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Außenminister Maas im Interview mit der französischen Zeitung Ouest-France

02.12.2019 - Interview

Aus Anlass seines Besuchs in der Bretagne sprach Heiko Maas mit der französischen Zeitung Ouest-France. Das folgende Interview ist dort in Auszügen erschienen.

Bundesaußenminister Heiko Maas
Bundesaußenminister Heiko Maas© Thomas Imo/photothek.net
Ist dies Ihr erster Besuch in der Bretagne? Warum sind Sie der Einladung von Jean-Yves Le Drian gefolgt?

Es ist in diesem Jahr sogar schon mein dritter Besuch. Anfang April war ich zum Außenminister-Treffen der G7 in Dinard – leider bei Dauerregen, aber die Kulisse war herrlich. Und im Juni war ich hier in Rennes beim Viertelfinale der Fußball-WM der Frauen, um das deutsche Team gegen Schweden zu unterstützen. Damals stimmte zwar das Wetter, aber leider ging das Spiel verloren.

Die Antwort auf Ihre zweite Frage ist sehr einfach: Ich bin Jean-Yves Einladung gefolgt, weil ich ihn sehr schätze und es politisch viel zu besprechen gibt.

Ab Januar 2020 soll diskutiert werden, wie die EU demokratischer gestaltet werden kann, auf Grundlage eines deutsch-französischen Arbeitspapiers.

Welche Neuerungen wünschen Sie sich?

Morgen nimmt die neue EU-Kommission ihre Arbeit auf. Ursula von der Leyen und ihr Team haben große Aufgaben vor sich: Klimawandel, Flucht und Migration, Digitalisierung, innere und äußere Sicherheit. Auf diese großen Fragen unserer Zeit brauchen wir europäische Antworten. Unser deutsch-französisches Papier ist ein Vorschlag, wie wir die europäische Demokratie für diese Herausforderungen besser aufstellen können – zusammen mit der neuen Kommission und dem Europäischen Parlament. Wir wollen den Bürgerinnen und Bürgern der EU mehr Gehör verschaffen. Und wir wollen unsere europäischen Werte stärken, wie Rechtsstaatlichkeit und die soziale Dimension Europas. Wir, Deutschland und Frankreich, wollen diesen Prozess gemeinsam vorantreiben. Unsere Ratspräsidentschaften 2020 und 2022 sind dafür die zeitliche Klammer.

Sind Sie für die Einführung von europäischen Bürgerkonsultationen über die Europawahlen alle fünf Jahre hinaus?

Es reicht es nicht mehr, die Bürgerinnen und Bürger alle fünf Jahre zur Wahl zu bitten. Wir brauchen sie viel stärker als „Experten in eigener Sache“. Die vielen Graswurzelbewegungen, das breite bürgerschaftliche Engagement und die lebendige Streitkultur in der EU zeigen doch, dass die Menschen sich einbringen wollen. Aber es gelingt uns Politikern noch nicht gut genug, dieses Engagement in europäische Entscheidungsprozesse einzuspeisen. Das wollen wir ändern. Die geplante „Konferenz zur Zukunft Europas“ muss den Bürgerinnen und Bürgern eine aktive Rolle geben. Im Auswärtigen Amt in Deutschland machen wir schon seit vielen Jahren gute Erfahrungen mit Bürgerdialogen zu Europa.

Wäre Deutschland zu Vertragsänderungen bereit um die Funktionsweise der EU zu verbessern?

Wichtig ist, dass wir die Handlungsfähigkeit der EU und die demokratischen Entscheidungsprozesse weiter stärken. In einer Welt im Umbruch kann Europa seinen Platz und seine Werte nur behaupten, wenn europäische Politik entschlossen gestaltet wird – nach innen wie nach außen. Ob wir dafür auch Vertragsänderungen brauchen, ist für mich nachrangig.

NATO - Präsident Macron meint, dass die NATO eine „leere Hülle“ sei, Sie schlagen die Schaffung einer Expertenkommission vor, um über die Zukunft der Organisation nachzudenken.
Gibt es also doch ein Problem mit NATO? Was muss sich ändern?

