber auf Deutsch sagen wir: „Sauer macht lustig“.

Vermutlich kennen Sie dieses Sprichwort schon, denn Sie haben in Ihrem Film ja gleich ein ganz neues Sprichwort geschaffen: „Wenn das Leben Dir Zitronen gibt, backe Zitronenkuchen daraus.“

Mit diesem Optimismus – das haben Sie in dem Film bewiesen – klappt es auch mit dem lernen einer schweren Sprache wie Deutsch.

Liebe Cloudia, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Alumni,

Ihr alle seid das, was die PASCH-Strategen etwas technisch „Multiplikatoren“ nennen.

Ich würde sagen: Ihr seid Botschafterinnen und Botschafter – für Euer Heimatland, aber durch Euren Werdegang eben auch unser Land, für Deutschland, das Euch auf Eurem Bildungsweg Schritt für Schritt begleitet hat.

Ich habe gerade über die unübersichtlichere und auch ungemütlichere Welt gesprochen, in der neue Mauern entstehen, in der Ordnungsstrukturen erodieren, in der es an Verständigung und Dialog mangelt. In dieser Welt braucht Deutschland, Botschafterinnen und Botschafter wie Euch!

Denn Verständigung erfordert viel mehr als das, was ein Außenminister allein erreichen kann. Verständigung entsteht, wenn Menschen sich austauschen. Verständigung setzt Verstehen voraus.

Dafür muss man eintauchen in die Sprache, in die Gedankenwelt und in die Kultur eines anderen Landes, so wie Ihr es getan habt. Erhaltet Euch bloß diese Offenheit, Euren Mut, Neues zu entdecken und bewahrt dabei immer auch ein Stück von unserem Land in Euren Herzen!

Meine Damen und Herren,

PASCH hat, und das ist mein zweiter Punkt, Schulen virtuell miteinander vernetzt und zwar für viel mehr als nur für Vokabeltraining. Denn Schulen, das sind natürlich auch vorpolitische, ja gelegentlich sogar hochpolitische Orte. Denken wir nur an die jungen Demonstranten aus Parkland in Florida, die hunderttausende Menschen inspiriert und mobilisiert haben, um Waffengewalt an Schulen endlich ein Ende zu bereiten.

Auf dem PASCH-Webportal diskutieren 600.000 Schülerinnen und Schüler auf Deutsch über Meinungs- und Pressefreiheit, Flüchtlinge in Europa oder das Leben mit der Bedrohung des Terrorismus.

Gerade in Krisenzeiten und Konfliktregionen, in denen die Räume für kritisches Denken und demokratischen Diskurs bedauerlicherweise gerade zurzeit bedrohlich schrumpfen, ist solch ein Freiraum unglaublich kostbar!

Und machen wir uns nichts vor: Der Erhalt solcher Freiheitsräume findet nicht überall auf der Welt Zustimmung, ganz im Gegenteil.

Doch wir dürfen hier keine Abstriche machen – gerade weil wir in Konkurrenz zu politischen Systemen und Narrativen stehen, die demokratische Errungenschaften zurückdrehen wollen, die kritisches, aufgeklärtes, selbstbewusstes Denken und Handeln fürchten, statt es zu fördern.

Gerade deshalb ist es wichtig, an dieser Stelle Farbe zu bekennen.

Der von uns geförderte Unterricht sollte das immer reflektieren. Niemals im Sinne von Indoktrination oder blindem Gehorsam. Sondern indem er zu kritischem Denken und Nachfragen ermutigt. Indem er junge Menschen darin bestärkt, Verantwortung zu übernehmen für ihre Gesellschaften und ihre Mitmenschen. Indem er Kreativität fördert und Neugier weckt.

Wer positiven Wandel in der Welt erreichen will, muss die bestehende Ordnung auch in Frage stellen dürfen. Und wer einmal im Deutschunterricht Bert Brecht oder Schillers „Wilhelm Tell“ gelesen und verstanden hat, der weiß das.

Der eingangs schon erwähnte Ernesto Alemann hat es in der Satzung der Pestalozzi-Schule Buenos Aires so formuliert: „In unserer Schule sollen nicht Sklaven erzogen werden, sondern freie Menschen. In ihr soll gelehrt werden, dass es keine schöneren und edleren Tugenden gibt als Freiheitsliebe, Menschlichkeit und Gerechtigkeit.“

Und ich füge heute hinzu: Eine Schule, die diesen Idealen folgt, ist eine Schule, die wir heute brauchen!

Meine Damen und Herren,

mein dritter Punkt ist die Vernetzung zwischen den Partnerorganisationen, die PASCH zusammen mit dem Auswärtigen Amt auf die Beine gestellt haben. Das Goethe-Institut, die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, der Pädagogische Austauschdienst des Sekretariats der Kultusministerkonferenz und der DAAD – sie sind durch PASCH noch enger zusammengewachsen.

Liebe Frau Toledo,
lieber Herr Professor Lehmann,
liebe Frau Dr. Klüsener,
lieber Herr Stiwitz,

Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möchte ich heute im Namen des Auswärtigen Amts, aber vor allem auch im Namen der vielen PASCH-Schülerinnen und Schüler, sehr herzlich danken für Ihr Engagement und Ihre Unterstützung in den vergangenen zehn Jahren. Sie sind die eigentlichen Mütter und Väter des Erfolgs von PASCH!

