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Rede von Außenminister Heiko Maas bei der Vergabe des Theodor-Wanner-Preises an Federica Mogherini

18.12.2019 - Rede

Liebe Federica,

Federica Mogherini, scheidende EU-Außenbeauftragte, und Außenminister Heiko Maas
Federica Mogherini, scheidende EU-Außenbeauftragte, und Außenminister Heiko Maas© Thomas Trutschel / photothek

vor gut einem Jahr hast Du dem Publikum bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse Deinen heimlichen Traumberuf verraten. Seitdem Du denken kannst, sagtest Du, wolltest Du Schriftstellerin werden.

Daraus ist bisher nichts geworden. Aber vielleicht tröstest es Dich, dass Du in den letzten fünf Jahren einen anderen Job aus dem künstlerischen Bereich innehattest: nämlich den einer Dirigentin.

Einer Dirigentin, die aus den vielen, vielen europäischen Stimmen einen klangvollen Chor geformt hat.

Zugegeben, und das weiß keiner besser als Du, Federica: Dieser Chor ist nicht ganz pflegeleicht. Die einzelnen Mitglieder sind durchaus selbstbewusst - und nicht wenige fühlen sich mitunter zum Solisten berufen.

Diesem europäischen Chor harmonische Töne zu entlocken – das war harte Arbeit. Auch in Anbetracht der vielen Auseinandersetzungen der letzten Jahre: sei es, wenn es um den Euro ging, oder den Umgang mit Flüchtlingen oder die Diskussionen um die Rechtsstaatlichkeit – die allesamt tiefe Gräben gerissen haben und innere Fliehkräfte in der Europäischen Union ausgelöst haben.

Europa trotzdem zusammenzuhalten, und zwar ohne Drohgebärden und immer darauf bedacht, dass niemand übertönt wird, war eine schier unglaubliche Leistung. Und dafür möchte ich Dir herzlich danken.

Nicht ohne Grund hast Du immer wieder betont, dass Du die Aufforderung: „Europa muss mit einer Stimme sprechen“ nicht ohne Weiteres teilst. Denn Dir war bewusst, dass die Europäische Union mit ihren bald wohl nur noch 27 Mitgliedsstaaten viele Stimmen hat.

Und es vor allen Dingen nicht das Ziel sein kann, diese zum Verstummen zu bringen. Sondern die Stimmen zusammenzubringen und dafür zu sorgen, dass möglichst alle vom selben Blatt singen.

Nuanciert, aber harmonisch – so, finde ich,klang die europäische Außenpolitik der Maestra Mogherini.

Und Du hattest Erfolg damit – und dafür gibt es ganz viele Beispiele. Natürlich

  • das Iran-Abkommen. Ohne Deinen unermüdlichen Einsatz – und oft bis weit über die physische Erschöpfungsgrenze hinaus - wäre dieser Erfolg europäischer Diplomatie nicht möglich gewesen. Das bestätigen alle, die dort dabei gewesen sind.
  • Ich denke aber auch an die Globale Strategie, die es ohne Dich wohl nie gegeben hätte. Weil Du erkannt hast, dass sich die Welt verändert hat – und wir Europäer in unserer Außenpolitik und bei unserer Sicherheit und Verteidigung viel enger zusammenarbeiten müssen, wenn wir in dieser Welt bestehen wollen. Das wird uns auch weit nach dem Ende Deiner Amtszeit noch begleiten. Das Fundament dieser Arbeit hast Du gelegt.
  • Und ich denke auch an die Operation Sophia vor der libyschen Küste, die erfolgreich gegen Schleuser gekämpft und viele Menschen vor dem Ertrinken bewahrt hat. Du hast diese Mission ins Leben gerufen, als andere nur geredet haben. Ein Akt der Menschlichkeit, der für mich stellvertretend für Dein gesamtes Handeln steht: Immer auf die Wirkung bedacht – und frei von jeglichem Zynismus. Es gibt in der internationalen Politik auch viele andere Beispiele.

Liebe Federica,

ich wünsche mir sehr, dass wir uns dies erhalten in Europa. Denn die Welt ist in den letzten Jahren eher zynischer geworden, disharmonischer oder, wie man heute sagt: disruptiv.

Wir erleben Diplomatie im Twittertakt, mit lauten Paukenschlägen und oft genug auch den Versuch, die Instrumente der internationalen Ordnung gleich komplett zu zertrümmern.

In dieser Welt ist es umso wichtiger, sich mit unserem europäischen Chor Gehör zu verschaffen. Dafür müssen wir andere nicht übertönen. Aber von Europa darf auch nicht nur dröhnendes Schweigen zu hören sein.

