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Souverän und unauflöslich

01.07.2020 - Namensbeitrag

Namensbeitrag von Außenminister Heiko Maas mit der Außenministerin des Königreichs Spanien, A. González Laya, zu europäischer Souveränität und Solidarität

Heute übernimmt Deutschland den Vorsitz im Ministerrat der Europäischen Union – inmitten der größten Krise seit ihrer Gründung. 24 Seiten Programm, die zusammenfassen, was Deutschland während seiner Präsidentschaft vorhat. Ein Motto: „Gemeinsam. Europa wieder stark machen.“. Doch um zu beschreiben, wie das gelingen kann, braucht es eigentlich gar nicht viele Worte. Es braucht lediglich zwei. Sie lauten: Solidarität und Souveränität. Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Nur wenn Europa im Innern solidarisch zusammenhält und noch enger zusammenwächst wird es seine Werte und Interessen nach außen souverän durchsetzen können.

Fehlende Solidarität zerreißt Europa. Das haben wir in der Euro- und Finanzkrise, aber auch bei der Auseinandersetzung um Flucht und Migration schmerzhaft erlebt. Und auch jetzt droht diese Gefahr: Wenn jeder nur versucht, sich selbst zu retten, dann verschärfen sich die wirtschaftlichen und fiskalischen Ungleichgewichte weiter, dann verlieren wir alle. Keiner von uns war auf die Pandemie vorbereitet, keiner trägt Schuld daran. Und doch hat sie manche Länder wie Spanien härter getroffen als andere. Dem müssen wir Rechnung tragen, wenn wir die Krise bewältigen wollen. Deshalb ist unser Vorschlag, alle nationalen Maßnahmen von Anfang an in ein Europäisches Wiederaufbauprogramm einzubetten, mit einer Dimension, wie sie Europa noch nicht gesehen hat.

Aus dieser Krise können wir uns nicht ‚heraussparen‘. Im Gegenteil: Alles, was wir jetzt investieren, um unsere Wirtschaft anzukurbeln, verringert zukünftige Kosten und die Gefahr der nächsten Krise. Ein Fokus sollte deshalb auf schnell wirksamen Hilfen für besonders betroffene Mitgliedsstaaten und Branchen liegen. Doch es darf bei Investitionen dieser Größenordnung nicht nur um reinen „Wiederaufbau“ gehen, wenn wir nachhaltiges Wachstum in Europa wollen. Wir müssen das Geld in die Chancen der Zukunft investieren, anstatt in die Probleme der Vergangenheit. Wir wollen Europa grüner, sozialer, digitaler, innovativer machen. Damit steht und fällt der Wohlstand Europas in den kommenden Jahrzehnten. Dieses Ziel muss sich auch im künftigen Haushalt widerspiegeln, da sind sich unsere beiden Länder einig.

Daraus kann die Zäsur werden, der Paradigmenwechsel, die Neuerfindung eines wirklich solidarischen, untrennbaren, unauflöslichen Europas. Dafür darf Solidarität in Europa sich allerdings nicht nur in Euros bemessen. Es geht darum, in allen Bereichen noch enger zusammenzurücken sei es bei außen- und sicherheitspolitischen Fragen oder beim Umgang mit Flucht und Migration. Auch hier muss die Krise zur Chance werden.

Und noch etwas wollen wir ändern in dieser Krise: Europäische Solidarität darf nicht mehr nur Solidarität zwischen Staaten oder mit Unternehmen bedeuten. Sie existiert für die Menschen. Mit dem SURE-Programm wollen wir daher erstmals alle Bürgerinnen und Bürger durch ein Kurzarbeitergeld in der Krise absichern. Und wir wollen noch weitergehen, zum Beispiel bei der Arbeitslosen-Rückversicherung und einem gemeinsamen Rahmen für einen europäischen Mindestlohn. Denn nur wenn Solidarität für jeden Europäer und jede Europäerin spürbar wird, dann werden wir Europa zusammenhalten, dann können wir den Populisten und Spaltern in unseren Ländern die Stirn bieten und Europas Geschlossenheit in Stärke nach außen ummünzen.

Das galt schon vor der Pandemie. Doch das gilt um ein Vielfaches mehr in der Post-Corona-Welt - in der sich der amerikanisch-chinesische Gegensatz weiter zuspitzt, in der globale Ungleichgewichte sich verschärfen und Instabilität an allen Enden der Welt zunimmt. Europäische Souveränität heißt, eigenständig handeln und entscheiden zu können und unsere Kräfte dort zu bündeln, wo die Nationalstaaten allein nicht mehr in der Lage sind, die Globalisierung zu gestalten.

Wenn Europa heute fast 90 Prozent aller Medikamente, die die WHO als essentiell einstuft, aus China oder Indien importiert, dann zeigt das, wo wir in den nächsten Monaten ansetzen müssen. Das gleiche gilt für 5G, die Speicher- und Informationstechnik, Logistik, Energie oder den Rohstoffsektor. Souveränität wird auch hier systemrelevant.

Spanien und Deutschland werden sich deshalb gemeinsam in der Europäischen Union für eine schonungslose Analyse unserer strategischen Abhängigkeiten einsetzen – egal ob sie technologisch, sicherheits-, handels- oder währungspolitisch bedingt sind. Und wir werden Lösungen dafür erarbeiten – zur Bewältigung der Krise und gleichzeitig als Weg in eine resilientere Zukunft. Nehmen wir etwa das transatlantische Verhältnis: Unabhängig davon wie die US-Wahlen ausgehen muss Europa endlich selbständig in der Lage sein, für Stabilität in seiner südlichen und östlichen Nachbarschaft zu sorgen - im eigenen Interesse. Daran arbeiten wir gemeinsam mit Josep Borrell und den anderen europäischen Außenministerinnen und -ministern. Und auch gegenüber China ist es unabdingbar, dass Europa mit einer Stimme spricht - und zwar zu 27!

Krisen haben immer auch Worte geprägt: Troika, Rettungsschirm, Ankerzentren, Transitzonen. Wir wollen gemeinsam dafür sorgen, dass von dieser Krise am Ende nicht nur Worte wie „Sicherheitsabstand“ und „soziale Distanz“ übrig bleiben. Sondern Solidarität und Souveränität.

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