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Rede von Außenminister Heiko Maas bei der Eröffnung des 1. Treffens der „Missile Dialogue Initiative“

18.10.2019 - Rede

Lieber Herr Ischinger,

sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

meine Damen und Herren,

im Jahr 2017 testete Nordkorea seinen ersten interkontinentalen ballistischen Flugkörper – zum Entsetzen der Weltgemeinschaft. Aus einer regionalen Gefahr war eine globale Bedrohung für Frieden und Sicherheit geworden.

Russland konfrontierte die Welt 2018 mit einer völlig neuen Waffenart: einem atomgetriebenen Marschflugkörper, den Präsident Putin als „unbesiegbar“ bezeichnete, einer Waffe, mit der sich selbst die technisch fortgeschrittensten Verteidigungssysteme überwinden lassen und die die strategische Stabilität in Europa in Gefahr bringen kann.

Premierminister Modi gab 2019 bekannt, Indien sei zu einer „Weltraum-Supermacht“ aufgestiegen, nachdem das Militär einen alten indischen Satelliten abgeschossen hatte. Nur vier Länder weltweit sind dazu in der Lage. Auch wenn Indien bekundet, sein Weltraumprogramm für friedliche Zwecke zu nutzen, so nimmt doch die Sorge um ein Wettrüsten im Weltall zu.

Schließlich wurden vor nur einem Monat zwei Erdöl-Raffinerien in Saudi-Arabien von Drohnen und Marschflugkörpern angegriffen. Angesichts der dort ohnehin äußerst angespannten Sicherheitslage hätte dieser Vorfall leicht einen Krieg in der ganzen Region auslösen können.

Meine Damen und Herren,

diese vier Beispiele zeigen, dass es sich bei unserer heutigen Diskussion über Raketen nicht um Science Fiction handelt. Ihre zunehmenden Reichweite, Geschwindigkeit und Präzision sorgen dafür, dass sich beinahe jede regionale Krise zu einem globalen Konflikt ausweiten kann. Ihre Weiterverbreitung stellt eine unmittelbare Bedrohung unseres Friedens und unserer Sicherheit dar – und zwar auf der ganzen Welt.

Wir stehen an einem Scheideweg: Wir können entweder auf dem bereits eingeschlagenen Weg weitergehen. Das ist der Weg, den Länder in ihrem Streben nach technologischem Vorsprung, nach Dominanz, beschreiten und der letztlich in einen globalen Rüstungswettlauf führt.

Wir werden viele Milliarden Euro, US-Dollar oder Rubel für technisch hochentwickelte Raketenprogramme und Verteidigungssysteme ausgeben – in der Hoffnung, uns so gut wie möglich zu schützen.

Das Misstrauen wird wachsen.

Das Risiko einer Eskalation wird zunehmen.

Und jede falsche Einschätzung könnte in einer Katastrophe münden.

Dies ist der Weg, auf dem wir uns zurzeit befinden.

Wir könnten es aber auch mit einer anderen Herangehensweise versuchen: mit mehr internationaler Zusammenarbeit. Dafür haben wir uns heute entschieden. Ich freue mich daher sehr, Sie alle in Berlin willkommen heißen zu dürfen! Jeder einzelne von Ihnen bringt seine besondere Sichtweise in unsere Diskussion ein: die chinesische, die russische, die indische, die pakistanische, europäische, amerikanische oder nahöstliche. Für mich gehen wir mit diesem Dialog bereits den ersten Schritt in Richtung Bewältigung der sicherheitspolitischen Herausforderungen, denen wir alle gegenüberstehen.

Wir müssen verstehen, wo jeder einzelne von uns steht, welche Interessen und Bedenken wir haben. So haben wir in der Vergangenheit für Frieden gesorgt. Das ist gelebter Multilateralismus. Und das ist der einzige Weg, wie wir auch in Zukunft Sicherheit schaffen können.

