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Rede von Außenminister Heiko Maas zur Veranstaltung “The Paris Charter and European security architecture, thirty years on: What remains of the Helsinki spirit?” während des Paris Peace Forum

12.11.2020 - Rede

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Lassen Sie mich den früheren deutschen Bundeskanzler Willy Brandt zitieren: Er sagte: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört “. Mit diesen berühmten Worten beschrieb er die deutsche Wiedervereinigung.
Dabei wird allerdings oft übersehen, dass Willy Brandts Blick weit über Deutschland hinausreichte. Als einer, der der Schlussakte von Helsinki den Weg geebnet hatte, wusste er:
Genauso wie Ost- und Westdeutschland zusammengehören, so gehören auch West- und Osteuropa zusammen.
Das ist die grundlegende Idee der Charta von Paris. Sie steht, denke ich, für einen Moment der Freude in der deutschen und europäischen Geschichte: das Ende der Teilung unseres Landes und unseres Kontinents. Und sie stand für die Hoffnung auf ein „neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit in Europa“, wie es in der Charta selbst heißt.
In den vergangenen 30 Jahren war Europa in der Tat demokratischer, stabiler und wohlhabender als jemals zuvor in seiner Geschichte – dank Institutionen wie der Europäischen Union, der NATO und der OSZE.
Aber ich denke wir können nicht übersehen, dass die Hoffnung und der Optimismus von 1990 längst verflogen sind. Konflikte sind auf unseren Kontinent zurückgekehrt. Und durch die Annexion der Krim hat Russland die in Helsinki und Paris geschaffene Ordnung offen gebrochen.
Was bedeutet all dies nun für die Idee einer europäischen Zone von Frieden, Sicherheit und Wohlstand?
Ich denke: Die Charta von Paris ist mehr als eine idealistische Beschreibung eines besseren Europas. Wir haben erlebt, was sie in den vergangenen 30 Jahren erreicht hat. Darum müssen wir uns heute bemühen, aus der Charta zu lernen und ihren Geist wieder aufleben zu lassen:
Erstens denke ich, dass die Charta von Paris das Ergebnis beharrlicher multilateraler Diplomatie war –über geopolitische Spaltungen hinweg.
Das zeigt uns: Sicherheit erfordert Stärke und Abschreckung – aber auch Dialog und Kompromisse.
Und lassen Sie mich sagen, dass mit Joe Biden bald ein neuer US-Präsident ins Weiße Haus einziehen wird, der sich multilateraler Diplomatie verpflichtet fühlt. Er setzt auf Stärke gegenüber Russland. Aber er hat auch Bereitschaft gezeigt, Moskau einzubinden, etwa in der Rüstungskontrolle – die heute noch genauso wichtig ist wie während des Kalten Krieges.
Europa und die OSZE sollten sich auf eine solche Öffnung vorbereiten. Dies ist denke ich unsere Chance, die Idee kooperativer europäischer Sicherheit voranzutreiben, einer Sicherheit, die nicht ohne Russland oder gar gegen Russland erreicht werden kann.
Zweitens, die Charta von Paris legte den Grundstein für die OSZE. Und um eine stabilere europäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen, müssen wir die diese Organisation stärken.
Seit ihrer Gründung hat die OSZE wichtige Beiträge geleistet, um den Frieden auf unserem Kontinent zu erhalten. Ihre Sonderbeobachtermission in der Ukraine hilft, den aktuellen Waffenstillstand zu sichern. Und im Konflikt in Bergkarabach könnte die OSZE mit der Minsk-Gruppe eine Plattform für Verhandlungen über eine nachhaltige politische Lösung bieten.
Gleichzeitig steht die OSZE vor Herausforderungen, die wir überwinden müssen. Ihre Rüstungskontrollarchitektur im Bereich der konventionellen Waffen beispielsweise befindet sich in einem traurigen Zustand.
Der Strukturierte Dialog, den wir 2016 auf den Weg gebracht haben, könnte eine Ergänzung zu den Gesprächen zwischen den USA und Russland über nukleare Abrüstung darstellen und einem europäischen Dialog über Frieden und Sicherheit neue Perspektiven eröffnen.
Wenn die europäische Stimme in einem solchen Dialog gehört werden soll, muss sich die EU auf eine gemeinsame Position gegenüber Russland einigen, unter voller Nutzung der von Federica Mogherini etablierten fünf Prinzipien. Dies wäre auch ein Baustein für das souveränere Europa, über das Jean-Yves sprach.
Drittens, die Charta von Paris hat uns gezeigt, dass umfassende Sicherheit mehr bedeutet als Panzer, Raketen und nukleare Sprengköpfe. Die europäische Erfolgsgeschichte der vergangenen 30 Jahre basiert auf wirtschaftlicher Entwicklung und Fortschritten bei Menschenrechten, Medienfreiheit und Rechtsstaatlichkeit.
Die Idee der umfassenden Sicherheit ist der Fels, auf den sich unsere Sicherheit und unser Wohlstand gründen.
Und daran sollten diejenigen, die die Zivilgesellschaft unterdrücken, Journalisten inhaftieren und die Opposition in ihren Ländern drangsalieren, immer denken.
Konflikte wie der in Belarus werden sich ohne Achtung der Menschenrechte, politische Teilhabe und soziale Gerechtigkeit nicht beilegen lassen.
Und deshalb werden wir nicht aufhören, die OSZE in allen ihren Dimensionen, einschließlich der wirtschaftlichen, umweltpolitischen und menschlichen, zu unterstützen.
Meine Damen und Herren,
1990 war nicht das Ende der Geschichte. Aber die Charta von Paris hält eine entscheidende Botschaft für uns bereit: Sicherheit gründet sich auf Vertrauen. Und Vertrauen ist das Ergebnis eines Dialogs mit allen Betroffenen.
Und genau hier muss jede Diskussion über europäische Sicherheit beginnen.
Ihr Ziel besteht in nichts Geringerem als darin zusammenzuhalten „was zusammengehört“.
Vielen Dank.

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