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Grußwort von Außenminister Heiko Maas zur Leipziger Plenartagung der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA)

02.12.2020 - Rede

(Video-Aufzeichnung)

140 leere Bronzestühle auf einem großen Platz. Sie stehen für eine schmerzhafte Lücke – den Ort, an dem früher Leipzigs Synagoge stand, die 1938 zerstört wurde.

Die Zahl 140 ist kein Zufall. In der hebräischen Zahlenschreibweise bedeutet sie „aufstehen“.

Verehrte Delegierte,

sehr geehrte Damen und Herren,

Sie stehen tatsächlich auf. Gegen Antisemitismus. Gegen Diskriminierung. Und gegen die Leugnung und die Verfälschung des Holocaust.

Gerade in Zeiten der COVID-19-Pandemie ist dies besonders wichtig. In der Isolation durchleben Überlebende ihre Traumata oft aufs Neue. Jede freundliche Geste verändert hier etwas. Jedes Bemühen um Gedenken zählt.

Gleichzeitig bietet die Pandemie fruchtbaren Boden für antisemitischen Hass und Verschwörungstheorien. In der Tat sind diese Phänomene nie vollständig ausgemerzt worden. Aber jetzt werden sie immer offener auf unseren Straßen und im Internet verbreitet. Es ist unerträglich anzusehen, wie sich Menschen bei Kundgebungen gegen die Corona-Maßnahmen der Symbole und der Sprache der Nazis bedienen. Und wir dürfen es nicht tolerieren, wenn sie sich selbst mit den Opfern des Naziterrors oder mit denjenigen, die tapfer gegen dieses brutale Regime kämpften, gleichsetzen. Das schulden wir jedem Opfer und jedem Überlebenden.

Eine Studie zeigte kürzlich, dass rechtsextreme Gruppen die Pandemie nutzen, um sich zunehmend international zu vernetzen. Es ist höchste Zeit, dass unsere Sicherheitsbehörden dies gleichermaßen tun. Sie müssen enger zusammenarbeiten, um Rechtsextremismus und Antisemitismus wirksamer zu bekämpfen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

diese Entwicklungen zeigen, wie wichtig die Arbeit der IHRA ist. Mit Ihrer Unterstützung haben wir eine Globale Task Force gegen Holocaustleugnung und -verfälschung ins Leben gerufen. Und ich zähle auf die Unterstützung von Ihnen allen, wenn diese im Januar 2021 ihre neuen Empfehlungen veröffentlicht.

Die IHRA hat bereits vieles verändert. Unsere Arbeitsdefinition des Begriffs Antisemitismus hat das Bewusstsein geschärft. Und ich hoffe, dass unsere neue Arbeitsdefinition des Begriffs Antiziganismus das Gleiche bewirken wird. Vielen Dank dafür, dass Sie diese Definition unter schwierigen Arbeitsbedingungen verabschiedet haben!

Ich weiß, dass viele Ihrer Einrichtungen durch die Pandemie Beeinträchtigungen erfahren haben. In den Gedenkstätten fehlen die Besucherinnen und Besucher. Die Museen kämpfen um ihr Überleben. In vielen Ländern steht die Zukunft der Aufklärung und Forschung im Bereich Holocaust auf der Kippe. Nun ist es an uns als Regierungen, unsere Versprechen zu erfüllen. Unsere Zukunft als demokratische und inklusive Gesellschaften hängt davon ab.

Und wir können dies am besten erreichen, indem wir die Pandemie als Chance sehen, um neue Wege der Erinnerung zu beschreiten. Gedenkstätten und Augenzeugenberichte virtuell zugänglich zu machen, ist eine dauerhafte Investition in die Zukunft. Und die Aufklärung im Bereich Holocaust kann sich den technologischen Fortschritt zunutze machen, wenn wir die junge, digitale Generation erreichen wollen. Hier kann die IHRA eine herausragende Rolle spielen, indem sie internationale Standards festlegt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

es wäre mir eine Ehre gewesen, Sie persönlich in Leipzig willkommen zu heißen. Doch anstatt zu bedauern, dass die Stühle in unseren Besprechungsräumen leer geblieben sind, könnten wir sie in der gleichen Weise sehen wie die leeren Stühle im Leipziger Holocaust-Mahnmal: Als einen Appell, aufzustehen.

Gegen Antisemitismus.

Gegen Diskriminierung.

Gegen die Leugnung und die Verfälschung des Holocaust.

Jeden Tag.

Vielen Dank!

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