Dir ist das gelungen in den letzten Jahren: Europa sprechfähig zu machen. Und wenn man Beobachter fragt, wie, dann fallen zwei Vokabeln besonders oft: Empathie und Zuversicht.

Wie anders als mit Zuversicht ist es auch zu erklären, dass Du den Mut hattest, die Globale Strategie just am Tag nach dem Brexit-Referendum zu veröffentlichen? Keinen Moment hast Du aufgehört, an dieses Europa zu glauben. Auch nicht in diesem Moment. Als alle noch geschockt von dem Ergebnis waren, hast Du schon alle darauf eingeschworen, weiter an unserer Vision von Europa zu arbeiten.

„Ambition is our choice. Responsibility is our choice“, hast Du einmal gesagt.

Auch wenn du nun vom Dirigentenpult abgetreten bist – deine Arbeit für ein ambitioniertes und verantwortungsvolles Europa werden wir fortsetzen. Und das sind wir Dir auch schuldig.

Dass sich die neue Kommission zum Ziel gesetzt hat, eine „geopolitische Kommission“ zu sein, ist für mich auch ein direktes Erbe Deines europäischen Denkens. Und wir werden dies mit aller Kraft unterstützen, gerade im nächsten Jahr während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.

Aufgaben gibt es dafür mehr als genug:

  • die Ausgestaltung möglichst enger künftiger Beziehungen zu Großbritannien,
  • die Umsetzung einer echten europäischen Außenpolitik, vor allem gegenüber Ländern wie Russland oder China,
  • und auch die Weiterentwicklung des transatlantischen Verhältnisses,
  • die Verhandlungen über den Finanzrahmen für die nächsten sieben Jahre,
  • und ein noch ambitionierteres Vorgehen beim Klimaschutz - gerade nach dem Gipfel von Madrid - um sicherzustellen, dass der Green Deal keine leere Floskel bleibt,
  • die Verbesserung unserer Krisenmanagementfähigkeiten, gerade mit Blick auf die Konflikte in unserer Nachbarschaft, von denen es viel zu viele gibt,
  • genauso wie die Stärkung der Widerstandskraft unserer Demokratien in der digitalen Welt. Dass Europa dieses Zukunftsthema in den letzten Jahren angepackt hat, auch das ist ganz wesentlich Dein Verdienst.

Du hast dies immer als unerlässlichen Schritt gesehen, um Europas Souveränität auch im digitalen Zeitalter zu erhalten und zu stärken. Denn es geht nicht nur um strategische Souveränität, es geht auch um digitale Souveränität.

Und auch dafür ist es essenziell, die Einigkeit der Europäischen Union zu wahren und zu stärken.

Ein Europa der zwei, drei oder vier Geschwindigkeiten, das manche anstreben, das war nie Deine Vorstellung von Europa. Weil Du wusstest: Aus einem Europa der zwei Geschwindigkeiten wird schnell ein Zwei-Klassen-Europa.

Deshalb ist es so wichtig, sich auch mit schwierigen Partnern eng abzustimmen. Natürlich gab und gibt es Probleme, zum Beispiel bei Rechtsstaatlichkeitsfragen in Ländern wie Ungarn, Polen oder Rumänien. Und deshalb gibt es dazu auch klare entschlossene Verfahren innerhalb der EU.

Aber wirklichen Einfluss können wir doch nur nehmen, wenn wir die bestehenden Brücken erhalten, statt sie abzubrechen, wie das einigen anscheinend vorschwebt. Wenn Länder Mittel- und Osteuropas das Gefühl bekommen, dass sie eigentlich gar nicht mehr dabei sein sollen bei der europäischen Avantgarde, dann riskieren wir auch, sie zu verlieren. Dann schwächen wir Europa als Ganzes. Und dann erweisen wir übrigens auch der Rechtsstaatlichkeit in Europa einen Bärendienst.

Will Europa seine Interessen und Werte durchsetzen, dann geht das nur, wenn Europa sich nicht selbst zerlegt. Denn die Welt hat ein feines Ohr für die Dissonanzen, die es in Europa gibt.

Das erfordert Kompromissfähigkeit und Du, liebe Federica, hast immer verstanden, dass Kompromiss keine Schwäche ist. Du weißt um den Wert der Verständigung - und hattest die bei Politikern seltene Bereitschaft, einen anderen Standpunkt zu vertreten und weiter zu entwickeln. Und zu der Erkenntnis zu gelangen: In dieser Welt wird es ohne Kompromisse keinen Fortschritt geben.

Kurz: Du hast die Werte der europäischen Aufklärung übersetzt in die Praxis des politischen Geschäfts.

