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Rede von Außenminister Heiko Maas zur Eröffnung des Globalen Flüchtlingsforums

17.12.2019 - Rede
Außenminister Maas beim Globalen Flüchtlingsforum in Genf
Außenminister Maas beim Globalen Flüchtlingsforum in Genf © Janine Schmitz/photothek.net

Den Auftakt zum Weltflüchtlingstag hast Du, lieber Filippo, dieses Jahr in Berlin verbracht. An der Freien Universität hast Du mit Studierenden über zwei Fragen diskutiert:

Is There a Global Refugee Crisis?

Or is Global Solidarity in Crisis?

Meine Damen und Herren,

wir sind heute hier, um auf diese beide Fragen Antworten zu geben.

Die erste Antwort lautet: Nein! Es gibt keine Flüchtlingskrise.

Denn die Zahl von Flüchtlingen weltweit ist in Wirklichkeit nur das Symptom einer ganz anderen Krise: einer tiefen Krise der internationalen Zusammenarbeit.

Immer mehr Menschen fliehen,

  • weil wir, die internationale Gemeinschaft, keine Lösungen finden für die Dauerkrisen und Konflikte wie in Syrien, Afghanistan oder Somalia, um nur einige zu nennen.
  • Die Ärmsten tragen derzeit die schwerste Last. Neun der zehn größten Aufnahmeländer sind Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Das einzige Industrieland in dieser Gruppe ist Deutschland.
  • Gerade einmal 20 Prozent der 193 Staaten beteiligen sich in nennenswerter Weise bei der Versorgung der über 70 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind. Und dies, obwohl die Genfer Flüchtlingskonvention für uns alle gilt.

Solche anonymen Millionen-Zahlen werden oft missbraucht, auch bei uns in Deutschland. Werden missbraucht, weil sich damit Angst und Hass schüren und Hetzkampagnen befeuern lassen.

Deshalb ist mir eines ganz besonders wichtig: Dass wir uns bei allem was wir tun und entscheiden immer klarmachen: Hinter jeder dieser Zahlen stehen Menschen mit ihrer ganz persönlichen Geschichte.

„Statistiken sind Menschen, denen die Tränen abgewischt wurden“, so fasst es ein Sprichwort treffend zusammen.

Die Botschaft, die von diesem globalen Treffen ausgehen muss, sie lautet:

Wir wollen mehr Solidarität im Umgang mit Flüchtlingen!

Mehr internationale Zusammenarbeit mit den Aufnahmeländern!

Mehr Multilateralismus!

Über 400 Delegationen - Regierungen, Nichtregierungsorganisationen, Flüchtlingsvertreter, die Wirtschaft - sind heute hierhergekommen. Das ist ein starkes Zeichen. Eines, das mich zuversichtlich macht, dass es nicht nur bei Appellen bleibt hier in Genf.

Also blicken wir auf das, was wir ändern müssen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Erstens: Wir müssen die Lasten auf mehr und auf breitere Schultern verteilen.

Und zweitens: Wir müssen Flüchtlingen Perspektiven bieten für ein selbstbestimmtes Leben. Ein Leben in Würde.

Zu beidem wird Deutschland weiter beitragen, in seiner Doppelrolle als zweitgrößter Geber und fünftgrößtes Aufnahmeland von Flüchtlingen.

Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass es selbst für ein Land unserer Größe und Wirtschaftskraft nicht leicht ist, hunderttausende Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren.

Aber wie viel mehr aber gilt das für Länder mit weniger Ressourcen? Länder wie Pakistan, Äthiopien, Costa Rica oder die Türkei, die heute mit uns dieses Podium teilen?

Die Aufnahmeländer in Afrika, Asien und Lateinamerika haben unseren allergrößten Respekt und unsere allergrößte Anerkennung verdient für das, was sie leisten. Aber damit ist es nicht getan. Es braucht auch tatkräftige Unterstützung.

  • Deshalb hilft die Europäische Union der Türkei, die mehr Flüchtlinge als jedes andere Land aufgenommen hat, mit 6 Milliarden Euro bei der Versorgung und Integration dieser Menschen.
  • Deshalb unterstützen wir den Vorschlag neuer regionaler Unterstützungsplattformen, zum Beispiel um die Lage afghanischer Flüchtlinge zu verbessern.
  • Für viele Flüchtlinge, die keine Perspektive auf eine Rückkehr in ihr Heimatland haben, die aber auch nicht im Erstaufnahmeland bleiben können, bleibt Resettlement oft die einzige Hoffnung. Dennoch sind derzeit nur 25 Länder weltweit überhaupt dazu bereit.
  • Deutschland wird die Zahl seiner Resettlement-Plätze im nächsten Jahr noch einmal erhöhen. Das ist ein Trend, den wir auch in Zukunft fortsetzen.
  • Und natürlich können die Vereinten Nationen, die Aufnahmeländer und die vielen im Flüchtlingsschutz Engagierten sich auch weiterhin auf die finanzielle Unterstützung verlassen, die sie auch verdient haben.
  • In den vergangenen sechs Jahren hat Deutschland seine humanitäre Hilfe vervierfacht, auf 1,6 Milliarden Euro in diesem Jahr.
  • Einer unserer größten und wichtigsten Partner dabei ist und bleibt auch der UNHCR. In diesem Jahr haben wir unseren ungebundenen Beitrag für die Arbeit des UNHCR mehr als verdoppelt. Und ich freue mich, heute ankündigen zu können, dass wir auch 2020 auf ähnlichem Niveau wie 2019 den UNHCR unterstützen werden, mit einer ersten Tranche von 124 Mio. Euro, die wir bereits heute fest zusagen können.
  • Auch durch unsere Entwicklungszusammenarbeit arbeiten wir daran, Fluchtursachen zu mindern und Flüchtlinge besser zu integrieren. In diesem Jahr haben wir dafür 1,3 Milliarden Euro eingesetzt und weit über 10 Millionen Menschen weltweit erreicht.
  • Und auch dieses Engagement einer noch engeren Verzahnung von humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung werden und müssen wir konsequent fortsetzen.

