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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich des „Nuremberg Forum 2018“ zum 20. Jahrestag des Römischen Statuts

19.10.2018 - Rede
Rede von Außenminister Maas bei der Jubiläumskonferenz Römisches Statut
Außenminister Maas bei der Jubiläumskonferenz Römisches Statut© Thomas Koehler/photothek.net

Auf dem Weg hierher hatte ich ein Bild vor Augen, das wahrscheinlich fast alle von uns aus dem Geschichtsbuch kennen. Ein Schwarz-Weiß-Foto aus dem Jahr 1946. Es zeigt diesen Saal, den Saal 600 des Nürnberger Justizpalasts.

Dort drüben, auf der Anklagebank, saßen die Größen des Nazi-Regimes, davor ihre Anwälte. Ihnen gegenüber die Richter und Ankläger der Alliierten. Dazu Presse, Zuschauer und Polizisten.

Fast wie in einem ganz normalen Strafprozess. Und dennoch hat sich mir das Foto dieser Szene ins Gedächtnis eingebrannt.

Je mehr ich darüber nachgedacht habe, umso mehr wurde mir klar: Genau in dieser Normalität liegt das Besondere, das Historische.

Hier saßen Männer vor Gericht, die für die abscheulichsten Verbrechen der Geschichte verantwortlich waren. Die gegen alle Grundsätze menschlicher Zivilisation gehandelt hatten.

Und dennoch sannen ihre Richter nicht auf Rache. Sie gewährten den Angeklagten ein faires Verfahren. Und konfrontierten sie so mit genau den Grundsätzen menschlicher Zivilisation, gegen die sie auf so infame Weise verstoßen hatten.

Dieser Triumph der Zivilisation über die Unmenschlichkeit ist das, was die Nürnberger Prozesse bis heute ausmacht. Er macht diesen Ort, den Saal 600, so bedeutsam.

Hier wurde der Grundstein gelegt nicht nur für die Aufarbeitung der NS-Zeit in Deutschland. Ausgerechnet Nürnberg, die Stadt der Reichsparteitage der Nationalsozialisten, wurde zur Geburtsstätte eines neuen Verständnisses von Recht und Gerechtigkeit:

Niemand steht über dem Gesetz – auch nicht die Mächtigsten!

Robert H. Jackson, der US-amerikanische Chefankläger während der Nürnberger Prozesse, hat es in seinem Plädoyer so formuliert: „Dieser Prozess ist der verzweifelte Versuch der Menschheit, die Strenge des Gesetzes auf die Staatsmänner anzuwenden, die ihre Macht im Staate benutzt haben, die Grundlagen des Weltfriedens anzugreifen (...). Dieser Prozess ist ein Teil der großen Anstrengung, den Frieden sicherer zu machen.“

Anders ausgedrückt: Gerechtigkeit ist zwingende Voraussetzung für dauerhaften Frieden. Für mich steckt in dieser Erkenntnis eine, wenn nicht gar die größte Lehre des vergangenen Jahrhunderts.

Sie findet ihren Ausdruck im Römischen Statut, dessen 20-jähriges Jubiläum wir heute feiern. Verkörpert wird sie durch den Internationalen Strafgerichtshof, der wie kaum eine andere internationale Organisation für die Herrschaft des Rechts über das Unrecht steht.

Wenn manche nun ausgerechnet diese Institution für tot erklären, dann dürfen wir das nicht unwidersprochen hinnehmen. Im Gegenteil: Wir sollten dies als Ansporn nehmen, weiter mit aller Kraft für die weltweite Akzeptanz des Internationalen Strafgerichtshofs und seiner Rechtsprechung einzutreten.

Universalität bleibt unser Ziel - im Interesse der Opfer und mit Unterstützung aller, die wie wir auf die zivilisierende Kraft des Rechts setzen.

Der Zeitgeist scheint dem entgegenzuwirken. Wir alle kennen die Schwierigkeiten, mit denen der Gerichtshof zu kämpfen hat und auf die Sie, liebe Frau Bensouda, gleich sicher noch eingehen werden. Diese Schwierigkeiten sind aber kein isoliertes Problem des Völkerstrafrechts oder des Internationalen Strafgerichtshofs. Sie sind Symptome einer teils auch bewussten Abkehr von der regelbasierten Ordnung, einer weltweiten Krise des Multilateralismus.

Diese Krise macht natürlich vor dem Internationalen Strafgerichtshof nicht Halt, denn er steht ja gerade für die Einhaltung elementarer Regeln der Menschlichkeit.

