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Deutschland und Frankreich: „Für eine Wiederaufnahme des Dialogs – jetzt!“

23.05.2020 - Namensbeitrag

Ein gemeinsamer Artikel des französischen Außenministers Le Drian und des deutschen Außenministers Maas zur Situation auf dem Westbalkan und den serbisch-kosovarischen Beziehungen. Dieser Artikel erschien heute (23.05.) in Serbien (BLIC) und Kosovo (Koha Ditore and Kossev portal).

Das Coronavirus hat unseren Alltag auf den Kopf gestellt. Es birgt das Risiko, dass die Konflikte, Verwundbarkeiten und Ungleichheiten, die in Europa und der Welt seit Jahren bestehen, noch verschärft werden. Wir sind uns dieses Risikos bewusst und möchten ihm durch verstärkte internationale und europäische Zusammenarbeit gemeinsam etwas entgegensetzen.

Auch einige unserer alten Konflikte und internen Streitigkeiten werden in ein neues Licht gerückt. Das Virus führt uns vor Augen, wo wir uns ändern müssen. Und mit „wir“ meinen wir ganz Europa – die EU-Mitgliedstaaten ebenso wie die Länder, die den Weg in unsere Union eingeschlagen haben. Keine Region ist der EU näher als die sechs Staaten des Westlichen Balkans – geographisch, historisch, politisch und dank zwischenmenschlicher Kontakte.

Dies ist der Grund, warum wir uns heute an unsere Partner in den westlichen Balkanstaaten wenden. Wir sitzen alle im selben Boot. Das Virus kennt keine Grenzen. Dasselbe muss auch für unsere Gegenmaßnahmen gelten. Bereits im März hat die Europäische Union ein Förderpaket für die Staaten des Westlichen Balkans angekündigt, um dem unmittelbaren Bedarf im Gesundheitswesen Rechnung zu tragen und die sozioökonomische Erholung der Region zu stützen. Bisher wurden mehr als 3,3 Mrd. Euro mobilisiert. Der EU-Westbalkan-Gipfel, der unter kroatischer Präsidentschaft am 6. Mai stattfand, hat dieses starke Signal der Solidarität unterstrichen. Die beispiellose Unterstützung übertrifft bei weitem das, was andere Partner der Region zur Verfügung gestellt haben. Darüber hinaus bietet die EU auch Hilfe durch die Erleichterung des freien Warenverkehrs an. Dies umfasst den uneingeschränkten Handel mit Schutzausrüstung wie Masken und Handschuhen sowie die Schaffung grüner Vorfahrtsspuren (Green Lanes), um den Grenzverkehr zwischen der EU und den Westbalkanstaaten zu erleichtern. Die Unterstützung, die die EU leistet, wird auf bilateraler Ebene von den Mitgliedstaaten ergänzt. Deutschland beabsichtigt, die Region mit zusätzlichen 10 Mio. Euro zu unterstützen und auch die französische Entwicklungsagentur AFD plant, ihre finanziellen Zusagen für den Umgang mit den Folgen der Krise zu erhöhen.

Unsere Reaktion unterstreicht unser Engagement für die Staaten des Westlichen Balkans und die europäische Perspektive der Region. Trotz des Lockdowns einigten sich die europäischen Staats- und Regierungschefs am 25. März auf eine neue und wirksamere Erweiterungsmethodologie, die allen Akteuren größeren politischen Einsatz abverlangt, um die Reformen, die alle Länder vor einem EU‑Beitritt durchführen müssen, besser zu unterstützten. Außerdem beschlossen die Staats- und Regierungschefs der EU, Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien aufzunehmen.

In der Zusammenarbeit mit Serbien und Kosovo sind wir entschlossen, alle verbleibenden Hindernisse auszuräumen. Die ungelöste Situation zwischen beiden Ländern bleibt ein destabilisierender Faktor für den gesamten westlichen Balkan und ist somit für ganz Europa von sicherheitspolitischer Bedeutung. Sie steht der dringend benötigten Wirtschaftsentwicklung im Wege und behindert politischen Fortschritt. Aus diesem Grund haben die EU‑Mitgliedstaaten einen der erfahrensten europäischen Diplomaten, Miroslav Lajčák, zum EU‑Sonderbeauftragten für den Dialog zwischen Belgrad und Pristina und andere regionale Angelegenheiten des Westlichen Balkans ernannt. Frankreich und Deutschland stehen bereit, ihn und sein Team politisch, diplomatisch und wirtschaftlich nach Kräften zu unterstützen. Im April 2019 sind die Staats- und Regierungschefs der Region auf Einladung von Bundeskanzlerin Merkel und Staatspräsident Macron zu einem Gipfeltreffen nach Berlin gereist. Jetzt, wo Miroslav Lajčák im Amt ist, ist es höchste Zeit, den Dialog wieder aufzunehmen. Ziel ist ein nachhaltiges, umfassendes, rechtlich bindendes Abkommen zwischen Belgrad und Pristina, das alle offenen Fragen regelt und zur regionalen Stabilität beiträgt. Staatspräsident Macron hat seine Bereitschaft erklärt, ein zweites Gipfeltreffen in Paris auszurichten. Dialogbereitschaft ist allerdings die Voraussetzung dafür.

Wir sind uns der zahlreichen offenen Fragen bewusst, die geklärt werden müssen, bevor eine Einigung erzielt werden kann. Es gibt dabei weder Abkürzungen noch „quick fixes“. Eine ernsthafte Herangehensweise erfordert gut strukturierte, fundierte Verhandlungenmit der EU als ehrlichem Makler. Wir brauchen robustere Vermittlungsbemühungen und politische Entschlossenheit. Beides darf man von Miroslav Lajčák und seinem Team erwarten. Zudem werden sowohl der Hohe Vertreter Borrell als auch Berlin und Paris den Prozess unterstützen und begleiten.

Es ist ermutigend zu sehen, wie pragmatisch Kosovo und Serbien bisher grenzübergreifend bei der Bekämpfung des Coronavirus zusammengearbeitet haben. Auch die Entscheidung von Ministerpräsident Kurti, die Zölle in Höhe von 100 % auf Waren aus Serbien sowie Bosnien und Herzegowina auszusetzen, begrüßen wir. Wir erwarten auch von Serbien, dass es seinen Beitrag leistet. Darüber hinaus erwarten wir, dass alle Vereinbarungen, die durch den von der EU unterstützten Dialog seit 2011 zwischen Belgrad und Pristina getroffen wurden, umgesetzt werden.

Jetzt ist nicht die Zeit für politische Winkelzüge. Die aktuelle Krise wird soziale Spannungen und die politische Unzufriedenheit weiter vertiefen. Wer die Forderungen der Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt, muss dafür sorgen, dass Institutionen gestärkt, Korruption und organisierte Kriminalität bekämpft und wirtschaftliche Chancen für alle Menschen eröffnet werden. Das ist der Weg in die Zukunft, den wir vorschlagen. Das ist der Weg, den wir an Ihrer Seite beschreiten wollen.

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