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„Unser Blick muss sich jetzt nach vorne richten“

11.08.2020 - Interview

Interview von Außenminister Heiko Maas mit Interfax.

Herr Minister, nach Angaben von EU-Diplomaten werden Sanktionen für die Beteiligung an den Cyberangriffen aus Russland, China und Nordkorea vorbereitet. Zuerst werden die Listen von Namen beschlossen, die am Anfang des Jahres nach Brüssel geschickt wurden. Wann werden die Beteiligten am Cyberangriff auf den Bundestag im Jahr 2015 sanktioniert?

Im Netz wie auf der Straße sollten Menschen sich überall auf der Welt frei und ohne Angst vor Diebstahl, Bespitzelung oder krimineller Erpressung bewegen können. Nur so können die Chancen, die die Digitalisierung bietet, auch im Sinne unserer Gesellschaften genutzt werden. Dafür braucht es online wie offline Spielregeln, die wir als Europäische Union auch gegen unverantwortliches Verhalten verteidigen. In Reaktion auf unterschiedliche Cyberangriffe wurden Ende Juli erstmals EU-Sanktionen gegen Personen und Einrichtungen verhängt. Dies ist ein erster Schuss vor den Bug derer, die glauben ohne Konsequenzen Schaden im Cyber-Raum anrichten zu können.

Ende Mai haben wir im EU-Kreis auch Vorschläge zur Sanktionierung der Verantwortlichen für den Cyber-Angriff auf den Deutschen Bundestag eingebracht. Wie im Fall des ersten Sanktionspakets wird dieser Vorschlag nun den dafür vorgesehenen Prozess in der EU durchlaufen. Wir erhalten für den Vorschlag viel Unterstützung von unseren Partnern, deswegen erwarte ich, dass das Verfahren nach der Sommerpause zügig vorangeht.

Die deutsch-russischen Beziehungen in den letzten Jahren sind sehr angespannt. Ein weiterer Fall, der die Kommunikation zwischen beiden Ländern stark erschwert, ist der Mordfall im Tiergarten. Plant das Auswärtige Amt neue Maßnahmen gegenüber Russland auch in diesem Fall, wie bei der Ausweisung der Botschaftsmitarbeiter im letzten Jahr? Wann könnte das passieren und ist es immer noch so, dass Russland in diesem Fall mit Deutschland kaum kooperiert?

Der Generalbundesanwalt geht in seiner Anklage gegen den mutmaßlichen Mörder davon aus, dass dieser im Auftrag staatlicher Stellen Russlands gehandelt hat. Das ist ein Vorwurf von enormer Tragweite, den der Generalbundesanwalt sicherlich nicht leichtfertig erhebt. Deswegen verfolgen wir den Prozess vor den ordentlichen Gerichten natürlich auf das genaueste.

Wir haben mehrfach betont, dass wir uns weitere Maßnahmen vorbehalten. Welche Maßnahmen das sind, wird auch davon abhängen, was der Prozess zutage fördert.

Bei den Ermittlungen zum Mordfall hat Russland keine ernsthafte Bereitschaft zur Mitarbeit bei der Aufklärung gezeigt, obwohl die zuständigen Stellen Anfragen und Rechtshilfeersuchen gestellt hatten. Darauf – also auf die Nicht-Kooperation Russlands - haben wir im Dezember mit der Ausweisung von zwei Diplomaten reagiert.

Eine Frage zum Thema Nord Stream 2: Die Amerikaner drohen mit neuen Sanktionen, die deutschen Unternehmen (zum Beispiel im Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft) fordern die Bundesregierung auf, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, mit dem Zweck deutsche Unternehmen zu schützen. Was sollen nun deutsche Unternehmen befürchten und wie groß ist die Unsicherheit in Berlin im Bezug auf Nord Stream 2-Sanktionen? Die Bundesregierung betrachtet die angekündigten Sanktionen als extraterritorial, was bedeutet dieser Schritt der US-Administration für die transatlantischen Beziehungen?

