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Rede von Außenminister Heiko Maas in der Generaldebatte der 74. Generalversammlung der Vereinten Nationen

25.09.2019 - Rede

Außenminister Maas spricht vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen
Außenminister Maas spricht vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen© Thomas Koehler/photothek.net

Sie alle haben in den letzten Tagen hier in New York viele Reden gehört – beim Klimagipfel, beim SDG Gipfel, bei zahllosen Side Events und natürlich hier, beim Redemarathon namens Generaldebatte.

Würde man diese Reden auswerten ein Wort käme vermutlich häufiger vor als alle anderen: Nachhaltigkeit.

Mancher sieht in diesem Wort nur einen Hype. Einen Marketing-Trend. Ein bisschen greenwashing für die postmaterielle Elite.

Und so lange wir nur von Nachhaltigkeit reden wird sich daran auch nichts ändern.

Denn während wir hier in New York über Nachhaltigkeit reden, drohen wir das Rennen gegen den Klimawandel zu verlieren. Die Erde brennt lichterloh.

Während wir von Nachhaltigkeit reden, leiden Frauen, Männer und Kinder an Hunger und Epidemien.

Während wir von Nachhaltigkeit reden, sterben Menschen in Kriegen und Konflikten, bei deren Lösung wir seit Jahren versagen. Syrien, Mali, Ukraine, der Mittlere Osten, Afghanistan, Jemen, Iran, Myanmar, Nordkorea – die Liste ist viel zu lang.

Es ist Zeit, von Nachhaltigkeit nicht nur zu reden. Es ist Zeit nachhaltig zu handeln – auch in der Außen- und Sicherheitspolitik.

Nachhaltig ist eine Außenpolitik, die auf dauerhafte Konfliktlösung setzt. Die alle Akteure einbindet, und so für Akzeptanz und Stabilität sorgt.

Die auf Prävention setzt, statt den Ereignissen immer nur hinterherzurennen. Die auf tragfähige Abkommen setzt, statt auf schnelle Deals auf Kosten anderer.

Meine Damen und Herren,

wer sein Land liebt, der setzt auf Zusammenarbeit. Denn nur so haben wir alle eine Zukunft.

Nachhaltige Außenpolitik, das ist multilaterale Außenpolitik.

Auf diesem Gedanken gründen die Vereinten Nationen. Er leitet auch deutsche und europäische Außenpolitik.

Ich will das an vier Beispielen deutlich machen.

Erstens: die Lage im Mittleren Osten. Die Angriffe auf zwei Ölanlagen in Saudi Arabien haben uns gezeigt, wie schnell die Dinge eskalieren können. Iran trägt dafür die Verantwortung - das haben wir Europäer deutlich gemacht – öffentlich und in unseren Treffen mit dem iranischen Außenminister in diesen Tagen.

Der einzige Weg in Richtung Entspannung sind Gespräche zwischen den USA und Iran.

Das geht aber nur, wenn keine unrealistischen Vorbedingungen gestellt werden für einen solchen Dialog.

Und noch etwas haben wir in unserem Treffen heute mit dem Iran, Russland und China unterstrichen: Wir wollen weiter am Nuklearabkommen mit dem Iran und dem Ziel eines Irans ohne Nuklearwaffen festhalten.

Weil es Sicherheit schafft und eine Basis auch für weitergehende Gespräche über andere Themen, die in diesem Zusammenhang wichtig sind. Auch wenn es mühsam ist. Diplomatie heißt eben, nicht der Logik von schwarz und weiß zu folgen und darin zu verharren. Es heißt auch, wechselseitige Absprachen einzuhalten.

Und deshalb erwarten wir, dass der Iran seine Verpflichtungen einhält, die er uns und der ganzen internationalen Gemeinschaft gegenüber eingegangen ist.

Und dass er unsere aktuellen europäischen Bemühungen um einen Einstieg in eine diplomatische Lösung auch aufgreift.

