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„Auf die Worte wollen wir uns nicht verlassen, sondern auf die Taten.“

08.09.2021 - Interview

Außenminister Heiko Maas im Interview im Heute Journal

Herr Maas, nachdem Sie überrascht wurden – überrollt wurden – vom Vormarsch der Taliban – entsetzt waren, haben Sie jetzt heute eine klarere Vorstellung davon, wie Sie den Menschen in Afghanistan noch helfen können, die in höchster Gefahr schweben und nicht evakuiert wurden bislang?

Wir haben auch gar keine Zeit, noch weiter Wunden zu lecken, sondern – und darüber haben wir heute mit über 20 Außenministern gesprochen, zusammen mit Antony Blinken, dem amerikanischen Außenminister: Was sind jetzt die Voraussetzungen dafür, um mit den Taliban und der neuen Regierung selbst Gespräche zu führen? Was sind die Voraussetzungen dafür, dass wir über den Flughafen weiter eigene Staatsbürger evakuieren können? Der Flughafen wird wieder betrieben, und die nächste Woche möglicherweise auch für weitere Evakuierungsflüge, und wie können Menschen über den Landweg Afghanistan verlassen, etwa in die Nachbarländer nach Pakistan.

Herr Maas, Sie reden von Gesprächen, Sie sprechen von Committment der Taliban – jetzt hat die Taliban eine Regierung, ein Regierungspersonal, vorgestellt, bei dem es Ihnen doch eigentlich grausen muss. 33 Posten. alles Männer, viele von denen waren an der Macht, während der letzten Schreckensherrschaft. Das einzig auffindbare Foto vom neuen Taliban-Innenminister stammt vom FBI-Fahndungsplakat. Jetzt muss man ihn nicht mehr fahnden, er sitzt im Innenministerium, und zwar im Ministerbüro. Sind das die Leute, mit denen Sie in irgendeiner Form zusammenarbeiten können?

Die Frage ist: Wozu ist das notwendig? Und das, was wir wissen – was auch die Vereinten Nationen sagen – ist, dass Afghanistan vor einer Hungersnot steht, dass der nächste Winter bevorsteht. Und dass, wenn das Chaos anhält, die Menschen dort verhungern werden. Und ich finde: ja, da muss die internationale Staatengemeinschaft auch bereit sein, mit solchen, die man nicht mag, oder die möglicherweise auch aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart mit inakzeptablen Dingen aufgefallen sind, aber wenn es darum geht, den Hungertod von Menschen zu verhindern, wenn wir humanitäre Hilfe ins Land bringen wollen, und es davon abhängig ist, dass die Taliban diese humanitäre Hilfe – Nahrungsmittel – auch ins Land lassen, dann finde ich im Interesse der Menschen in Afghanistan, muss es möglich sein, auch Gespräche zu führen, auch wenn es schwer fällt.

Also der Zweck heiligt die Mittel sozusagen, aber welche Sicherheit haben Sie denn, dass Ihre - - -

Wenn es darum geht, Menschen vor dem Verhungern zu bewahren, finde ich, ist es etwas mehr als nur „der Zweck heiligt die Mittel“, sondern dann ist das etwas, was zur humanitären Verantwortung für uns alle gehört.

Aber führt es denn zu irgendetwas? Also können Sie sich tatsächlich darauf verlassen, dass die neuen Machthaber in Kabul Ihnen da versprechen mögen? Ich muss nochmal auf den neuen Innenminister zurückkommen, der gilt als Drahtzieher des Anschlags auf die deutsche Botschaft Kabul im Mai 2017 mit 150 Toten.

Also in den letzten Tagen und in den letzten Wochen haben wir eine Vielzahl von Statements der Taliban aus Kabul oder auch aus Doha gehört mit vielen moderaten Tönen. Auf die Worte wollen wir uns nicht verlassen, sondern auf die Taten. Die Regierung, die jetzt gebildet wurde, bildet ja nicht alle gesellschaftlichen Gruppen in Afghanistan ab, vielleicht ja einzelne Taliban-Gruppen. Es sollen noch weitere Regierungsmitglieder folgen. Das wird man sehen, ob das tatsächlich ein Abbild der afghanischen Gesellschaft ist oder ob das eine reine Taliban-Regierung ist. Und wenn es um die Einhaltung von Menschenrechten geht, Frauenrechten, wenn es darum geht, was die Taliban schon zugesagt haben, nämlich, dass Ausländer weiter ausreisen können, aber auch unsere Ortskräfte, daran wird man sie messen. Ganz sicherlich nicht nur das, was auf Pressekonferenzen oder in schriftlichen Statements verbreitet wurde.