Ich habe Jura studiert, aber ich glaube man muss auch kein Verwaltungswissenschaftler sein, um zu wissen, dass eine Zusammenarbeit von vier so unterschiedlichen Partnern nicht leicht zu bewerkstelligen ist. Und doch ist es gelungen, dass jeder Partner seine Stärken einbringt, ohne seine Eigenständigkeit zu verlieren und dass daraus etwas ganz Neues entsteht.

Umso mehr freue ich mich, dass ich heute Zuwachs für unser PASCH-Netzwerk ankündigen kann: In diesem Jahr werden wir 70 neue PASCH-Schulen auf allen fünf Kontinenten aufnehmen! PASCH bleibt auf Wachstumskurs!

Unter den 70 neuen Partnern sind auch Schulen in Herkunftsländern von Flüchtlingen - das war mir wichtig. Denn gerade in diesen Ländern müssen wir mehr tun im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit.

Und jeder Schüler, der Deutsch gelernt hat, jeder Student, der unsere Universitäten besucht, jede Lehrkraft, die mit Deutschland in Berührung gekommen ist, wird Teil einer weltumspannenden Gemeinschaft, die diesem Land ein Leben lang verbunden bleibt und so einen Beitrag leistet dazu, dass Deutschland auch in der Welt des 21. Jahrhunderts noch gehört und verstanden wird.

Und es gibt noch eine dritte gute Nachricht: Auch der Kreis der Deutschen Auslandsschulen wächst. Nirgendwo sonst an ausländischen Schulen wird so viel Deutsch und so viel auf Deutsch unterrichtet. Nirgendwo sonst ist die Begegnung mit der deutschen Kultur und Gesellschaft so intensiv.

Es freut mich daher sehr, dass wir heute die „German School Brooklyn“ als Nummer 141 in die Reihe der Deutschen Auslandsschulen aufnehmen können. Herzlich willkommen in unserem Club!

Die German School Brooklyn geht zurück auf die Idee von zwei jungen Frauen, Kathrin Nagle und Muriel Plag, die die Schule zusammen mit andern Eltern im Jahr 2014 in Eigeninitiative und gegen viele Widerstände gegründet haben.

Diese Eigeninitiative – sie ist ein Alleinstellungsmerkmal aller deutscher Auslandsschulen!

Ich sage dies auch mit Blick auf die vielen ehrenamtlich Engagierten - Elternvertreter, Schulvorstände, Engagierte im Weltverband Deutscher Auslandsschulen – die zusammen mit den Lehrern den entscheidenden Anteil haben an der hohen Qualität und dem hervorragenden Ruf unserer Schulen weltweit. Dafür gilt Ihnen allen und natürlich Ihnen, sehr geehrter Herr Ernst, mein herzlicher Dank!

Ich glaube, dass das öffentlich-private Modell deutscher Auslandsschulen Zukunft hat – auch angesichts der Konkurrenz durch internationale Privatschulen. Denn Schule ist eben mehr als ein reiner Wirtschaftsbetrieb!

Konkurrenz und Zusammenarbeit schließen sich außerdem nicht aus. Wir sollten daher gemeinsam darüber nachdenken, wo wir noch enger mit geeigneten Schulen vor allem unserer europäischen Partner kooperieren können.

Ich denke dabei in erster Line an französischen Auslandsschulen, die sich an manchen Orten ja bereits mit unseren Schulen zu einem Eurocampus zusammenschlossen haben. Diesen Weg sollten wir weitergehen!

Das ist nicht immer bequem, weil erst einmal unterschiedliche Verwaltungssysteme zusammenfinden müssen. Aber die Mühe lohnt sich. Natürlich, weil sich dann Kosten, zum Beispiel für teure Infrastruktur, aufteilen lassen. Aber es geht noch um viel mehr: Wenn wir Auslandsschulen als Orte des Austauschs zwischen Kulturen begreifen, an denen Schülerinnen und Schüler zu echten Weltbürgern heranwachsen, dann sind Schulkooperationen doch ein fast zwingender, logischer Schritt. Und wenn wir uns das Ziel setzen, Europas Wahrnehmbarkeit in der Welt zu stärken, welch wirkungsvolleren Ansatz gäbe es, als einen Eurocampus, auf dem Schülerinnen und Schüler aus ganz unterschiedlichen Ländern mit europäischem Denken, europäischer Geschichte und europäischer Kultur in Berührung kommen?

Über diese und viele weitere Fragen werden Sie in den nächsten Tagen intensiv diskutieren. Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg und eröffne hiermit den Weltkongress Deutscher Auslandsschulen!

Meine Damen und Herren,

ich weiß nicht, ob Ernesto Alemann Albert Einstein je auf seinen Brief geantwortet hat. Aber ich habe mich gefragt, was wir heute antworten würden?

Ich glaube, wir könnten voll Zuversicht schreiben, dass wir Schulen geschaffen haben, an denen die Kinder und Jugendlichen vor Seelenvergiftung bewahrt werden.

Das ist der wahre Verdienst Ihrer täglichen Arbeit!

Herzlichen Dank dafür und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!


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