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Kinkels klarer Kompass
Außenminister Heiko Maas zum Tod seines Amtsvorgängers Dr. Klaus Kinkel. Erschienen in der Welt.
Im Jahr 1992 standen Deutschland und Europa vor einem Neuanfang. Die Welt der zwei Blöcke war Vergangenheit, die Gegenwart voller Umbrüche, die Zukunft ungewiss. Es war das Jahr, in dem Klaus Kinkel deutscher Außenminister wurde. Im Rückblick wird klar, wie froh Deutschland darüber heute sein kann. Denn Klaus Kinkel verfügte über etwas, was selten war und ist in der Politik: Einen klaren Kompass.
Dieser Kompass half ihm dabei, das wiedervereinigte Deutschland neu zu verorten. Deutschlands Zukunft – das war für Klaus Kinkel klar – lag in einem vereinigten, freien und weltoffenen Europa. Für ihn war das eine Lektion aus den schrecklichen Verirrungen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Es war für ihn aber auch ein Gebot zukunftsweisender Politik – das weiß man, wenn man Klaus Kinkel, wie ich, in zwei Ämtern nachgefolgt ist. „Nur in fester europäischer Verankerung kann Deutschland zu innerem Gleichgewicht und voller Handlungsfähigkeit finden“, schrieb er 1993. Sein Zugehen auf die Nachbarländer Deutschlands, besonders die neuen Nachbarn in Mittel- und Osteuropa, hat den Weg dafür geebnet. Klaus Kinkel sah sich als Vertrauensstifter angesichts der allzu verständlichen Sorge, die ein größeres, vereintes Deutschland bei den europäischen Nachbarn weckte. Dass das vereinte Europa nicht an Oder und Neiße enden dürfe, stand für ihn dabei immer außer Zweifel. Die friedliche Vereinigung des Kontinents nach der jahrzehntelangen Trennung – sie war das Leitmotiv seiner Politik. Sie trieb den überzeugten Europäer auch an, wenn er in Brüsseler Nachtsitzungen für die Erweiterung der Europäischen Union um Österreich, Schweden und Finnland eintrat.
Für Klaus Kinkel war klar: Deutschland, das seine friedliche Wiedervereinigung einem zusammenwachsenden Europa, der transatlantischen Partnerschaft und seiner Einbindung in multilaterale Strukturen zu verdanken habe, muss dem Frieden in der Welt dienen. Mit diesem Anspruch richtete Klaus Kinkel die gesamtdeutsche Außenpolitik neu aus: In seine Zeit als Außenminister fallen die ersten Auslandseinsätze der Bundeswehr. Die Grundsatzentscheidung aus Karlsruhe zur Verfassungsmäßigkeit solcher Einsätze verstand er als Auftrag an Deutschland, sich seiner weltpolitischen Verantwortung zu stellen. Das Versagen der Weltgemeinschaft angesichts der Völkermorde auf dem Balkan und in Ruanda, das ihn bis zu seinem Lebensende schmerzte, nahm er zum Anlass, konsequent für den Aufbau einer internationalen Strafgerichtsbarkeit einzutreten.
„Ämter prägen Menschen“, heißt es oft. Und häufig, allzu häufig, trifft das zu. Klaus Kinkel hat zeitlebens das Gegenteil unter Beweis gestellt. Er hat die von ihm bekleideten Staatsämter – als Vizekanzler, Außenminister, Justizminister, Partei- und Fraktionsvorsitzender, Präsident des Bundesnachrichtendienstes - durch seine Menschlichkeit geprägt. Geradlinig und integer, aufrecht und nahbar, als einen „Klarsprecher“– so beschreiben Klaus Kinkel seine Weggefährten. Unvergessen sind die Geschichten darüber, wie der Minister selbst nachts zum Telefonhörer griff, um sich in Krisenlagen bei den Kolleginnen zu Kollegen nach dem Befinden zu erkundigen. Er, der kein Berufspolitiker war und protokollarischem Pomp stets mit Argwohn begegnete, hatte eine besondere Gabe dafür, offen und direkt auf Menschen zuzugehen.
Diese Gabe – sie wird uns fehlen in Zeiten wachsender gesellschaftlicher Polarisierung. Mit Klaus Kinkel hat Deutschland einen leidenschaftlichen Kämpfer für ein weltoffenes Deutschland verloren, einen großen Europäer und einen Verfechter deutscher Verantwortung in der Welt. Dieses Vermächtnis gilt es zu bewahren.