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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich des FidAR-Forums XII „Frauen in Führung. Eine gute Wahl. In Deutschland und international“ - eine Veranstaltung im Vorfeld des Internationalen Frauentags
Für einige mag es komisch klingen, aber es hat ganze 150 Jahre gedauert, bis wir vor wenigen Monaten erstmals einen Raum im Auswärtigen Amt nach einer Frau benannt haben. Wir benennen hier Räume nach Menschen. Nach Ellinor von Puttkamer, der ersten Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland. Es war damals eine Sensation, als Willy Brandt sie 1969 zur Leiterin unserer Ständigen Vertretung beim Europarat in Straßburg gemacht hat. Die Bild-Zeitung titelte damals erstaunt: „Eine Frau wird deutscher Botschafter“.
Ja, die Schlagzeile steht auch für die verschlossenen Türen, denen Frauen auf dem Weg in die Leitungsebene begegneten. Für die Widerstände, die Frauen wie Professorin Ellinor von Puttkamer zu überwinden hatten. Die Frauen von heute ebenfalls noch zu überwinden haben.
Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist eben kein Selbstläufer. Aus den verschlossenen Türen zu Zeiten Ellinor von Puttkamers mögen „gläserne Decken“ geworden sein. Die Wirkung ist ganz ähnlich. Und das, obwohl wir inzwischen seit Jahrzehnten über Gleichstellung reden.
Meine Damen und Herren,
mit dem Reden ist es eben nicht getan. Zumal die Argumente, wie ich finde, alle längst ausgetauscht sind.
Ich kann mir daher ungefähr vorstellen, was meine Kolleginnen Christine Lambrecht und Franziska Giffey zu hören bekommen haben, als sie vor wenigen Wochen die Quote für die Besetzung von Vorständen durchgeboxt haben.
Schon als Manuela Schwesig und ich, als ich noch Justizminister war, 2015 gemeinsam die Frauenquote in Aufsichtsräten auf den Weg gebracht haben, wurde uns der Untergang des Abendlandes vorausgesagt. Zumindest ging es in diese Dimension. Wie wir sehen, hat sich diese Prophezeiung nicht bewahrheitet. Ich glaube auch, die Propheten fürchten in Wahrheit einen ganz anderen Untergang: Den eines über Jahrhunderte gewachsenen, männlich dominierten Führungssystems, das sich eben nicht freiwillig an die Wirklichkeit anpasst.
Die Frauenquote ist ein Anfang, sie ist ein Anfang, ja. Das ist aber auch erst wirklich ein Anfang, um all das zu ändern, was wir in unserer Gesellschaft und in der Gegenwart in der Beziehung noch zu ändern haben. Seit ihrer Einführung ist der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten auf mehr als ein Drittel gestiegen. Das ist natürlich noch nicht das Ende, denn das Ende kann nur „Parität“ lauten.
Letztlich sind diverse Teams viel innovativer und erfolgreicher. Das erfahren wir überall. Und das sage nicht nur ich. Das belegt auch eine Studie der Boston Consulting Group, wonach unter den 100 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland diejenigen mit diversen Führungsteams fast 20 Prozent mehr Umsatz durch Innovationen machen.
Und zahlreiche internationale Studien zeigen auch: Gleichberechtigte Gesellschaften sind sicherer, stabiler und friedlicher.
Es geht eben nicht um Ideologie oder „Gender-Wahn“. Es geht um gesellschaftliche und ökonomische Vernunft, um Teilhabe, um Gerechtigkeit. Und damit im Kern geht es um die Frage, in was für einer Gesellschaft wollen wir leben. In was für einer Welt wollen wir zusammenleben.
Diplomatie ist ein zentraler Hebel, um den notwendigen Kulturwandel zu beschleunigen. Doch dafür muss auch Diplomatie selbst sich wandeln. Macht ist heute längst nicht mehr nur in Regierungszentralen konzentriert. Eine Kampagne von Amnesty, ein Post von Greta Thunberg und leider auch manche russische Bot-Fabrik erreichen oft mehr Menschen, als diplomatische Kommuniqués, Erklärungen oder Pressekonferenzen.
Darin liegen Risiko und Chance zugleich, das wissen wir alle. Wenn wir Machtkonstellationen verändern wollen zugunsten von inklusiven, demokratischen Gesellschaften, dann brauchen wir auch eine Diplomatie der Zivilgesellschaften.
Eine Diplomatie, für die Gleichberechtigung kein Lippenbekenntnis ist, sondern zentrales Ziel im weltweiten Ringen zwischen Freiheit und Unterdrückung, zwischen Demokratie und Autoritarismus.
Für unsere Arbeit folgt daraus zweierlei:
Erstens: Diplomatie muss weiblicher werden.
Und das beginnt natürlich in den eigenen Reihen. Wer sich weltweit für die Rechte von Frauen und Mädchen einsetzt, der muss auch selbst inklusiv sein. Letztlich ist das nichts anderes als eine Frage der Glaubwürdigkeit.