Sie haben Ihre Situation, Herr Maas, gerade ganz gut beschrieben. Es ist ja eine Zwickmühle, den Verfolgten helfen und dabei zusammenarbeiten müssen mit den Verfolgern. Und das ist aber alles ja eine Situation, in der die westliche Welt auch durch eigene Fehleinschätzungen geraten ist überhaupt. Auch bei Ihnen tauchen jetzt neue Vorwürfe auf, dass Sie schon viel früher wussten oder hätten wissen können, dass die Taliban Kabul erstürmen würden, nämlich durch einen sogenannten Drahtbericht Ihrer Botschafterin in Washington. Sie haben selbst gesagt: „Wir müssen alles aufbereiten. Wir müssen auch Konsequenzen ziehen.“ Wann geht denn das los?

Na ja, ich meine, das findet ja statt. Ansonsten würden Sie mir solche Fragen nicht stellen. Natürlich gab es aus den USA Hinweise, dass sich die Lage verschlechtert. Diese Hinweise hatten wir auch. Das ist schon zu Beginn - - -

Auch von Ihrer Botschafterin in Washington – und dann haben Sie nochmal sieben Tage gewartet bis es überhaupt losging mit Vorbereitungen von Evakuierungsflügen.

Das stimmt ja so nicht. Wir haben schon Anfang August, bevor dieser Bericht überhaupt kam, den Evakuierungsplan unserer Botschaft aktualisiert und erst drei Tage nachdem dieser Bericht kam, dann auch scharf gestellt worden. Wir sind mit den Amerikanern immer in einem sehr engen Austausch gewesen und nachdem der Evakuierungsbeschluss der Amerikaner gefasst wurde, dass in drei Stunden evakuiert wird, ist in wenigen Minuten das auch in der deutschen Botschaft geschehen und die deutschen Botschaftsmitarbeiter sind genauso wie die Mitarbeiter anderer internationaler Botschaften mit den Amerikanern von deren Botschaftsgelände auf den Flughafen evakuiert worden. Und deshalb, ja, die Dinge haben sich dramatisiert und nicht alles ist im Voraus gesehen worden. Das hat mir mein amerikanischer Kollege heute in Rammstein noch einmal bestätigt, aber die deutschen Mitarbeiter der Botschaft sind genauso evakuiert worden, auch im gleichen zeitlichen Zusammenhang wie die Mitarbeiter anderer Botschaften und daraus ergibt sich doch, dass das nicht in der Weise bei uns der Fall gewesen ist, dass wir später als andere dran gewesen sind. Das Gegenteil ist der Fall.

Herr Maas, das haben Sie so ähnlich oder eigentlich auch genauso schon häufiger gesagt in der Vergangenheit. Sie haben selbst angekündigt, dass Sie auch eigene Schlüsse für sich selbst ganz persönlich ziehen wollen. Das klingt jetzt noch nicht so, als seien Sie da einen Schritt weitergekommen.

Sie haben mich, glaube ich, was anderes gefragt gerade. Und dabei geht es darum, mal klarzustellen, wie die Fakten sind, und dass ich immer dasselbe sage, hängt halt damit zusammen, dass die Fakten halt so sind. Die verändern sich ja eben nicht. Natürlich muss das aufgearbeitet werden und im Moment und deshalb treffen wir uns und haben uns heute getroffen mit über 20 Außenministern, geht es darum dafür zu sorgen, dass wir unsere Staatsbürger aus Afghanistan rausbekommen und unsere Ortskräfte. Das ist eine Aufgabe, da fühlen wir uns alle verpflichtet, der kommen wir jetzt auch nach und das gilt nicht nur für uns, das gilt auch für die anderen Staaten. Denn die Fehler, die sicherlich bei uns gemacht worden sind, die sind in anderen Staaten genauso gemacht worden.

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