Zweitens: Afghanistan. Wir bedauern sehr, dass die blutigen Anschläge der Taliban die Gespräche mit den USA in Doha torpediert haben. Deutschland hat diese Gespräche immer begleitet und unterstützt. Weil wir davon überzeugt sind: eine nachhaltige Lösung des Konfliktes gelingt nur durch politischen Ausgleich. Nur so sorgen wir dafür, dass Frieden dauerhaft hält!

Das schulden wir auch all denjenigen, die sich in den vergangenen 18 Jahren für ein friedliches Afghanistan engagiert und dafür manchmal sogar mit dem Leben bezahlt haben.

Deshalb kann auch eine Vereinbarung mit den Taliban nur ein erster Schritt sein. Was wir dann brauchen sind innerafghanische Friedensverhandlungen. Deutschland steht bereit, diese zu unterstützen – auch um dafür zu sorgen, dass all das, wofür sich die Vereinten Nationen und die gesamte internationale Gemeinschaft seit fast zwei Jahrzehnten engagiert haben, nicht verloren geht: eine verfassungsmäßige Ordnung, ein Mindestmaß an Stabilität, Menschenrechte und insbesondere auch die Rechte von Frauen und Mädchen.

Drittens: Ukraine. Der Minsker Prozess ist in den letzten beiden Jahren beinahe zum Erliegen gekommen. Mitten in Europa erleben wir eine Aggression, die über 13.000 Menschen das Leben gekostet hat. Damit werden wir uns nicht abfinden. Das dürfen wir nicht.

Die Menschen in der Ukraine wollen Frieden, Präsident Selenski hat das klar zum Ausdruck gebracht und als Priorität benannt. Das hat auch neue Dynamik geschaffen.

Nehmen wir zum Beispiel die Brücke von Stanyzja Luhanska. Über vier Jahre war sie zerstört, jetzt wird sie wieder aufgebaut. Kriegsgeräte werden abgeführt, Soldaten abgezogen. Auf den ersten Blick ein kleiner Schritt, ein Beispiel für die Entflechtung, die der Minsker Prozess fordert.

Und doch ein gewaltiger Schritt für die Menschen, die diese Brücke tagtäglich nutzen.

Wir wollen dieses Momentum nutzen. Gemeinsam mit Frankreich arbeiten wir im Normandie-Format mit Hochdruck daran, dass die Fragen, die seit fast vier Jahren auf dem Tisch liegen, endlich gelöst werden. Nachhaltige Außenpolitik, das heißt eben auch, beharrlich ein Ziel verfolgen, Schritt für Schritt. Stehenbleiben ist keine Option.

Und schließlich: Syrien. Im neunten Kriegsjahr scheint die Idee von nachhaltigem Frieden fast schon naiv. Und doch gibt es in diesen Tagen vorsichtige Hoffnung.

Die Einberufung eines Verfassungskomitees ist ein erster, ein bedeutender Schritt in Richtung eines politischen Prozesses. Wichtig ist, dass das Komitee nun schnell seine Arbeit aufnimmt und Resolution 2254 endlich umsetzt. Denn: Nur wenn wir endlich die Konfliktursachen angehen – nämlich den Wunsch der syrischen Bevölkerung nach sozialer, wirtschaftlicher und politischer Partizipation – kann dauerhafter Frieden entstehen. Und: Erst wenn politische Fortschritte sichtbar sind, ist auch der Wiederaufbau nachhaltig. Vorher werden wir uns als Deutschland daran auch nicht beteiligen.

Was mindestens genauso wichtig ist: Gerechtigkeit. Wie können tausende traumatisierte, gefolterte, vertriebene Syrerinnen und Syrer, wie können Opfer von Giftgasangriffen an Frieden glauben, wenn ihre Peiniger straflos bleiben? Inzwischen herrscht nicht nur in Syrien der Eindruck vor, dass selbst schwerste Verbrechen nicht bestraft werden. Das Völkerstrafrecht ist massiv unter Druck.