Auch über 50 Jahre nach der ersten Botschafterin wird in diesem Jahr gerade mal jede vierte deutsche Auslandvertretung von einer Frau geleitet – da geht noch erheblich mehr.
Das sieht man zum Beispiel bei den Abteilungsleiterinnen und ihren Stellvertreterinnen hier in Berlin. Dort ist der Frauenanteil innerhalb der letzten drei Jahre von 27% auf 43% gestiegen. Das ist noch keine Parität, aber das ist mehr als nur ein Anfang.
Das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist dabei natürlich von ganz besonderer Bedeutung. Spätestens die Covid19-Pandemie hat uns gezeigt, wie schnell das Rad zurückgedreht werden kann.
Der Frauenanteil in den Vorständen der 30 DAX-Konzerne ist in der Krise wieder auf das Niveau von 2017 zurückgefallen. Für viele Frauen bedeutet „Home Office“ zurzeit mehr „Home“ als „Office“. Im Klartext: viele Frauen erledigen zu Hause zwei Vollzeitjobs - Arbeit plus Kinderbetreuung und -beschulung. Und auch in gewöhnlichen Zeiten tragen Frauen nach wie vor die Hauptlast der Familien- und Sorgearbeit.
Im Auswärtigen Amt - mit seinem nomadischen Leben zwischen Brasilia, Belgrad und Berlin - wird diese Herausforderung noch weiter potenziert. Umso mehr haben wir in den vergangenen drei Jahren an mehr Flexibilität gearbeitet, beispielsweise was Präsenzzeiten angeht.
Wir müssen dringend weiter daran arbeiten, neue, kreative Formen des Jobsharings zu schaffen, auch hier bei uns im Auswärtigen Amt.
Zweitens: Nichts über Frauen ohne Frauen – das muss unsere Devise sein. Im Sicherheitsrat und an allen anderen Tischen der Macht.
Deshalb haben wir die Umsetzung der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ der Vereinten Nationen zu einem Kernanliegen deutscher Außenpolitik gemacht.
- Als Mitglied Sicherheitsrats der Vereinten Nationen haben wir Geschlechtergerechtigkeit sowie Schutz vor sexualisierter Gewalt in den Mandaten der Friedensmissionen verankert und den Einsatz weiblicher Peacekeeperinnen gestärkt.
- Gegen große Widerstände haben wir eine Resolution des Sicherheitsrats durchgesetzt, die Überlebende konfliktbezogener sexualisierter Gewalt besser schützen und auch stärken soll.
- Um die Mitwirkung und Führung von Frauen zu stärken, haben wir 2017 das „African Women Leaders“-Netzwerk initiiert. Heute sind rund 3000 Frauen Teil dieses Netzwerks. 2019 haben wir das deutsch-lateinamerikanische Frauennetzwerk „Unidas“ aus der Taufe gehoben. Mittlerweile haben sich dort rund 240 Mitglieder und Partnerorganisationen zusammengeschlossen.
- Und in Krisengebieten unterstützen wir Frauen dabei, an Friedensverhandlungen teilzunehmen. Im Sudan, zum Beispiel, bieten wir Aktivistinnen über das Goethe Institut geschützte Räume, um sich frei von sozialer Kontrolle austauschen und auch weiterbilden zu können. Viele dieser Frauen standen während der Revolution 2019 in ihrem Land an vorderster Front. Mit einigen von ihnen habe ich bei meinem letzten Besuch in Khartum gesprochen. Ihr Mut und ihre Ausdauer haben mich dabei ganz besonders beeindruckt. Und unser Versprechen gilt auch weiterhin: Wir wollen dafür sorgen, dass diese Frauen jetzt, wo über die Transformation und die Demokratisierung ihres Landes geredet wird, nicht von den Verhandlungstischen wieder verdrängt werden.
Meine Damen und Herren,
ist all das leichter gesagt als getan? Ja, sicher.
Wird der dafür notwendige Kulturwandel auf Widerstände stoßen? Ja, ganz bestimmt.
Aber dürfen wir uns davon abhalten lassen? Nein, sicher nicht.
Sonst ginge es unseren Botschafterinnen heute vielleicht immer noch wie Ellinor von Puttkamer, die in ihrer Personalkarte seinerzeit das Feld „Staatsangehörigkeit der Ehefrau“ ausfüllen musste. Weil Botschafterinnen, und damit Ehemänner von Botschafterinnen, schlicht nicht vorgesehen waren. Auf dem Papier nicht und erst recht nicht in den Köpfen und der Realität.
Auf dem Papier hat sich das zum Glück längst geändert. Und hoffentlich auch in den allermeisten Köpfen. Aber jetzt, meine Damen und Herren, geht es vor allen Dingen um eines: Um den Wandel in der Realität.
Vielen Dank!