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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Veranstaltung „Forschen für den Frieden: Hamburger Impulse für die globale Rüstungskontrolle“ des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH)

21.05.2019 - Rede

Dass die Hamburger Bürgerschaft für solch ein derart komplexes Themenfeld wie die Rüstungskontrolle ihr Rathaus öffnet, unterstreicht die große sicherheitspolitische Tradition dieser Stadt.

Denn wenn ich mich heute mit meinen Kollegen aus Estland, Lettland und Litauen an der Alster treffe, so sehen die Bürger Hamburgs in diesen Ländern auch die Bündnispartner aus den Zeiten der Hanse.

Schon damals wussten sie, um die Kraft und die Möglichkeiten des Multilateralismus für Sicherheit, gemeinsame Regeln und Wohlstand.

Ich freue mich daher besonders, dass Du, lieber Edgars, im Anschluss ebenfalls das Wort an die hier versammelten Gäste richten wirst.

Aber Hamburg steht nicht nur dafür, was wir gemeinsam erreichen können. Hamburg steht mit den verheerenden Bombardements vom Juli 1943 auch stellvertretend für die Folgen nationalistischer Verirrung und kriegerischer Aggression die hier katastrophal auf die eigene Bevölkerung zurückschlugen.

Sicher waren es auch diese prägenden Erfahrungen, die dazu führten, dass Hamburg in den Folgejahren eine ganze Reihe sicherheitspolitisch bedeutender Politiker hervorbrachte, – darunter allein drei Verteidigungsminister [Schmidt, Apel, Rühe].

Unter ihnen möchte ich Helmut Schmidt herausheben. In dessen Zeit als Verteidigungsminister in der Regierung von Willy Brandt und seiner Ostpolitik fiel die Gründung der ersten deutschen Friedensforschungsinstitute:

Dies waren die Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt sowie 1971 das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg, das wir heute für seine Arbeit ehren.

Mit der Einrichtung dieser Institute verlieh die damalige Bundesregierung in einer Hochzeit des Kalten Krieges der tiefen Überzeugung Ausdruck, dass Sicherheitspolitik unvollständig ist, wenn sie allein auf Abschreckung und militärische Überlegenheit setzt.

Ohne Zweifel sind beide absehbar unverzichtbar; weswegen wir als Alliierte in der NATO eng zusammen stehen und Deutschland auch durch Entsendung eigener Soldaten direkt zum Schutz seiner östlichen Partner beiträgt.

Dauerhaften Frieden gewinnen wir aber nur, wenn es gelingt Vertrauen aufzubauen und gleichzeitig Spannungen und Gefahren abzubauen.

Diese Doppelstrategie aus Deterrence and Detènte war es wohl, die der frühere Direktor des IFSH, der Vordenker, Stratege und Außenpolitiker Egon Bahr, im Sinn hatte, als er sagte: „Für Deutschland ist Amerika unverzichtbar, aber Russland ist unverrückbar.“

Für mich persönlich bedeutet dies selbstverständlich auch in diesen Zeiten das Gespräch mit Russland zu pflegen. Und dies obwohl Russland keinen Hehl daraus macht, dass es aufrüstet – nuklear, konventionell und zunehmend auch im Cyber-Bereich.

Solche Gespräche mit meinem Kollegen Sergei Lavrov über den Erhalt des für Europa bedeutenden INF-Vertrags durch eine Rückkehr Russlands in die Vertragstreue, zur europäischen Sicherheit und natürlich zur Ukraine und dem Minsk-Prozess sind nicht immer ein echtes Vergnügen.

Aber als Bundesregierung und Europäer sind wir davon überzeugt, dass Vertrauen und Dialogbereitschaft letztlich die Grundlage jeder internationalen Ordnung sind.

Vertrauen, eher noch ein Vertrauensvorschuss, gerade an uns Deutsche stand auch am Anfang der europäischen Integration, die aus ehemaligen Feinden eine Staatenfamilie machte. Daran möchte ich auch mit Blick auf die Europawahl am kommenden Sonntag erinnern.

Übergeordnetes Ziel unserer Politik muss daher sein, verlorengegangenes Vertrauen wiederherzustellen. Vertrauen darauf, dass internationale Regeln gelten, dass Verträge verlässlich eingehalten werden und dass ein heute gegebenes Wort nicht morgen per Twitter-Nachricht widerrufen wird.

Dafür kämpfen wir weltweit und nicht alleine. Zum Beispiel in einer von uns gegründeten „Freundesgruppe“ von 24 Staaten, in der wir Grundfragen einer modernen konventionellen Rüstungskontrollarchitektur erörtern, und im „Strukturierten Dialog“, mit dem wir diese Thematik in der OSZE verankert haben.

Oder in den Vereinten Nationen sozusagen an höchster Stelle.

Erstmalig seit 2012 hat Deutschland Anfang April nukleare Abrüstung, Nichtverbreitung und Rüstungskontrolle wieder zum Thema des VN-Sicherheitsrats gemacht. Ich habe es als Ermutigung empfunden, dass sich alle Mitglieder des Sicherheitsrates für eine Stärkung der nuklearen Ordnung auf Grundlage des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV) ausgesprochen haben.

Ich bin davon überzeugt, dass mehr Transparenz der Nukleararsenale und die Entwicklung von Kontrollmechanismen möglich sind. Sie sind gleichzeitig die Basis für eine weitere Verringerung der Atomwaffenarsenale.

Und dies ohne jeglichen Verlust von Sicherheit!

