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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Verleihung des Menschenrechtspreises der Friedrich-Ebert-Stiftung an den Premierminister der Republik Nordmazedonien, Zoran Zaev

16.11.2020 - Rede

Es ist tatsächlich wahr: Wenn man hier vorne steht, sieht das etwas komisch aus. Wenn man diesen Saal kennt und Veranstaltungen wie diese, prall gefüllt mit vielen Menschen. Und dennoch ist es für mich vielleicht gar nicht so schlecht am heutigen Tage. Denn dieser Termin heute ist mein erster Termin nach 14 Tagen Quarantäne. Das heißt, ich treffe das erste Mal seit 14 Tagen wieder auf Menschen. Und vielleicht ist es als Eingliederungsmaßnahme gar nicht so schlecht, dass es nicht gleich so viele sind. Und übrigens, lieber Zoran, einer der letzten, den ich gesehen habe, bevor ich in die Quarantäne geschickt wurde, war Dein Außenminister Bujar. Und unter den ersten, die ich jetzt wiedersehe, seid Ihr, unsere Freunde aus Nordmazedonien, und das ist auch eine schöne Fügung des Schicksals.

Meine Damen und Herren,
man muss sich das einmal vorstellen. Es ist nichts anderes als ein Schreckensszenario in einer Demokratie: Die Anhänger der gerade abgewählten Regierung stürmen das Parlament. Man sieht vermummte Angreifer, die mit Stühlen auf Abgeordnete losgehen. Anwesende Journalisten werden verprügelt. Es herrscht Chaos.

Das Ganze als Ergebnis monatelanger Blockaden der Regierungsbildung und einer nie dagewesen politischen Polarisierung. Der eine oder andere mag vielleicht jetzt an ein anderes Land denken.

Aber, meine Damen und Herren, das alles ist keine Fiktion im Fall von Zoran Zaev. Genau so begann seine Regierungszeit. Die Anhänger der Vorgängerregierung reagierten mit Gewalt, der abgewählte Premierminister sprach von einem Putsch.

Die Neuwahlen, aus denen Du als Sieger hervorgegangen warst, lieber Zoran, sie waren das Ergebnis der sogenannten „Bunten Revolution“.

An dieser warst Du ganz maßgeblich beteiligt. Du wurdest zum Hoffnungsträger einer ganzen Generation, die genug davon hatte, ständig mit Nationalismus und einer Politik konfrontiert zu werden, die mehr die Vergangenheit zum Gegenstand hatte als die Zukunft.

So wurdest Du zum „Frontrunner“ des Zweiklangs aus nationaler Einheit und der Anbindung an Europa. Und dabei hast Du wesentliche Fortschritte erreichen können. Du hast den Rechtsstaat gestärkt, für unabhängige Gerichte und gegen Korruption gekämpft. Du hast der Demokratie in deinem Land zur Würde verholfen. Das war der erste Schritt auf dem Weg nach Europa.

Nun war und ist dieser Weg wahrlich kein Spaziergang, das wissen wir alle. Innenpolitisch bist Du auf große Widerstände gestoßen. Vor allem bei den schon vielfach erwähnten, aber in Deinem Land genauso umstrittenen Prespa-Abkommen.

27 Jahre lang schwelte der Namensstreit zwischen Griechenland und Nordmazedonien und blockierte die euro-atlantische Integration Deines Landes. Diplomaten aus beiden Ländern, aus den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der NATO haben jahrelang nach einer Lösung gesucht. Die beiden damaligen Außenminister, meine Kollegen Nikos Kotzias und Nikola Dimitrov, haben manche Nacht durchverhandelt. Und wir sind immer sehr eng dabei gewesen, weil das, was bei Euch geschieht, und die europäische Perspektive des Westbalkans für die deutsche Bundesregierung immer eine Priorität gewesen ist. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Als Ihr Euch am 17. Juni 2018 am Prespa-See die Hände geschüttelt habt, da wurde für alle Welt sichtbar, dass es Dir gemeinsam mit Alexis Tsipras gelungen ist, den Weg des Kompromisses, des Friedens und vor allen Dingen des gegenseitigen Respekts einzuschlagen – und damit einen wahrlich europäischen Weg.

Seit 2019 trägt Dein Land seinen neuen Namen. Dafür hast Du innenpolitisch reichlich Gegenwind aushalten müssen. Besonders stürmisch wurde es, als die Annäherung an die EU dann doch nicht so schnell wie erhofft kam und der lange Weg nach Europa immer länger zu werden schien. Du hast Rückschläge erleben müssen, aber Du hast Dich nie von Deinem Weg abbringen lassen.

Die Neuwahlen, die in Deinem Land stattgefunden haben, haben Dich in deinem politischen Kurs bestätigt.