Wir werden deshalb noch diese Woche ein Bündnis gegen Straflosigkeit ins Leben rufen, das die internationale Strafgerichtsbarkeit stärken soll. Denn: Es gibt keine Versöhnung, keinen Frieden ohne Gerechtigkeit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
diese vier Beispiele zeigen: Nachhaltige Außenpolitik – das heißt langer Atem, Durchhaltevermögen, Dranbleiben. Vor allem aber heißt das: verlässlich zusammenzuarbeiten.

Und dort, wo wir das tun, kommen die Dinge voran – oft auch abseits des Rampenlichts:

Im Sudan gibt es nach 30 Jahren endlich Hoffnung auf einen wirklichen Neuanfang. Wir sind kürzlich dort gewesen und haben mit den Verantwortlichen gesprochen und ihnen zugesichert, dass wir die Transformation auch weiter unterstützen – durch Mediation, im Sicherheitsrat, als Truppensteller bei UNAMID und als Geber.

Und nicht nur im Sudan unterstützen wir Friedensprozesse. Ich freue mich deshalb anzukündigen, dass Deutschland seinen Beitrag zum Peacebuilding Fund in diesem Jahr von 15 auf 30 Millionen Euro verdoppelt.

In Mali sichern die Blauhelme der Vereinten Nationen, darunter fast 1.000 Deutsche, Tag für Tag den zerbrechlichen Frieden. Voraussetzung für dauerhafte Stabilität ist, dass die Menschen wieder Vertrauen gewinnen in die lokalen Sicherheitskräfte.

Deshalb haben wir gemeinsam mit Frankreich die „Internationale Partnerschaft für Sicherheit und Stabilität im Sahel“ ins Leben gerufen. Und wir fordern alle Mitgliedstaaten auf, sich ihr anzuschließen.

Auch der Konflikt in Libyen harrt einer Lösung. Wir unterstützen die Vereinten Nationen und ihren unermüdlichen Sondergesandten Salamé. Ein internationaler Prozess, unter Einbeziehung der Unterstützer der Konfliktparteien, ist der einzige Weg vorwärts. Wir wollen auch dabei Verantwortung übernehmen und haben gemeinsam mit dem Sondergesandten einen Prozess angestoßen, der zu Frieden führen soll.

Meine Damen und Herren,
seit einem Dreivierteljahr sitzt Deutschland nun Im Sicherheitsrat. Und ich habe den Eindruck: Krisen und Konflikte werden dort viel zu oft erst dann Thema, wenn schon geschossen wird, wenn bereits Menschen gestorben sind. Doch das ist das Gegenteil nachhaltiger Politik! Denn dann ist schon zu spät.

Der Sicherheitsrat muss von einem Krisenreaktionsgremium zu einem Krisenpräventionsgremium werden! Er muss endlich auch die Konfliktursachen in den Blick nehmen.

Deshalb haben wir das Thema Klimawandel und Sicherheit gleich zu Beginn unserer Mitgliedschaft auf die Tagesordnung gesetzt. Und wir werden dafür sorgen, dass es dort bleibt!

Denn der Klimawandel ist längst nicht mehr nur eine ökologische Herausforderung für die Menschheit. Er ist immer öfter eine Frage von Krieg und Frieden. Der Klimawandel ist nichts anderes eine Überlebensfrage für die Menschheit.

Wenn die Menschen keinen Zugang mehr zu sauberem Trinkwasser haben, ganze Ernten wegen Dauerdürren ausfallen und Konflikte um die wenigen verbleibenden Ressourcen beginnen, werden die Kriege der Zukunft Klimakriege sein.

Klimaschutz muss deshalb zum Imperativ einer nachhaltigen Außenpolitik werden.

Auch die Rolle von Frauen rücken wir im Sicherheitsrat in den Fokus. Sexualisierte Gewalt wird heute immer noch als Kriegstaktik eingesetzt. Das ist widerlich und pervers. Mit der Verabschiedung von Resolution 2467 im April konnten wir einen Beitrag leisten, die Überlebenden sexualisierter Gewalt besser zu unterstützen.