Gefordert sind dabei zunächst die größten Nuklearmächte USA und Russland. Aber auch China mit seiner wachsenden militärischen Macht und steigenden Ambitionen muss mehr sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen und sich in die Ausgestaltung der Rüstungskontrollarchitektur von Morgen einzubringen.

Meine Damen und Herren,
die beratende Wissenschaft ist gerade in solch langwierigen und komplexen Prozessen wie der Rüstungskontrolle eine unverzichtbare Hilfe.

Sie ist Ratgeber, Kritiker und intellektueller Sparringspartner für Politik, Diplomatie und auch Militär. Sie sucht in der Forschung und im Austausch mit Experten und Politikern weltweit nach Mitteln und Wegen, die wir noch nicht kennen oder nicht erkennen.

Mit der stetig wachsenden Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit in Europa und der Welt, mit der Rückkehr militärischer Bedrohung und Konfrontation nach Europa, mit dem Erscheinen neuer Mächte und dem internationalen Terrorismus sowie mit der Entwicklung neuer Technologien verändert und entwickelt sich dieser Bedarf rasant.

Die Offiziere an der Führungsakademie hier in Hamburg werden es Ihnen bestätigen: Der Charakter des Krieges wird sich in den kommenden Jahren weiter verändern. Robotik und Künstliche Intelligenz werden in nicht ferner Zeit militärische Systeme revolutionieren.

Das bedeutet, jene Technologien, auf die wir als Industrienation setzen, können sich sicherheitspolitisch gegen uns wenden: Weitgehend selbständige Killerroboter könnten Wirklichkeit werden.

Die Bundesregierung will deshalb das Prinzip wirksamer menschlicher Kontrolle über alle tödlichen Waffensysteme international festschreiben und damit einen großen Schritt gehen hin zur weltweiten Ächtung vollautonomer Waffen.

Weitere Fragen ergeben sich zum Beispiel aus neuen, möglicherweise nuklearbestückten Hyperschallwaffen, die aufgrund ihrer Geschwindigkeit Löcher in bestehende Abschreckungsstrategien reißen. Oder im Hinblick auf eine Kriegsführung im Weltall, das aufgrund der Satelliten für Kommunikation, Aufklärung und Führung stetig an Bedeutung für die Kriegsführung gewinnt.

Schließlich steigen auch die Risiken durch biologische Waffen in einer globalisierten Welt, in der entsprechendes Know How und Technologien immer breiter verfügbar werden – für Staaten, wie für Terroristen oder Kriminelle.

Auch als politisches Signal, dass sich Deutschland diesen Themen annimmt, habe ich am 15. März dieses Jahres – unterstützt durch Beiträge meiner niederländischen und schwedischen Kollegen – die internationale Fachkonferenz „Capturing Technology. Rethinking Arms Control“ veranstaltet.

Ausgehend von dieser Bestandsaufnahme werden wir die Themen auf den vielfältigen, vor allem multinationalen Strängen vorantreiben und in den VN, in der NATO und der OSZE auf die Tagungsordnung setzen. Für 2020 ist eine Folgekonferenz geplant, auf der wir schauen, welche Fortschritte es gibt und wo wir noch stärkere Anstrengungen unternehmen müssen.

Bei all dem bauen wir intensiv auf den Dialog mit den Experten aus der Wissenschaft ohne die Deutschland keine führende Rolle in der Rüstungskontrolle spielen könnte.

Diese Wertschätzung haben die Regierungsparteien schon im Koalitionsvertrag 2018 ausgedrückt, in dem sie die Stärkung der wissenschaftlichen Expertise in der Friedens- und Konfliktforschung beschlossen haben.

Heute, ein Jahr später, feiern wir mit ihnen ein ganz konkretes Beispiel, wie wir im Auswärtigen Amt diese Beschlüsse umsetzen.

Auch Dank einer breiten Unterstützung aus dem Bundestag stellen wir in diesem und den Folgejahren aus dem Etat des Auswärtigen Amtes jeweils bis zu 1 Millionen Euro für das Forschungs- und Transferprojekt „Rüstungskontrolle und neue Technologien“ am IFSH bereit.

Liebe Frau Prof. Schröder,
damit wollen wir dazu beitragen, dass das IFSH zu einem führenden Zentrum für Rüstungskontrollforschung in Europa und darüber hinaus wird.

Das künftige Büro in Berlin wird dazu dienen, den Austausch mit der Bundesregierung noch zu verstärken.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt für uns auf der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Es geht darum, die reichhaltige, interdisziplinäre Expertise der vergangenen Jahrzehnte zu bewahren und mit den Forschungsherausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu verbinden.

Unter der Leitung von Frau Prof. Schröder und mit ihrem verjüngten aber durchaus erfahrenen Team wird das IFSH nun mit erweiterter Schlagkraft forschen und beraten können.

Sie tun dies in einer vorbildhaften Tradition des IFSH, für dessen Arbeit ich an dieser Stelle stellvertretend Prof. Neuneck und Dr. Zellner ebenfalls herzlich danken.

Ihr Sachverstand war und ist dem Auswärtigen Amt eine große Hilfe

Sehr verehrte Damen und Herren,
ich freue mich, dass das Auswärtige Amt in der Lage ist, die Friedensforschung in ihrer Stadt auf diese Weise zu fördern.

Die globale Rüstungskontrolle wartet auf neue Impulse: Sie werden dringend gebraucht. — Vielen Dank!

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