Die ersten Früchte dieses politischen Mutes konnten die Mazedonier im März dieses Jahres bereits ernten: Nordmazedonien wurde als 30. Verbündeter in die NATO aufgenommen. Endlich! Ein großer Schritt für Dein Land, ein großer Schritt aber auch für die Sicherheit der gesamten Westbalkanregion. Inzwischen sind auch schon die ersten Soldaten aus Nordmazedonien im NATO-Einsatz etwa im Kosovo dabei zu helfen, das Land und damit die ganze Region zu stabilisieren. Da wir alle wissen, wie schwierig die Lage nach wie vor zwischen dem Kosovo und Serbien ist, ist das eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, die Ihr da übernommen habt.

Und ebenfalls im März hat der Rat der Europäischen Union dann auch endlich grünes Licht gegeben für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der EU.

Einen wichtigen Grundstein für diesen auch von uns lang erwarteten Schritt bildete neben dem Prespa-Abkommen der Freundschaftsvertrag mit Bulgarien, der 2017 unterzeichnet wurde.

Und es ist auch ein gutes Zeichen, dass Bulgarien und Nordmazedonien als Nachbarn dieses Jahr gemeinsam den Vorsitz im Berliner Prozess übernommen haben.

Auf dem Gipfel, den Ihr gemeinsam veranstaltet habt, habt Ihr letzte Woche wichtige Ergebnisse erzielt, wie etwa die Schaffung eines gemeinsamen regionalen Markts. Ein Projekt von immenser Bedeutung für den ganzen westlichen Balkan und seine Vorbereitung auf den EU-Beitritt. Das ist vor allen Dingen deshalb von so großer Bedeutung, weil für die Bürgerinnen und Bürger die europäische Perspektive nichts Abstraktes, sondern etwas ganz Konkretes ist. Und sie wollen das in ihrem eigenen Leben dann auch erkennen – und dafür brauchen wir konkrete Fortschritte: wirtschaftliche Fortschritte, soziale Fortschritte, Arbeitsplätze, die geschaffen werden. Das Ziel des gemeinsamen regionalen Marktes ist genau das was, glaube ich, die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger zu Hause erfüllt.

Wir alle wissen, dass wir im Moment intensive Gespräche führen, damit die erste Beitrittskonferenz noch während der Ratspräsidentschaft Deutschlands stattfindet. Wir werden weiter hart daran arbeiten, so wie wir das in den letzten Wochen getan haben – auch in den kommenden Tagen. Denn es ist das erklärte Ziel und es ist ein fester Bestandteil unseres Präsidentschaftsprogrammes, dass nach den Beschlüssen im März, auf die wir schon so lange gewartet haben, jetzt endlich auch die formalen Verhandlungen beginnen. Und deshalb bleibt unser Ziel nach wie vor, dass die erste Beitrittskonferenz mit Nordmazedonien noch in diesem Jahr stattfinden soll.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
das hat auch etwas mit der Glaubwürdigkeit der EU zu tun. Deshalb wird es ganz entscheidend sein, dass wir in den kommenden Tagen Lösungen finden für die Fragen, für die wir immer noch keine Antworten haben. Wir meinen es ernst und wir wollen auch ganz konkret mithelfen, das umzusetzen. Wir meinen es ernst, wenn wir sagen: Der Westliche Balkan gehört zur EU. Wir haben schon so lange über so viele Fragen verhandelt, wir wollen jetzt endlich weiterkommen. Und wir werden auch weiterhin alles tun, was in unserer Macht steht, um Euch auf diesem Weg zu unterstützen.

Meine Damen und Herren, lieber Zoran,
eine der Reformen, die Du in Deinem Land vorangetrieben hast, war das Antidiskriminierungsgesetz. Das habt Ihr Ende Oktober in einem parteienübergreifenden Konsens verabschiedet. Und ich finde, dieses Antidiskriminierungsgesetz passt gut zu einem Versprechen, mit dem Du zur Parlamentswahl angetreten bist:

„Eine Gesellschaft für alle zu schaffen, eine Republik Nordmazedonien, in der sich alle zu Hause und geachtet fühlen – gleich welcher Ethnie, geschlechtlichen oder religiösen Orientierung“.

Lieber Zoran, besser könnte man Europa und seine Werte kaum in Worte fassen.

Und das ist das genaue Gegenteil von dem, was uns vielerorts immer noch die Nationalisten weismachen wollen: Man kann eben Mazedonier oder Albaner sein und gleichzeitig ein stolzer Bürger Skopjes, Nordmazedoniens und eben Europas.

Das Schöne an unserer europäischen Identität ist, dass sie uns vereint in unserer ganzen Vielfalt.

Lieber Zoran,
Du hast mit Deinem Einsatz, Deiner Ausdauer und auch Deinem unermüdlichen und ansteckenden Optimismus mit dem Prespa-Abkommen einen wichtigen Schritt vollbracht – zum Wohle Deines Landes, aber auch der Region und damit auch zum Wohle Europas.

Du bist ein Hoffnungsträger geworden und auch zum Vorbild in vielen ungelösten Konflikten auf dieser Welt.

Dafür erhältst Du heute den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Und es ist mir eine ganz besondere, eine große Ehre, ihn Dir zu überreichen – einem ambitionierten Reformer, weitsichtigen Politiker und vor allem aber: einem überzeugten Europäer.

Herzlichen Glückwunsch!

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