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Wer, wenn nicht wir?

14.02.2019 - Namensbeitrag

Beitrag der Außenminister Heiko Maas und Jean-Yves Le Drian (Frankreich) zum Auftakt der Münchner Sicherheitskonferenz. Erschienen in der Süddeutschen Zeitung.

Die multilaterale Ordnung steckt in ihrer vielleicht tiefsten Krise seit ihrer Entstehung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Überzeugung, dass ein internationales, regelbasiertes System die beste Garantie für unsere Sicherheit und unseren Wohlstand darstellt, ist leider kein Selbstläufer mehr. Vertrauen und Verbindlichkeit im Rahmen internationaler Zusammenarbeit, die Suche nach gemeinsamen Lösungen, starke und handlungsfähige Institutionen - all diese Werte und Prinzipien drohen ihre Prägekraft zu verlieren und uns zurück in eine „Welt von gestern“ zu bringen. Auch auf der 55. Münchner Sicherheitskonferenz wird in diesem Jahr der kritische Zustand des Multilateralismus, also die auf Kooperation beruhende Außenpolitik mehrerer Staaten, die Diskussionen bestimmen.

Die internationale Ordnung steht unter massivem Druck. Einige Akteure setzen verstärkt auf Machtpolitik und untergraben die Idee einer regelbasierten Ordnung, um das Recht des Stärkeren durchzusetzen. Gleichzeitig steigt in vielen Gesellschaften, auch in manchen westlichen, die Kritik an einer scheinbar ineffizienten internationalen Zusammenarbeit. Es mehren sich die Stimmen, die diese als zu kostspielig ablehnen und so tun, als ob sich globale Probleme wie der Klimawandel, Migration und Cybersicherheit innerhalb nationaler Grenzen in den Griff bekommen lassen. Das Resultat von Großmachtwettbewerb und wachsendem Nationalismus ist eine zunehmend zersplitterte Weltordnung - politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich.

Um diesem Trend etwas entgegenzusetzen, müssen gleichgesinnte Staaten gemeinsame Sache machen und ihren Einsatz für den Multilateralismus verdoppeln. Frankreich und Deutschland wollen dabei Vorreiter sein. Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern setzen wir auf multilaterale Zusammenarbeit und eine regelbasierte Weltordnung. Wir sind davon überzeugt, dass ein neues Bekenntnis zum Multilateralismus, eine Allianz für den Multilateralismus, notwendiger denn je ist, um die regelbasierte Weltordnung zu stabilisieren, ihre Prinzipien zu wahren und dort, wo notwendig, auch an neue Herausforderungen anzupassen. Daher wollen wir mit Partnern weltweit ein Netzwerk von Gleichgesinnten knüpfen, die überzeugt sind, dass die Verfolgung legitimer, nationaler Interessen einerseits und der Schutz kollektiver Güter der Menschheit andererseits keinen Gegensatz darstellen, sondern völlig vereinbar sind.

Wir müssen internationale Normen, Abkommen und Institutionen schützen, wenn sie unter Druck geraten, ihr Fortbestand oder ihre Finanzierung gefährdet sind. Dazu gehören das internationale Recht ebenso wie Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht, die täglich rund um die Welt verletzt werden und damit Konflikte befördern. Das bedeutet, dass wir für einen offenen und fairen Welthandel eintreten. Und es heißt, dass wir alles daran setzen, bedeutende diplomatische Erfolge wie das Nuklear-Abkommen mit Iran, die Vereinbarungen zum Schutz vor Klimawandel oder die Rüstungskontrollregimes zu bewahren.

Wir werden auch dort noch engagierter und durchsetzungsfähiger sein müssen, wo politischer Regelungsbedarf besteht und wo neue Herausforderungen ein gemeinsames Vorgehen erfordern. Das gilt insbesondere mit Blick auf regionale Krisen und neue Mechanismen für die internationale Sicherheitszusammenarbeit. Wir werden uns im digitalen Zeitalter für angemessene Regulierung einsetzen, die Privatheit und Sicherheitsbedenken mit der Verteidigung individueller Freiheiten vereinbart. Und wir wollen effektive multilaterale Antworten auf Cyberangriffe und die bösartige Manipulation von Information formulieren.

Zweifellos ist das derzeitige multilaterale System nicht perfekt. Es ist nicht immer in der Lage, auf die unzähligen Herausforderungen geeignete Antworten zu finden. Diejenigen, die wie wir für den Multilateralismus einstehen, müssen daher auch dafür sorgen, dass er effizienter, repräsentativer und agiler wird. Die globale politische und wirtschaftliche Ordnung muss inklusiver und effektiver sein, um greifbare Erfolge für die Bürgerinnen und Bürger weltweit zu liefern.

Die Herausforderungen sind riesig. Es gibt nicht den einen Lösungsansatz. Vielmehr gilt es, intelligente Netzwerke von engagierten Staaten zu bilden, um durch eine variable Geometrie und vielfältige Mitgliedschaft maximale Durchschlagskraft zu erlangen. Je nach Themenfeld sollten sich Koalitionen aus gleichgesinnten Staaten bilden, um konkrete Politikergebnisse zu erzielen. Die Teilnahme an diesem Netzwerk für den Multilateralismus ist nicht exklusiv, aber dadurch bestimmt, engagiert und nachhaltig zu den Zielen der Allianz beizutragen.

Frankreich und Deutschland sind bereit, gemeinsam mit anderen Partnern als Motor und Drehkreuz für dieses Netzwerk zu fungieren. Dazu werden Paris und Berlin 2019 und 2020 auch die Mitgliedschaft Deutschlands im UN-Sicherheitsrat als Gelegenheit nutzen, gemeinsam an der Stärkung des Multilateralismus zu arbeiten. Das gilt besonders, wenn wir nacheinander im März und April dieses Jahres die Präsidentschaften im UN-Sicherheitsrat in New York innehaben werden.

Bei alledem spielen unsere europäischen Partner und die europäischen Institutionen eine Schlüsselrolle. Die Europäische Union ist ein Eckpfeiler des multilateralen Systems. Kompromiss und Ausgleich stecken tief in ihrer DNA. Wir Europäer sind daher ein verlässlicher Partner für diejenigen, die die regelbasierte Ordnung bewahren wollen und die bereit sind, dafür mehr Verantwortung zu übernehmen. Weltweit sehen wir dafür große Bereitschaft. Es ist höchste Zeit, dass wir uns enger abstimmen und ein starkes, engagiertes Netzwerk bilden, um die multilaterale Diplomatie vor falschen nationalstaatlichen Verheißungen und ungezähmter Machtpolitik zu bewahren. Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt?

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