Und deswegen war europäische Außenpolitik für Dich auch immer eine kulturelle Aufgabe. Weil Du um die Notwendigkeit von Vielfalt als Teil unseres Kampfes gegen Populismus und Nationalismus wusstest.

Und dass die Schönheit, die aus dieser Verschiedenheit von Kulturen und Menschen wächst, die Grundlage unserer Identität ist in Europa.

Du hast das einmal sehr einfach und treffend beschrieben: „Es ist kein Widerspruch, gleichzeitig stolze Römerin, Italienerin und Europäerin zu sein“.

Ich muss oft an diesen Satz denken und habe ihn schon öfter zitiert und werde das auch weiter tun. Weiler gerade das zusammenfasst, was auch für mich Europa ausmacht. Die EU nimmt uns nichts weg von unserer nationalen oder auch regionalen Identität. Sondern sie schenkt uns im Gegenteil eine zusätzliche. Auch deshalb ist Europa kein Verlust, wie uns einige derzeit vormachen wollen, sondern ein großer Gewinn.

Es mag nicht immer leicht sein, im Getöse der Populisten, die ja auch in Deinem Heimatland großen Zulauf haben, mit solchen Botschaften durchzudringen. Aber: Umso entschiedener muss man dafür eintreten. Zur Verteidigung unserer Werte und unserer europäischen Kultur, deren Schönheit und Einzigartigkeit ja eben aus ihrer Vielfalt entsteht.

Du hast es besser verstanden als viele andere, dass Europa eben nicht nur ein wirtschaftliches und politisches, sondern auch immer ein kulturelles Projekt sein muss.

Dazu gehört Dein Eintreten für einen Dialog der und mit den Religionen. Erst vor wenigen Monaten hast Du dafür eine neue Plattform ins Leben gerufen, die im nächsten Jahr ihre Arbeit aufnimmt.

Und dass Du gerade in der arabischen Welt so großes Vertrauen genießt, hat sicher nicht nur mit Deiner Vertrautheit mit dieser Region zu tun, sondern eben auch mit dem Respekt, den Du anderen Religionen und Kulturen in Deiner Arbeit entgegenbringst.

Wie wichtig Dir dieser Aspekt Deiner Arbeit war, hat sich schon 2016 gezeigt, als Du die Bedeutung von „Kulturdiplomatie“ zum Bestandteil der Globalen Strategie gemacht hast.

Getreu dem Motto von Willy Brandt: „Außenpolitik ist zu wichtig, um sie den Staaten alleine zu überlassen“.

Gemeinsam haben wir dann 2017 auch das Thema „Kultur und Krise“ auf die europäische Agenda gesetzt. Der Kulturgutschutz wurde als Gegenstand der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik verankert – in der EU und über ihre Grenzen hinaus.

  • Etwa entlang der “Balkan Heritage Route”, die auf Deinen Einsatz zurückgeht und die in dieser oft zerrissenen Region in der Lage ist, Brücken zu bauen.
  • Oder beim Kulturerhalt im Irak, der eben weit mehr ist als der Erhalt von Kunstschätzen in einem Land, das noch vor wenigen Jahren kurz davor stand, entlang ethnischer und religiöser Linien zu zerfallen.

In diesem Sinne wollen wir auch weitere Schritte gehen. Zum Beispiel durch Überlegungen, unter der Leitung des Deutschen Archäologischen Instituts einen kleinen Reaktionsmechanismus für Kulturgüterschutz - ähnlich dem des Technischen Hilfswerks - aufzubauen. Auch das setzt ganz wesentlich an Deine Arbeit an.

Liebe Federica,

mit dem Theodor Wanner Preis ehrt das ifa Personen, die sich für den Dialog zwischen den Kulturen besonders verdient gemacht haben.

Du hast nicht nur Monat für Monat die kulturellen Differenzen, die vielen Stimmen, die unterschiedlichen Egos und Temperamente der europäischen Außenminister gemanaged. Du hast Europa hörbar gemacht für seine Freunde und Partner in der Welt. Aber auch für die, die das nicht sind.

Die fünf Jahre, in denen Du Dirigentin unseres europäischen Chors warst, hast Du großes Gespür und Durchsetzungskraft bewiesen, um Misstöne zu vermeiden. Und Du bist dabei sehr oft gefragt gewesen.

Letztlich hast du Maßstäbe gesetzt für das immer noch junge Amt der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik.

Wenn wir heute auf diese Zeit schauen, dann können wir froh sein, dass Du Dich nicht entschieden hast, Schriftstellerin zu werden und Geschichten zu schreiben.

Sondern in Brüssel und in der Welt europäische Geschichte geschrieben zu haben!

Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank für das, was Du in dieser Zeit getan hast!

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