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Mit diplomatischen Mitteln lösen

01.12.2018 - Interview

Außenminister Heiko Maas im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung zu dem Konflikt in der Ukraine, Klimawandel und dem möglichen Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag.

Kriegsangst in der Ukraine. Deren Präsident Petro Poroschenko befürchtet eine russische Invasion und bittet Deutschland um Hilfe. Was werden Sie tun?

Das russische Vorgehen gegen ukrainische Schiffe ist inakzeptabel. Es darf nicht sein, dass jetzt das Asowsche Meer ein weiterer Konfliktherd wird, der letztlich auch unsere Sicherheit in Europa bedroht. Und bei allem Verständnis für die Sorgen der Ukraine: Wir wollen keine Militarisierung des Konflikts. Wir setzen daher alles daran, im Wege der Diplomatie diese Krise zu beenden. Es wird viel telefoniert und geredet in diesen Tagen. Ich selbst hatte Kontakt unter anderem mit dem russischen Außenminister Lawrow. Der Konflikt ist nicht mit militärischen, sondern mit diplomatischen Mitteln zu lösen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bietet sich als Vermittler in diesem Konflikt an. Ein gutes Angebot?

Grundsätzlich sind alle willkommen, die ein ernsthaftes Interesse an einer diplomatischen Lösung haben. Inwiefern nun der türkische Präsident der richtige Vermittler ist, sei dahingestellt.

Was wird aus dem deutschrussischen Erdgasprojekt Nordstream 2? Gehört es auf Eis, die wie Ukraine und die USA fordern?

Das ist ein wirtschaftliches Projekt. Es würde Niemandem helfen, wenn sich die deutschen und europäischen Unternehmen zurückziehen. Wir haben deutlich gemacht: Nord Stream 2 kann es nur geben, wenn der Gastransit durch die Ukraine auch über 2019 hinaus gesichert ist. Diese Zusage haben wir den Russen abgerungen. Es ist doch klar im europäischen Interesse, dass die Ukraine auch weiterhin eine Rolle als Transitland für russisches Gas spielt.

Aber die Ukraine selbst sieht das anders als Sie - warum?

Sie nimmt an, dass die internationale Staatengemeinschaft den Bau verhindern könne. Es handelt sich jedoch um ein Projekt der beteiligten Unternehmen. Wir werden allerdings darauf achten, dass die bestehende Gasdurchleitung durch die Ukraine, mit der Kiew ja Geld verdient, auch in Zukunft bestehen bleibt.

Warum kam es bisher nicht zu einer UN-Mission im Russland-Ukraine-Konflikt? Es scheint doch Einigkeit zu herrschen...

Beide Seiten haben aber sehr unterschiedliche Vorstellungen über die konkrete Ausgestaltung. Putin will ein kleines Format, Poroschenko erwartet eine robuste Mission. Diese verschiedenen Interessen müssen wir zusammenführen. Wir werden als Forum auch den UN-Sicherheitsrat nutzen, in dem Deutschland ab 1. Januar vertreten ist. Wir lassen nicht locker. Der Minsker Friedensprozess ist so festgefahren, dass neue Impulse dringend nötig sind. Eine UN-Mission wäre dafür ein wichtiger Bestandteil.

Trägt auch Poroschenko zur Eskalation bei? Hat er das Kriegsrecht auch deshalb ausgerufen, um seine Präsidentschaftswahl zu gewinnen?

Die freie und faire Durchführung der Wahlen im März ist von zentraler Bedeutung für die Zukunft der Ukraine. Darum ist es gut, dass das Kriegsrecht zunächst auf 30 Tage befristet ist und dann endet, wenn dort der Wahlkampf beginnt.

Aber auch nur auf Druck des Parlaments, nicht weil Poroschenko das so wollte…

…immerhin.

Umgekehrt: Welche Optionen bleiben, falls sich Russlands Präsident Putin erneut durch Machtdemonstrationen innenpolitisch profilieren will? Das war auch sein Grund für die Annexion der Krim…

Es gibt ja EU-Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die alle halbe Jahre verlängert werden. Nach den aktuellen Ereignissen dürfte die Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemand in der EU von diesen Sanktionen Abstand nehmen möchte, eher gesunken sein - Russland wiederum dürfte kein Interesse daran haben, dass weitere hinzukommen.