So sehr uns diese Entwicklung umtreibt – ich bin zuversichtlich, dass wir ihr am Ende gewachsen sind. Diese Zuversicht speist sich aus drei Quellen:

Erstens: Trotz aller Widerstände ist es uns gelungen, das Völkerstrafrecht Schritt für Schritt weiterzuentwickeln. Ich gebe zu: Es hat lange gedauert bis der Internationale Strafgerichtshof diesen Sommer - über
70 Jahre nach Nürnberg - die Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression bekommen hat. Aber er hat sie bekommen.

Damit sind nun die vier Tatbestände festgelegt, die den Kern des Völkerstrafrechts bilden. Was aber noch wichtiger ist: Wir sind dem Traum von Männern wie Jackson etwas näher gekommen. Dem Traum, Krieg als Mittel der Politik ein für alle Mal hinter uns zu lassen.

Grund zu Optimismus gibt mir, zweitens, dass die Entschlossenheit derjenigen wächst, die den Strafgerichtshof vor unsachgemäßer Kritik und politischem Druck in Schutz nehmen. Die einer Erosion seiner Autorität entgegentreten.

Ich habe in den letzten Wochen mit zahlreichen meiner Kolleginnen und Kollegen darüber beraten, was wir dem Zerfall internationaler Ordnung entgegensetzen können. Daraus ist die Idee einer Allianz der Multilateralisten geboren - eines Zusammenschlusses von Staaten, die ihre Kräfte bündeln, um die regelbasierte Ordnung zu stützen und weiterzuentwickeln. Das Interesse an dieser Idee ist groß – gerade auch mit Blick auf die internationale Strafgerichtsbarkeit.

Erst vor wenigen Wochen haben sechs amerikanische Staaten gemeinsam die Initiative ergriffen und die von Ihnen, Frau Bensouda, eingeleiteten Vorermittlungen zur Lage in Venezuela weiter vorangebracht.

Wir begrüßen das ausdrücklich, auch weil dieses Beispiel zeigt: Der Glaube an den Internationalen Strafgerichtshof lebt - und zwar nicht nur hier in Nürnberg, sondern in vielen Teilen der Welt!

Mein dritter und letzter Punkt betrifft die zentrale Frage der Rechenschaftspflicht. Wir alle empfinden Schmerz und Wut, wenn schlimmste Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ungestraft bleiben. Ich denke zum Beispiel an die furchtbaren Giftgaseinsätze in Syrien. Aber auch jenseits dieses Konflikts, der mediale Aufmerksamkeit genießt, werden an vielen Orten immer wieder schreckliche Verbrechen begangen.

Doch wir sehen dem nicht mehr nur tatenlos zu. Gemeinsam mit Partnern haben wir neue Wege der Beweissicherung entwickelt. In Syrien sorgen wir so z.B. dafür, dass Beweise nicht unwiederbringlich verloren gehen.

Unsere Botschaft an Opfer und Täter lautet: Das letzte Wort muss die Gerechtigkeit haben!

Auch als Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen werden wir uns von dieser Maxime leiten lassen. Wir wollen dafür eintreten, dass Täter konsequent zur Rechenschaft gezogen werden.

Das wird angesichts der Fronten im Sicherheitsrat nicht leicht. Doch: Der Kampf um Gerechtigkeit verlangt Mut und Ausdauer, besonders von Deutschland. Denn: Der Kampf um Gerechtigkeit ist immer auch ein Kampf um die Würde des Menschen.

Meine Damen und Herren,

dieser Kampf wäre nicht zu gewinnen ohne die Kreativität und den Mut der Zivilgesellschaft. Ohne Menschen, die oft große Risiken eingehen im Kampf für die Menschenrechte. Ohne Partner wie Sie alle hier im Saal. Für diese Partnerschaft, für Ihre Unterstützung und Ihre Ausdauer möchte ich Ihnen herzlich danken.

Dieser Dank gilt ganz besonders auch unserem Gastgeber, der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien. Sie trägt ihr Ziel bereits im Namen: Die Durchsetzung der Prinzipien, die Robert H. Jackson, aber auch die Mütter und Väter des Römischen Statuts geleitet haben. Und zwar an dem Ort, an dem die Geschichte des Völkerstrafrechts ihren Anfang nahm.

Lassen Sie uns diese Geschichte gemeinsam fortschreiben! Ohne über die großen Herausforderungen hinwegzusehen, vor die uns die Krise des Multilateralismus stellt. Aber mit Zuversicht und im Vertrauen darauf, dass sich das Recht letztlich gegenüber dem Unrecht durchsetzt. Dies ist das Vermächtnis von Nürnberg.

Vielen Dank!

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