Meine Damen und Herren,

unsere zweite Botschaft heute lautet: Lasst uns Flüchtlingen bessere Perspektiven bieten.

Das setzt voraus, dass wir unseren Blick auf Flüchtlinge ändern!

Wir reden in der internationalen Zusammenarbeit ständig von Resilienz und wie wir sie stärken können.

Warum fördern wir dann nicht gezielt diejenigen, die bereits ein riesiges Maß an Resilienz bewiesen haben? Menschen, die wissen, was es bedeutet, alles zu verlieren und wieder neu anfangen zu müssen?

Davon profitieren gerade auch die Aufnahmeländer. Wie sehr, das ist mir erst heute Morgen noch einmal deutlich geworden, Als ich mit einigen jungen Flüchtlingen hier gesprochen habe, die in Deutschland leben.

Einer von ihnen ist Muhammed Shikhani. Er musste 2013 vor dem Krieg in Syrien fliehen.

In Damaskus hatte er studiert, Bauingenieurwesen. Im Libanon aber, mit einer Million syrischen Flüchtlingen, fand er allenfalls Gelegenheitsjobs, lebte zudem in ständiger Angst davor, nach Syrien zurückkehren zu müssen.

Muhammed hat sich vor fünf Jahren für ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes beworben, das Flüchtlingen wie ihm ein Studium in Deutschland ermöglicht. Heute arbeitet er an seiner Doktorarbeit und forscht über die Auswirkungen des Klimawandels. Nebenbei unterstützt er andere Flüchtlinge dabei, sich im Studium in Deutschland zurechtzufinden.

Ich glaube, diese Solidarität, die Menschen wie Muhammed mitbringen, macht jedes Land reicher.

Auf die Frage, woher er die Kraft auf seinem Weg genommen hat, antwortete er: „Bildung war mein Lebensretter“.

Und das, meine Damen und Herren, sollten wir uns alle zu Herzen nehmen.

Lieber Filippo, Du hast das auf den Punkt gebracht, als du im Sommer in Berlin von einer “Refugee Education Crisis” gesprochen hast.

Es freut mich daher, dass ich heute eine umfassende Zusage der Bundesregierung zu diesem zentralen Ziel des Globalen Flüchtlingspakts machen kann:

  • Wir werden nächstes Jahr über 13 Millionen Euro für eine Initiative bereitstellen, die nach einem der berühmtesten deutschen Flüchtlinge benannt ist: Albert Einstein. 8.200 Stipendien hat sie alleine dieses Jahr an Flüchtlinge in 54 Ländern vergeben.
    Und ich freue mich sehr, dass wir mit Dänemark einen neuen Partner gefunden hat, mit dem wir dieses Programm nun gemeinsam mit dem UNHCR auf multilaterale Beine stellen.
  • Wir werden darüber hinaus die Philipp Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung mit über 10 Mio. Euro fördern und so verfolgte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterstützen.
  • Und wir werden unsere Beschäftigungsoffensive im Nahen Osten, wo wir bereits 300 Mio. Euro bereitgestellt haben, fortsetzen können.
  • Noch in diesem Jahr werden wir unseren Beitrag für das „Education Cannot Wait“-Programm um 16 Mio. Euro aufstocken, um Kindern und Jugendlichen in Konfliktgebieten Bildungschancen zu eröffnen.
  • Und auch in Deutschland selbst werden wir die Integration von Flüchtlingen an Hochschulen weiter fördern - jährlich mit über 27 Mio. Euro.

Meine Damen und Herren,

das Phänomen, dass Menschen vor Krieg und Hunger, vor Naturkatastrophen oder Verfolgung fliehen, ist so alt wie die Menschheit selbst. Es wird nie verschwinden.

Aber gemeinsam kann es uns gelingen, besser mit den Folgen von Flucht umzugehen. Unser Treffen heute ist dabei ein wichtiger Schritt.

Wenn wir auf dem weiteren Weg nach Motivation suchen, die wir alle gut gebrauchen können bei diesem Thema, dann lassen Sie uns auf diejenigen schauen, um die es geht: Menschen wie Muhammed, den Doktoranden aus Damaskus.

Wenn wir das Potenzial dieser Menschen stärken, dann wird die vermeintliche Flüchtlingskrise zu einer Flüchtlingschance.

Vielen Dank!

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