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Rede von Außenminister Heiko Maas in der Debatte zum Menschenrechtsbericht der Bundesregierung im Bundestag

12.12.2019 - Rede

Wenn wir über Fortschritt sprechen, unterliegen wir manchmal gefährlichen Illusionen. Als vor 71 Jahren erstmals das Wesen der Menschenrechte beschrieben wurde, und zwar als unteilbar, unveräußerlich, universell, da war das ein gewaltiger Fortschritt. Ja, wir haben in der Zeit bis heute viel erreicht, um diesem Streben auch mit Taten gerecht zu werden.

Allerdings: Manchmal neigt man auch dazu, den Fortschritt als etwas allzu Selbstverständliches zu empfinden. Die letzten Jahre haben vor allen Dingen eines gezeigt: Es gibt keinen Automatismus für den Fortschritt bei Menschenrechten. Stattdessen erleben wir einen besorgniserregenden Pushback, und zwar weltweit. In immer mehr Ländern - ja, auch im Westen - geraten Menschenrechte unter Druck.

Wie weit wir von einer tatsächlich gelebten Universalität der Menschenrechte entfernt sind, das zeigt der Blick auf die vielen Konflikte, mit denen wir es zurzeit zu tun haben: Gefangene werden in Syrien zu Tode gefoltert. Mehr als 1 Million Uiguren sind in China in Lagern interniert. Kritische Meinungsäußerungen werden etwa in Venezuela brutal unterdrückt. Würde ich diese Liste fortführen wollen, wäre das nicht möglich, weil mir dafür zu wenig Redezeit zur Verfügung steht.

Meine Damen und Herren,

es hilft aber wenig, diesen Pushback nur zu beklagen. Was wir brauchen, ist vielmehr eine neue Entschlossenheit, Menschenrechte nicht nur zu verteidigen, sondern sie sogar auszubauen und zu stärken. Wie schwierig das aber sein kann, das haben wir selbst gerade im April erlebt, als wir die Präsidentschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen innehatten. Dort wurden beharrlich sogar Selbstverständlichkeiten bei der Verhandlung zu einer Resolution zum Kampf gegen sexualisierte Gewalt in Konflikten infrage gestellt, und zwar auch von Seiten, von denen wir das überhaupt nicht erwartet haben. Doch am Ende konnte man diese Resolution verabschieden. Es zeigt sich, dass es sich auch dann, wenn es schwieriger wird, lohnt, sich überall für Menschenrechte einzusetzen und vor allen Dingen bei den Vereinten Nationen.

Meine Damen und Herren,

diesen Kampf für Menschenrechte müssen wir entschlossen weiterführen. Das werden wir auch tun, insbesondere wenn wir ab Januar 2020 parallel im Menschenrechtsrat und im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sitzen. Das ist eine Chance für uns, und die wollen wir nutzen.

Meine Damen und Herren,

die großen Herausforderungen unserer Zeit, sei es die Digitalisierung, die Globalisierung, die Migration oder auch der Klimawandel, kennen nicht nur keine Grenzen, sondern sie haben auch allesamt massive Auswirkungen auf die Umsetzung der Menschenrechte weltweit. Die Antwort darauf kann eigentlich nur sein, dass wir auf der internationalen Ebene so etwas wie eine Allianz für Menschenrechte brauchen. Eine solche Allianz haben wir gerade am Dienstag hier in Berlin auf einer großen Konferenz im Auswärtigen Amt im Rahmen der Allianz für den Multilateralismus ins Leben gerufen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wichtig ist, dass wir, wenn wir handlungsfähig bleiben wollen, auch in Europa einheitlicher auftreten. Nur wenn wir uns als Europäische Union zu Menschenrechtsfragen klar positionieren, wird es gelingen, diese Werte auch erfolgreich zu verteidigen und vor allen Dingen dabei selber glaubwürdig zu bleiben. Deshalb haben wir uns bei der letzten Sitzung des Außenrates der Europäischen Union dafür nicht nur eingesetzt, sondern ein Projekt auf den Weg gebracht, das der Europäischen Union dabei Glaubwürdigkeit vermitteln soll, nämlich ein Sanktionsregime bei Menschenrechtsverletzungen. Das ist ein Punkt, bei dem die Europäische Union mehr tun kann. Sie wird das in Zukunft tun. Darauf haben wir uns verständigt.

Meine Damen und Herren,

Glaubwürdigkeit heißt aber auch, national glaubwürdig zu sein. Deutschland wird international zugetraut, dass wir eine führende Rolle bei der Stärkung von Menschenrechten einnehmen. Und wir wollen diese Rolle auch einnehmen. Dafür müssen wir glaubwürdig sein. Wir müssen nicht nur auf andere zeigen, sondern wir müssen auch dafür sorgen, dass unsere selbstgesteckten Ziele national erreicht werden.

Der aktuelle Menschenrechtsbericht der Bundesregierung zeigt, dass auch wir uns nicht auf den erfolgten Fortschritten ausruhen können. Eine erste Auswertung des Nationalen Aktionsplans „Wirtschaft und Menschenrechte“ hat gerade eines deutlich gemacht: Eine Mehrheit der Unternehmen erfüllt die Vorgaben des Nationalen Aktionsplans noch nicht. Nur knapp ein Fünftel der Unternehmen setzt derzeit die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht um.

Von daher, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir begonnen, über die Ausgestaltung möglicher gesetzlicher Regelungen zu sprechen - nicht als Gängelung, sondern um vorbildliches Verhalten von Unternehmen zu belohnen und die schwarzen Schafe zur Rechenschaft zu ziehen. Auch das hat etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun.

Meine Damen und Herren,

aber auch das reicht nicht aus; denn ein nationaler Alleingang wird die Probleme nicht lösen. Deshalb streben wir auch an, einen Aktionsplan der Europäischen Union zu verantwortungsvoller Unternehmensführung umzusetzen. Wenn wir im nächsten Jahr die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union innehaben, haben wir eine gute Gelegenheit, dem Nachdruck zu verleihen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der englische Historiker Henry Thomas Buckle hat einmal gesagt: „Der größte Feind des Fortschritts ist die Trägheit.“ Er hat recht. Wir dürfen nicht zufrieden sein, sondern wir müssen uns weiter weltweit für das einsetzen, was vor 71 Jahren formuliert wurde: die Menschenwürde für alle - universell, unveräußerlich und unteilbar.

Herzlichen Dank.

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