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Europas Werte sind nicht verhandelbar

20.08.2018 - Interview

Außenminister Heiko Maas im Interview mit der Gazeta Wyborcza.

Ich habe mich daran gewöhnt, dass sich die Besuche der deutschen Außenminister in Polen auf Warschau beschränken. Sie haben sich überraschenderweise entschlossen, das ehemalige Vernichtungslager KL Auschwitz zu besuchen. Warum?

Das war eine sehr persönliche Entscheidung. Ich besuche den Ort, der wie kein anderer den deutschen Zivilisationsbruch der Shoa und die von Deutschen organisierte Massenvernichtung von Menschen im besetzten Polen 1939-1945 symbolisiert. Ich besuche Auschwitz in erster Linie als Mensch; für mich ist das Wissen um Auschwitz Motivation meines politischen Handelns. Aber natürlich komme ich auch ganz bewusst in meiner Funktion als deutscher Außenminister, denn ich möchte die historische Verantwortung sichtbar machen.

Ich treffe mich anschließend mit Außenminister Jacek Czaputowicz im Franziskanerkloster Harmęże. Im Wirtschaftsaußenlager „Auschwitz-Harmense“ arbeiteten bis 1945 Häftlinge bei der Hühner- und Fischzucht und mussten menschliche Asche aus den Krematorien von Birkenau verstreuen. Wir werden dort auch eine Ausstellung des Häftlings Marian Kołodziej besuchen, der die Grauen des Lagers in seinen Werken verarbeitet.

Die polnische Rechte behauptet seit Jahren, dass Deutschland seine Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg und die Verbrechen zu schmälern versucht. Wie nehmen Sie zu solchen Vorwürfen Stellung?

Deutsche Bundespräsidenten, Bundeskanzler, Außenminister und Botschafter erinnern immer wieder daran, dass wir Deutschen die immer währende Verantwortung haben, das Wissen über die Gräueltaten von damals weiterzugeben und das Erinnern wach zu halten. Bundeskanzler Willy Brandt formulierte es so: „Wir dürfen nicht vergessen, dass dem polnischen Volk nach 1939 das Schlimmste zugefügt wurde, was es in seiner Geschichte hat durchmachen müssen.“ Die Trauerbeflaggung unserer Botschaft und unserer Generalkonsulate zum Gedenken an den Warschauer Aufstand oder den Beginn des Zweiten Weltkriegs zeugen von der Scham und Trauer, die wir Deutsche mit Blick auf dieses düstere Kapitel empfinden.

Wichtig ist mir, zur deutschen historischen Verantwortung zu stehen und die richtigen Lehren daraus zu ziehen – als Mensch, als Politiker und als Deutscher. Übrigens habe ich es in meinen vielen politischen Gesprächen nicht erlebt, dass jemand bemängelt, Deutschland versuche diese Verantwortung zu schmälern. Im Gegenteil, die Offenheit, mit der Deutschland sich seiner Vergangenheit zu stellen versucht, stößt auf weite Akzeptanz. Zugleich gibt es keinen Anlass, sich zurückzulehnen, die Arbeit geht weiter.

Über das Ausmaß der im besetzten Polen begangenen Verbrechen wissen die Deutschen immer noch wenig. Wie kann man das ändern?

Um ein möglichst umfassendes Verständnis der eigenen Geschichte zu gewinnen, muss man verschiedene Blickwinkel einnehmen. Die Fähigkeit, die Geschichte auch aus der Perspektive der jeweils anderen zu sehen, ist ein wichtiger Schlüssel für Empathie und Versöhnung. Jeder einzelne ist gefordert, nicht denjenigen auf den Leim zu gehen, die einseitige Narrative anbieten. Ein besonders schönes Projekt ist das deutsch-polnische Schulbuch, weil es die Geschichte aus beiden Perspektiven präsentiert. Bei den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen 2016 wurde der erste Band vorgestellt, und wir freuen uns, schon bald den dritten Band in den Händen zu halten.
Reisen, Besuche, Austausche, Gespräche und Kontakte sind der beste Weg, um sich gegen historische Verkürzungen und Verfälschungen zu immunisieren. Diesen Weg beschreiten wir im deutsch-polnischen Verhältnis seit dem Nachbarschaftsvertrag von 1991 konsequent, sowohl politisch als auch zwischengesellschaftlich. Besonders wichtig sind Jugendbegegnungen, so wie wir heute auch eine im Rahmen meines Besuches eingeplant haben. Hier wird auch in Zukunft ein Schwerpunkt unseres Engagements liegen.

Vor einem Jahr, als Sie noch Bundesjustizminister waren, mahnten Sie die polnische Regierung, dass die Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit zu einer Isolation des Landes führen werde. Sehen Sie diese Gefahr weiterhin?

Die europäischen Werte wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte bilden das Herzstück der EU, sie sind nicht verhandelbar. Soweit in einzelnen Mitgliedstaaten die europäischen Werte unter Druck geraten, muss dies auf EU-Ebene im Dialog zwischen Mitgliedstaaten und Institutionen behandelt werden. Im laufenden Rechtsstaatlichkeitsverfahren unterstützen wir den Dialog der Europäischen Kommission mit den polnischen Behörden und hoffen, dass die von der Europäischen Kommission geäußerten Sorgen ausgeräumt werden können.

Sind unsere Länder vor dem Hintergrund dieser Angelegenheit noch in der Lage, zusammenzuarbeiten?

Selbstverständlich! Es gibt eine Vielzahl von Bereichen, in denen wir eng und zielgerichtet kooperieren. Ich denke da an viele außen- und sicherheitspolitische Fragen in EU, NATO, OSZE und VN, an die Ukraine und die östlichen Nachbarn der EU, ich denke an Wirtschafts- und Handelspolitik und natürlich an unsere reichen bilateralen Beziehungen, die tief in Zivilgesellschaft und Wirtschaft verwurzelt sind. Diesen Schatz sollten wir hüten und weiter ausbauen.

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