Die transatlantischen Beziehungen reichen Jahrzehnte in unsere gemeinsame europäische Geschichte mit den USA zurück. Sie stehen auf einem festen Fundament und wurden nie ausschließlich von der Tagespolitik bestimmt. Aber natürlich ist unsere Position als Bundesregierung du diesem Thema klar: Wir lehnen extraterritoriale Sanktionen ab und teilen das der US-Regierung klar mit.

Dies ist eine Frage der Souveränität gerade in unserer Energiepolitik, aber auch eine Frage der Schaffung von rechtlicher Sicherheit für unsere Unternehmen. Denn eines ist klar: Über die europäische Energiepolitik entscheiden wir in den Hauptstädten Europas und gemeinsam in Brüssel. Es ist unsere Entscheidung, woher wir unsere Energie beziehen.

Was passiert gerade beim Normandie-Format und wann könnte ein neuer Gipfel stattfinden?

Es gab zuletzt ermutigende Entwicklungen. Der Waffenstillstand hält erstmals seit längerer Zeit, das verschafft den Menschen in der Ost-Ukraine eine dringend nötige Verschnaufpause. Die Ukraine hat dabei Flexibilität und Entgegenkommen gezeigt. Klar ist: Es hapert nicht an den Beschlüssen, sondern an deren Umsetzung. Das ist der Auftrag der N4-Staats- und Regierungschefs in Paris, also auch des Präsidenten der Russischen Föderation. Wir setzen weiter auf eine konstruktive russische Mitarbeit im Normandie-Format. Damit den Worten Taten folgen, muss Russland seinen Einfluss nutzen. Wir stehen zusammen mit Frankreich im Normandie-Format natürlich bereit, diesen Prozess weiter zu gestalten.

Dass im Oktober in der Ukraine Regionalwahlen abgehalten werden sollen wie es in der Verfassung vorgesehen ist, ist ein gutes Zeichen für die demokratische Mitbestimmung der Ukrainerinnen und Ukrainer. Die Voraussetzungen für die Abhaltung demokratischer Wahlen in den nicht-regierungskontrollierten Gebieten, wie sie in den Minsker Vereinbarungen vorgesehen sind, sind momentan nicht gegeben. Auch hier ist Moskau gefragt, seinen Einfluss geltend zu machen.

Der Open Skies-Rüstungskontrollvertrag ist kurz vor dem Aus, der INF – Vertrag wurde bereits gekündigt. Die USA und Russland haben die Abrüstungsgespräche im Juli fortgesetzt, die USA dringen auf eine Teilnahme von China. Wie betrachten die Bundesregierung und das Ministerium die ganze Problematik, gibt es noch Chancen, den Vertrag über den offenen Himmel zu retten? Wenn nicht, was bedeutet die Kündigung von beiden Verträge für die Sicherheit in Europa?

Rüstungskontrolle dient unser aller Sicherheit. Dort, wo sie ersatzlos entfällt, droht ein Rüstungswettlauf. Das Ende des INF-Vertrags ist ein Schlag ins Kontor für die Sicherheit in Europa. Wir haben Russland kritisiert, weil es das Scheitern durch seinen Vertragsbruch maßgeblich herbeigeführt hat. Europa – und dazu zähle ich natürlich Russland – ist dadurch unsicherer geworden. Das kann nicht im Interesse der Menschen in Russland sein.

Auch beim Vertrag über den Offenen Himmel gab es in den letzten Jahren Defizite bei der Umsetzung durch Russland. Trotzdem halten wir den Ausstieg der USA für falsch. Der Blick muss sich jetzt nach vorne richten, damit nicht weiteres Vertrauen verlorengeht und damit wir die globale Rüstungskontrollarchitektur vor weiterem Schaden bewahren. Die Kündigung des Vertrags über den Offenen Himmel durch die US-Regierung wird erst im November gültig. Deutschland wird den Vertrag über den Offenen Himmel weiter umsetzen und alles daran setzen, ihn zu bewahren.

Kritisch für die globale Sicherheit ist, dass Russland und die USA schnellstmöglich den New START-Vertrag verlängern. Das bietet die Möglichkeit, perspektivisch insbesondere auch China einzubinden und somit den Nichtverbreitungsvertrag als Ganzes zu stärken. Dazu haben wir wiederholt aufgerufen, so auch mit unseren Partnern in der Stockholm-Initiative.

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