Meine Damen und Herren,

lassen Sie mich zur Eröffnung dieser Diskussion ein paar Worte aus dem deutschem Blickwinkel sagen.

Die Übereinkünfte zur Rüstungskontrolle, die jahrzehntelang unsere Sicherheit gewährleistet haben, sind in Auflösung begriffen. Der INF-Vertrag ist hierfür das bekannteste Beispiel.

Die bestehenden Regeln spiegeln noch immer die bipolare Welt von gestern wider.

Neue Technologien verändern die Art der Kriegsführung.

Und unsere regelbasierte internationale Ordnung hat einen blinden Fleck, was die Bedrohung durch Raketen betrifft.

Dies ist eine gefährliche Mischung. Wir müssen Rüstungskontrolle neu denken.

Im März haben wir daher hier in Berlin mit über 450 internationalen Fachleuten und Regierungsvertretern eine weltweite Debatte über die Zukunft der Rüstungskontrolle angestoßen.

Zusammen mit meiner schwedischen Kollegin und meinem Kollegen aus den Niederlanden haben wir eine ehrgeizige Agenda zur Rüstungskontrolle entworfen.

Nun arbeiten wir mit unseren Partnern daran, diese Agenda Schritt für Schritt umzusetzen.

Im April haben wir dafür gesorgt, dass sich der VN-Sicherheitsrat – zum ersten Mal seit 2012 – wieder mit nuklearer Abrüstung beschäftigt!

Letzten Monat hatten wir den Ko-Vorsitz einer Konferenz zur Beendigung sämtlicher Atomtests inne.

Anfang kommenden Jahres werden wir in Berlin das nächste Ministertreffen im Rahmen der Stockholmer Initiative zur nuklearen Abrüstung ausrichten.

Unser Ziel ist es, die nukleare Ordnung aufrechtzuerhalten und zu stärken.

Meine Damen und Herren,

ein weiteres zentrales Element unserer Agenda sind Sie – die “Missile Dialogue Initiative”. In Zeiten von “Fake News” und undurchsichtigen Rüstungsprogrammen ist Transparenz wichtiger denn je. Sie werden Ihre Treffen daher nicht hinter verschlossenen Türen abhalten, und wir werden dafür sorgen, dass die Ergebnisse Ihrer Arbeit in die internationale Diskussion einfließen.

Meine Hoffnung ist, dass diese Initiative als “Clearing House” für Ideen dienen wird. Ihre Analysen, die Fakten, auf die Sie sich einigen, und die von Ihnen vorgeschlagenen politischen Optionen werden nicht nur dabei helfen, unsere diplomatischen Bemühungen voranzutreiben. Letztendlich könnten sie einen Baustein liefern für ein Rüstungskontrollregime für das 21. Jahrhundert.

Meine Damen und Herren,

ein solches Kontrollregime wird weder schnell noch einfach zu erreichen sein. Dafür braucht es Mut und den politischen Willen, zusammenzuarbeiten und unsere Differenzen zu überwinden. Und wir brauchen Fachleute wie Sie. Sie können unsere Diskussionen bereichern und Lösungen vorschlagen, denn Sie wissen, was auf dem Spiel steht.

„Wer keinen Anfang wagt, der wird kein Ziel erreichen.“ Diese Zeile stammt übrigens nicht von mir, sondern von Bob Marley. Lassen Sie mich nur noch hinzufügen: Der heutige Tag ist ein guter Anfang.

Vielen Dank, dass Sie heute hier sind, und noch einmal herzlich willkommen in Berlin!

- deutsche Übersetzung der englischen Originalfassung -

Weitere Informationen

Die Raketentechnologie entwickelt sich rasant. Um den neuen Anforderungen gewachsen zu sein, hat Außenminister Maas die „Missile Dialogue Initiative“ ins Leben gerufen.

Rüstungskontrolle neu denken: Missile Dialogue Initiative

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