Die NATO ist sicherheitspolitisch ein Fels in der Brandung, die um uns herum tobt. Sie garantiert die Sicherheit in Europa und über den Atlantik hinweg – seit 70 Jahren. Deshalb sagen wir: Wir brauchen die NATO. Sie ist eine enorme Errungenschaft, mit der wir nicht leichtfertig umgehen dürfen. Aber die Debatte über die zukünftige politische Ausrichtung der NATO müssen wir natürlich führen, nur so bleibt die NATO auch in Zukunft lebendig. Deutschland hat dazu beim Außenministertreffen der NATO einen Vorschlag unterbreitet. Zu dieser Diskussion gehört auch, über den europäischen Pfeiler in der NATO zu sprechen: Wie müssen wir uns in Europa aufstellen, um das Bündnis als Ganzes zu stärken? Wir wollen die Allianz weiter entwickeln, damit wir besser auf die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen reagieren können.

Die Intervention der Türkei in Syrien stellt Europa vor ernste Sicherheitsprobleme, besonders auch Frankreich. Ist die Türkei ein verlässlicher Partner? Ist sie Teil der Werte-Allianz, die Sie verteidigen?

Die Türkei ist NATO-Mitglied – ohne Wenn und Aber. Für die NATO ist die Türkei von großer geostrategischer Bedeutung. Und umgekehrt braucht auch die Türkei die NATO. Wir müssen aber nicht drum herumreden: Die letzten Wochen haben klare Differenzen offengelegt. Das haben wir auch deutlich angesprochen. Nicht jedes Bündnis ist eine Liebesheirat. Aber es bleibt dabei: wir haben beiderseitig das strategische Interesse, weiter zusammenzuarbeiten.

Laut einer Umfrage der Körber-Stiftung wollen nur 22% der Deutschen auch in Zukunft unter dem Schutz dem US-amerikanischen Nuklearschirms stehen und 40% präferierten einen britisch-französischen Schutz? Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Die USA sind und bleiben der wichtigste Verbündete Europas. Das transatlantische Bündnis hat Europa 70 Jahre in Wohlstand und Freiheit garantiert. Zur Sicherheit Europas trägt auch die nukleare Abschreckung der NATO bei, die ganz maßgeblich auf den Fähigkeiten der USA ruht, trotz der unabhängigen französischen und britischen Fähigkeiten.

Was die Zukunft nuklearer Abschreckung angeht: Wir haben das Ziel eines “Global Zero”, also einer Welt ohne Nuklearwaffen. Eine große Mehrheit der Deutschen fordert das auch. Dieses Ziel können wir nur durch schrittweises Vorgehen erreichen, wenn wir dabei zugleich unsere Sicherheit steigern wollen. Das bedeutet aber, dass wir auch in schwierigem Fahrwasser zu konkreten Schritten bereit sein müssen. Durch den russischen Bruch des IN0F-Vertrages ist viel Vertrauen und ein Stück europäischer Sicherheit verloren gegangen. Deutschland hat den Nichtverbreitungsvertrag daher wieder auf die Tagesordnung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen gesetzt. Im nächsten Jahr steht die Überprüfungskonferenz an. Als Europäer müssen wir jetzt Klarheit herstellen, wie wir uns die Zukunft der Rüstungskontrolle und Abrüstung vorstellen. Für mich ist klar: Strategische Stabilität in Europa lässt sich nur erreichen, wenn Europäer und Amerikaner an einem Strang ziehen.

Ein Wort zu den gefallenen französischen Soldaten im Mali. Ist der Sahel eine europäische Herausforderung?

Der Tod der 13 französischen Soldaten hat uns tief getroffen. Wir sind in Gedanken bei ihren Angehörigen und ihren Kameradinnen und Kameraden. Wir sind selbst in Mal mit 1000 Soldaten in Mali präsent und stehen in dieser schweren Stunde an der Seite Frankreichs.

Die Lage im Sahel ist eine Herausforderung für die gesamte internationale Staatengemeinschaft. Deutschland und Frankreich haben beim G7-Gipfel in Biarritz die „Partnerschaft für Sicherheit und Stabilität im Sahel“ ins Leben gerufen. Wir fordern von unseren internationalen Partnern und von den Regierungen vor Ort, dass sie unser Engagement dort stärker unterstützen. Wir brauchen Verbesserungen bei der militärischen und zivilen Sicherheit, aber nicht nur dort: Nötig ist auch ein politische Dialog und Reformen, humanitäre Hilfe, Investitionen und vor allem: Perspektiven für die jungen Menschen im Sahel. In allen diesen Bereichen sind wir engagiert.


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