Nach russischer Darstellung zeigt sich ein Muster: Immer, wenn die Verlängerung von Sanktionen bevorsteht oder internationale Treffen wie jetzt der G20-Gipfel, stellt die Ukraine eine Kriegsgefahr als besonders groß heraus…

Die jeweiligen Darstellungen gehen sehr weit auseinander. Klar ist allerdings: Auf Basis der bislang bekannten Fakten gibt es für den Einsatz militärischer Gewalt durch russische Kräfte keine Rechtfertigung.

Nächste Woche beginnt die Klimakonferenz in Polen. Deutschland ist, Stichwort Braunkohle, nicht mehr Vorreiter beim Klimaschutz. Ist der nicht mehr so wichtig?

Nein, ganz im Gegenteil. Wir werden Deutschlands Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat in den kommenden beiden Jahren sehr intensiv dazu nutzen, auch den Klimaschutz zum vorrangigen Thema zu machen. Wenn es uns nicht gelingt, die Erderwärmung auf deutlich unter 2°C und möglichst auf 1,5°C zu begrenzen, werden die Klimawandelfolgen viele Staaten überfordern.

Der steigende Meeresspiegel droht die Existenz ganzer Nation zu gefährden.

Klimafragen betreffen unseren gesamten Planeten. Daher können wir hier nur globale Antworten geben. Die müssen gerade auch von den Industrieländern kommen. Deutschland muss beim Klimaschutz Vorbild bleiben. Ganz konkret wollen wir in Kattowitz eine Verständigung auf möglichst transparente und robuste Regeln für alle. Nur so können wir sicherstellen, dass wir am Ende ein klares Bild über den gemeinsamen Fortschritt bei der Umsetzung des Klimaabkommens haben.

Anderes Thema: Der Bestand des INF-Abrüstungsvertrags über Mittelstreckensysteme zwischen Russland und den USA ist gefährdet, weil US-Präsident Donald Trump mit Ausstieg droht. Ein Thema beim Treffen der Nato-Außenminister am 4.Dezember?

Ja. Und: Wir machen uns keine Illusionen. Die Haltung der USA ist in dieser Frage sehr klar. Die Russen haben bedauerlicherweise nicht dazu beigetragen, den Vorwurf der Vertragsverletzung ernsthaft zu entkräften. Deshalb müssen wir uns darauf einstellten, dass die USA die Kündigung vollziehen. Ich bedauere das sehr.

Moskau droht mit Gegenmaßnahmen. Wenn Trump den US-Ausstieg in die Tat umsetze, werde dies „die Welt gefährlicher machen“...

Schon Trumps Vorgänger Barack Obama hat auf russische Vertragsverletzungen in Sachen Mittelstreckenraketen hingewiesen. Die Russen hatten also viel Zeit, die Dinge klarzustellen. Doch nichts geschah. Jetzt steht uns eine sehr schwierige Debatte bevor. Aber: Selbst im Kalten Krieg gab es Dialog, um Transparenz zu schaffen und Fehleinschätzungen zu vermeiden. Daran wollen wir anknüpfen und dafür in den nächsten Monaten Partner in Europa gewinnen. Wir müssen alles dafür tun, die weltweiten Aufrüstungstendenzen zu stoppen. Es geht dabei um eine Überlebensfrage der Menschheit. Wir wollen nicht, dass Europa zum Schauplatz einer nuklearen Aufrüstungsdebatte wird.

Das heißt?

Wenn wir den Frieden in Europa bewahren wollen, müssen wir Abrüstungspolitik neu denken. Die derzeitigen Regeln sind teilweise löchrig. So wird etwa Chinas massive Aufrüstung bislang von keinerlei Vertrauensbildung begleitet. Auch dort müssen wir für größere Transparenz und Rüstungskontrolle werben. Es muss alles auf den Tisch. Unsere Regeln müssen mit der technologischen Entwicklung immer neuer Waffenarten Schritt halten. Es geht schon lange nicht mehr nur um herkömmliche Raketen und Bomben, sondern auch um Bits und Bytes. Manches mag uns noch wie Science-Fiction klingen - Weltraumwaffen etwa oder Flugkörper mit vielfacher Schallgeschwindigkeit. Doch wenn wir nicht vorausschauend handeln, wird aus Science-Fiction bald tödliche Realität. Ich denke dabei auch an autonome Waffensysteme die völlig außerhalb menschlicher Kontrolle töten. Darum müssen wir uns sehr intensiv kümmern.


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