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Rede von Außenminister Heiko Maas bei der virtuellen Konferenz „Menschenrechte im Zeitalter der künstlichen Intelligenz: Europa als internationale Normsetzungsinstanz im Bereich der Künstlichen Intelligenz“

20.01.2021 - Rede

Als Mann mit zwei Gesichtern – so beschrieben die Römer Janus, ihren Gott der Dualität. Er symbolisierte, dass die meisten Dinge im Leben eine Licht- und eine Schattenseite aufweisen.

Wie Janus hat auch unser digitales Zeitalter zwei Gesichter: Neue Technologien bringen der Menschheit Fortschritt. Aber sie bergen auch Risiken für unsere Werte und unsere demokratischen Gesellschaften.

Das gilt besonders für künstliche Intelligenz:

  • Künstliche Intelligenz fördert das Wirtschaftswachstum. Aber die militärische Nutzung von künstlicher Intelligenz kann autonome Waffensysteme schaffen, die ohne menschliche Kontrolle töten.
  • Künstliche Intelligenz hilft uns bei der Pandemiebekämpfung. Sie beschleunigt die Entwicklung von Impfstoffen und Therapien. Aber Kontrollwerkzeuge für öffentliche Gesundheit werden auch von autoritären Staaten genutzt, um Massenüberwachung auszuweiten – in China und anderenorts.
  • Soziale Netzwerke optimieren mit künstlicher Intelligenz unsere Timelines und vernetzen uns mit Freunden. Aber solche Anwendungen können auch dazu führen, dass sich Filterblasen bilden, Polarisierung zunimmt und Demokratie destabilisiert wird.

Die Gewalttaten im Kapitol in Washington haben uns alle schockiert. Aber sie kamen nicht aus heiterem Himmel. Denn jahrelang boten soziale Netzwerke Präsident Trump eine Bühne, von der aus er Lügen und Hass verbreiten konnte.

Ihr Geschäftsmodell basiert ja darauf zu polarisieren. Dann plötzlich verbannten sie Trump in einer überraschenden Wendung von ihren Plattformen.

Beide Verhaltensweisen werfen ernste Fragen auf – für unsere Demokratien, für die Menschenrechte und zu der Frage, wie wir unsere Debatten und unser Zusammenleben gestalten wollen.

Eines aber ist klar: Wir können es nicht einfach Algorithmen oder CEOs im Silicon Valley überlassen zu entscheiden, wo die Trennlinie zwischen Meinungsfreiheit und strafwürdiger Hassrede verläuft.

Dies muss von demokratischen Parlamenten und Regierungen beschlossen werden – in rechtsstaatlicher Weise und unter Einhaltung der Menschenrechte.

Die meisten digitalen Plattformen erkennen mittlerweile diese Notwendigkeit staatlicher Regulierung an.

Dies war 2018 noch nicht der Fall, als wir hier in Deutschland Regeln für die sozialen Netzwerke einführten, nach denen sie Hassverbrechen und Desinformation bekämpfen müssen.

Doch solche nationalen Regelungen reichen schlichtweg nicht. Das Internet kennt keine nationalen Grenzen, genauso wenig wie die dort verübten Straftaten und sonstigen Rechtsverstöße. Wir müssen daher in multilateraler Zusammenarbeit internationale Normen festlegen.

Das ist keine einfache Aufgabe. Die Rivalität der Großmächte hat zu einer neuen Geopolitik um Bits und Bytes geführt. Daraus bilden sich zwei Machtpole:

Auf der einen Seite das chinesische Digitalmodell, das Technologie in den Dienst von staatlicher Überwachung und Repression stellt.

Auf der anderen Seite Silicon Valley mit seiner schrankenlosen Marktorientierung und seinen monopolistischen Technologie-Unternehmen, die jüngst sogar in den USA ins Visier der Regulatoren geraten sind.

Als Europäer haben wir kein Interesse an einer digitalen Spaltung in zwei Machtblöcke. Wir wollen mit Partnern aus aller Welt zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass Demokratie von modernen Technologien profitiert und nicht ausgehöhlt wird. Und ich bin zuversichtlich, dass Joe Biden hierbei ein starker Partner sein wird.

Wir sollten aber nicht auf Washington warten. Wir müssen uns vielmehr bemühen, weiter unser eigenes europäisches Digitalmodell zu entwickeln, das

  • den Menschen in den Mittelpunkt stellt,
  • offen für die Welt bleibt und
  • unsere Werte und unsere Demokratie bewahrt.

Auf künstliche Intelligenz angewendet heißt das:

Erstens muss Europa seine eigenen Fähigkeiten entwickeln. Der neue EU‑Haushalt und der Wiederaufbaufonds sehen deshalb 200 Milliarden Euro für Digitalisierung einschließlich künstliche Intelligenz vor.

Zweitens müssen wir Normen zu künstlicher Intelligenz festlegen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Solche europäischen Normen können weltweit Maßstäbe setzen. Mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und anderen internationalen Übereinkünften haben wir hierfür verlässliche Rechtsgrundlagen.

Wie wir diese Rechtsgrundlagen mit neuen und spezifischen Regeln auf künstliche Intelligenz anwenden können – das ist die Frage, mit der wir uns heute beschäftigen:

  • Künstliche Intelligenz ist überaus komplex. Deshalb müssen wir die Kontrolle von Algorithmen durch Menschen sicherstellen – um Verantwortlichkeit zu gewährleisten und das Vertrauen der Nutzer aufzubauen.
  • Auch künstliche Intelligenz kann vorurteilsbeladen sein. Technologie für Gesichtserkennung ist für Menschen mit dunkler Hautfarbe weniger zuverlässig. Wir müssen dafür sorgen, dass künstliche Intelligenz Diskriminierung nicht verschärft, sondern abbaut.
  • Künstliche Intelligenz und „Tracing“-Technologien werden von Unternehmen wie Staaten bereits genutzt. Hier brauchen wir strenge Regeln, um die Privatsphäre zu schützen.
  • Und schließlich kann die Nutzung von künstlicher Intelligenz durch soziale Netzwerke Polarisierung verschärfen, wenn „Echokammern“ entstehen. Deshalb brauchen wir gemeinsame Regeln gegen Extremismus und Hassrede im Internet.

In allen diesen Bereichen hat sich der Europarat in enger Zusammenarbeit mit der Europäischen Union als wichtiger Normensetzer bewährt. Während unseres Vorsitzes im Minsterkomitee wollen wir diese Rolle weiter ausbauen.

Die im Dezember verabschiedete Machbarkeitsstudie für einen internationalen Rechtsrahmen für künstliche Intelligenz war ein wichtiger Schritt. Und diese Konferenz wird nach meiner Überzeugung ein weiterer solcher Schritt sein.

Vielen Dank!

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