Es geht aber um mehr: Ein stabiler Frieden ist um ein Drittel wahrscheinlicher, wenn Frauen am Prozess beteiligt sind. Wir setzen uns darum für mehr Peacekeeperinnen ein.

Derzeit sind nur 8 von 100 Stühlen bei Friedensverhandlungen von Frauen besetzt. Das ist mehr als fahrlässig. Es funktioniert schlicht nicht, wenn 51% der Weltbevölkerung ausgeschlossen sind!

Darum werden wir weiter mit aller Kraft für eine gleichberechtigte Welt kämpfen. Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, es ist eine Frage menschlicher Vernunft.

Und kämpfen werden wir im Sicherheitsrat auch weiter für Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wir haben im April dafür gesorgt, dass das Thema nukleare Rüstungskontrolle dort nach 7 Jahren erstmals wieder auf die Agenda kam!

Dabei ist doch eines völlig klar: Sicherheit schaffen wir nur miteinander, nicht gegeneinander.

Viele Staaten fordern deshalb mit Nachdruck und wachsender Ungeduld eine Rückkehr zu konkreten realistischen Abrüstungsschritten. Vor allem im nuklearen Bereich. Deshalb müssen diejenigen Staaten, die den Atomteststoppvertrag noch nicht ratifiziert haben, dies endlich tun!

Mit der Stockholm-Initiative wollen wir Fragen der nuklearen Abrüstung im Vorfeld der NVV-Überprüfungskonferenz fest auf der internationalen Agenda verankern. Und ich freue mich darauf, die Unterstützerinnen und Unterstützer dieser Initiative im nächsten Jahr in Berlin zu begrüßen.

Meine Damen und Herren,
Zusammenarbeiten. Kompromisse finden. Unsere gemeinsamen Regeln und Institutionen verteidigen. Das ist es, was wir außenpolitisch unter Nachhaltigkeit verstehen.

Deutschland hat wie kaum ein anderes Land in den letzten sieben Jahrzehnten von der regelbasierten Ordnung profitiert. Frieden, Wohlstand, freier Handel, eine offene Welt nach außen, aber auch eine freiheitliche Gesellschaft nach innen sind untrennbar mit dem Multilateralismus verbunden. Nie mehr allein – das ist eine Lehre aus unserer, der deutschen Geschichte.

Gerade Deutschland, vor 80 Jahren Brandstifter und Zerstörer in Europa und der Welt, muss heute in besonderer Weise Verantwortung für eine Ordnung übernehmen, die den Frieden sichert.

Deshalb haben wir im letzten Jahr eine Allianz für den Multilateralismus ins Leben gerufen. Weil wir die Logik: „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht“ nicht teilen. Denn am Ende bedeutet sie nichts anderes als: Jeder gegen jeden.

Dabei lässt sich keine einzige der großen Zukunftsfragen unserer Zeit von einem Land alleine lösen. Auf Globalisierung, Digitalisierung, Migration oder den menschengemachten Klimawandel finden wir nur gemeinsam Antworten.

Zusammenarbeit ist alles andere als Verrat am eigenen Land. Sie schafft vielmehr die Voraussetzung dafür, dass es unseren Ländern gut geht.

In den letzten 12 Monaten haben sich Länder aus allen Teilen der Welt zusammengefunden, die diese Überzeugung teilen. Eine Allianz für den Multilateralismus. Morgen kommen hier in New York bei den Vereinten Nationen mehr als 50 meiner Kolleginnen und Kollegen zusammen, um konkrete Schritte zu vereinbaren: Zur Stärkung des Völkerrechts und der Menschenrechte, bei Abrüstung, Krisenprävention, Friedenskonsolidierung und bei globalen Zukunftsfragen wie Cyber und dem Klimawandel.

Das ist gelebter Multilateralismus. Das ist nachhaltige Außenpolitik.

Meine Damen und Herren,
Nachhaltigkeit ist eben kein abgehobener Diskurs, kein elitärer Ansatz, den man sich leisten können muss.

Im Gegenteil. Wir können es uns nicht länger leisten, nicht nachhaltig zu handeln.

Vielen Dank.

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