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Jemen braucht internationale Hilfe, um einer Tragödie zu entkommen

Medizinische Mitarbeiter in Schutzkleidung stehen am Eingang der Intensivstation eines Krankenhauses in Sanaa, Jemen, auf der COVID-19-Patienten stationiert sind

Medizinische Mitarbeiter in Schutzkleidung stehen am Eingang der Intensivstation eines Krankenhauses in Sanaa, Jemen, auf der COVID-19-Patienten stationiert sind, © dpa

01.07.2020 - Namensbeitrag

Schweden, Deutschland und das Vereinigte Königreich machen gemeinsam Vorschläge, wie Staaten zusammenarbeiten können, um das Land vor dem Zusammenbruch zu retten

Nach dem Arabischen Frühling schien es, als hätte Jemen den Weg eines friedlichen politischen Wandels eingeschlagen. Die Zivilgesellschaft blühte auf und Jemenitinnen und Jemeniten aller Bevölkerungsgruppen, einschließlich der Frauen und jungen Menschen, beteiligten sich an der Gestaltung der Zukunft ihres Landes. Heute, nach sechs Jahren Krieg, ist diese Hoffnung nahezu geschwunden. Jemen steht am Rande des Zusammenbruchs.

Durch COVID-19 gerät das fragile Gesundheitssystem des Landes an seine Belastungsgrenze. Nach einer Berechnung der London School of Hygiene and Tropical Medicine könnte Jemen die Grenze von einer Million COVID-19-Fällen letzte Woche überschritten haben, und die Fallzahlen steigen weiter rasch an.

Wir haben eine globale Verantwortung, das Leiden des jemenitischen Volkes zu lindern. Wir – die Außenminister Deutschlands, Schwedens und des Vereinigten Königreichs – möchten gerne erläutern, wie die internationale Staatengemeinschaft aus unserer Sicht zum Frieden beitragen kann.

Zunächst einmal bleiben ein landesweiter Waffenstillstand und eine politische Einigung Jemens beste Mittel im Kampf gegen die Pandemie. Infolge des Aufrufes des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, António Guterres, zu einem weltweiten Waffenstillstand als Reaktion auf COVID-19 kündigte die von Saudi-Arabien geführte Koalition im April einen einseitigen Waffenstillstand an. Leider erwiderten die Huthi-Rebellen dies nicht und die Kämpfe gingen weiter. Die Huthi-Rebellen feuerten noch in der letzten Woche ballistische Flugkörper in Richtung Saudi-Arabien, auch auf zivile Ziele, und gefährdeten so skrupellos das Leben von Zivilisten. Wir dürfen nicht länger warten, während Zivilisten weiter leiden und sterben. Die internationale Staatengemeinschaft muss alle Akteure drängen, den Vorschlag der Vereinten Nationen über einen Waffenstillstand anzunehmen. Dies sollte der Beginn eines politischen Prozesses sein, und die uneingeschränkte Beteiligung von Frauen muss gewährleistet sein.

Zweitens muss die humanitäre Hilfe zu all jenen in der jemenitischen Bevölkerung gelangen, die diese benötigen. Um dies zu erreichen, benötigen die Vereinten Nationen dringend weitere Finanzmittel. Zusammen haben unsere drei Staaten vor Kurzem zusätzliche Finanzierungszusagen in Höhe von 365 Millionen US-Dollar gemacht, um die humanitäre Arbeit der Vereinten Nationen in Jemen in diesem Jahr zu unterstützen. Andere Länder müssen diesem Beispiel folgen und großzügig und rasch Finanzmittel bereitstellen. Wir müssen auch an der Beseitigung aller Hindernisse arbeiten, die weiterhin die humanitären Hilfsorganisationen daran hindern, effektiv in Jemen ihre Arbeit zu tun. Dies ist insbesondere in den nördlichen Gebieten des Landes der Fall, die von den Huthi-Rebellen kontrolliert werden. Die Reaktion auf COVID-19 kann nur dann erfolgreich sein, wenn alle jemenitischen Parteien ihre Beschränkungen für Hilfe aufheben.

Drittens müssen wir die Umsetzung bestehender Abkommen fördern. Dies umfasst das Stockholmer Abkommen, in dem zu einem beidseitigen Rückzug aus der Hafenstadt Hodeidah aufgerufen wird, und das Abkommen von Riad. Vollständig umgesetzt, würden die Verpflichtungen, auf die sich die Parteien früher geeinigt haben, die Bemühungen der Vereinten Nationen unterstützen, einen umfassenden Frieden zu erzielen.

Viertens muss die bereits geschwächte Wirtschaft am Leben erhalten werden, damit Jemen sich wirksam von COVID-19 erholen kann. Die indirekten Folgen der Coronavirus-Pandemie könnten noch gravierender sein als die direkten Folgen. Insbesondere müssen Jemens Partner die Regierung Jemens dabei unterstützen, die Gehälter in der öffentlichen Verwaltung zu zahlen — nicht zuletzt dem medizinischen Personal — und dringende wirtschaftliche Reformen durchzuführen.

Und zuletzt erwarten wir die uneingeschränkte Einhaltung des Völkerrechts, einschließlich des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte, von allen Akteuren. Alle Parteien müssen gewährleisten, dass Zivilisten in diesem grausamen Krieg geschützt werden. Dies umfasst den Schutz für religiöse Minderheiten, Frauen, Kinder, Journalisten und politische Gefangene. Wir appellieren an die Huthi-Rebellen, ihre Ankündigung, Anhänger des Bahai-Glaubens freizulassen, umzusetzen. Die Lieferung von Waffen an die Huthi-Rebellen, einschließlich der Waffen iranischen Ursprungs, ist eine Verletzung des Waffenembargos der Vereinten Nationen, wie dies die Sachverständigengruppe der VN nachgewiesen hat, und führt nur zu einer Ausweitung des Konflikts. Dies muss aufhören.

Wir sind bereit zu helfen, sobald ein Abkommen erzielt wird, das den Konflikt beendet und die Zersplitterung des Landes wieder rückgängig macht. Eine geeinte internationale Staatengemeinschaft muss diejenigen stoppen, die versuchen, den Konflikt zu ihrem eigenen Nutzen auszuweiten. Wir stellen uns ein Abkommen vor, das auf geteilter Macht, Kompromiss und Rechtsstaatlichkeit beruht. Zwei von uns vertreten Mitgliedstaaten der EU und wir ermutigen diese, eine stärkere Rolle in Jemen zu spielen.

Der aus einem Friedensabkommen hervorgehende Jemen muss eine konstruktive und aktive Rolle in der Region spielen — und zur Sicherheit seiner direkten Nachbarn Saudi-Arabien und Oman beitragen. Unsere drei Länder stehen bereit, um Jemens Wandel hin zu einer positiven Kraft für regionale Sicherheit zu unterstützen.

Unter der düsteren Wolke von COVID-19 steht Jemen vor einer gewaltigen Tragödie. Es ist höchste Zeit, dass die internationale Staatengemeinschaft sich zur Unterstützung des jemenitischen Volkes zusammenschließt. Jemen könnte verwandelt werden. Anstatt vom Leiden bestimmt zu werden und als eine Bedrohung für die regionale und internationale Sicherheit zu gelten, könnte Jemen ein Modell für andere zersplitterte, sich in Konflikten befindende Staaten und ein Katalysator für eine größere Sicherheit in einer Region mit widerstreitenden Interessen werden. Wir stehen bereit, um mit Jemen zusammenzuarbeiten und das Land dabei zu unterstützen, diese humanitären und strategischen Ziele zu erreichen.

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