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Ansprache von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Verleihung des “FASPE Award for Ethical Leadership” an Fritz Bauer

03.04.2019 - Rede

Wenn man posthum einen Preis für jemand anderen entgegennimmt, dann stellt sich unweigerlich die Frage: Wie hätte der Preisträger wohl reagiert?

Ich denke, Fritz Bauer wäre wohl vor allem überrascht gewesen. Kurz nach seinem Tod im Jahr 1968 wurde er von einer deutschen Zeitung noch als „bestgehasste Mann in der Bundesrepublik“ bezeichnet. Briefe voller Anfeindungen und Drohungen füllten ganze Aktenordner seines Büros. Dem Mann, der mit den Auschwitz-Prozessen Rechtsgeschichte geschrieben hat, schlugen zu Lebzeiten vor allem Misstrauen und Verachtung entgegen.

Welche Kraft treibt einen Menschen an, der so etwas auf sich nimmt?

Vor kurzem bin ich auf eine alte Fernsehsendung aus dem Jahr 1964 gestoßen. Fritz Bauer diskutiert darin mit jungen Menschen über seine Arbeit – über die Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Humanität, so sagt er, werde in Deutschland auch 20 Jahren nach dem Ende des Nazi-Terrors mit „Schwäche und Schlappheit“ gleichgesetzt.

Fritz Bauer muss gar nicht aussprechen, wie absurd ihm diese Vorstellung vorkommen muss. Schließlich zeugt sein ganzes Leben ja vom blanken Gegenteil. Es zeugt vom Mut zur Menschlichkeit.

  • Mutig engagierte sich Fritz Bauer schon als junger Richter für die zerbrechliche Demokratie der Weimarer Republik. Ein „Jurist aus Freiheitssinn“ wollte er sein – für den die Autorität des Staates dem Einzelnen dienen muss, nicht umgekehrt. Von den Nazis wurde er dafür aus dem Amt geworfen und inhaftiert.
  • Mutig unterstützte er nach seiner Flucht aus Deutschland aus dem Exil heraus den Widerstand gegen Hitler.
  • Mutig kämpfte er dafür, dass die junge Bundesrepublik in den 1960’er Jahren endlich mit der juristischen Aufarbeitung der Menschheitsverbrechen der Nazis begann.

Fritz Bauer ging es dabei nie um Rache. Diese unmenschlichen Maßstäbe, die auch der Nazi-Ideologie zu eigen waren, lehnte er ab.

In der Aufarbeitung der schrecklichen Vergangenheit lag für ihn ein notwendiger Schritt in eine bessere Zukunft. Maßstab war dabei nicht das in Gesetze gegossene Unrecht des NS-Staats. Für Fritz Bauer stand außer Zweifel: Kein Eid und kein Gesetz können Menschen zwingen, die Grenzen der Menschlichkeit zu überschreiten.

Im Gegenteil: Jeder Mensch hat das Recht, aber eben auch die Pflicht, seine eigene Menschlichkeit und die seiner Mitmenschen zu verteidigen – wenn es sein muss, auch gegen den eigenen Staat.

Dieser Mut zum Widerstand trieb auch Fritz Bauers eigenes Handeln. Als die Bundesregierung sich weigerte, die Auslieferung Adolf Eichmanns aus Argentinien zu beantragen, informierte er die israelischen Behörden über Eichmanns Aufenthaltsort. Dass er damit seine Karriere aufs Spiel setzte, nahm er in Kauf. Nichtstun war für ihn keine Option angesichts des Massenmords an Europas Juden, für den Eichmann als „Verwalter des Holocaust“ Mitverantwortung trug.

Man würde Fritz Bauer aber Unrecht tun, wenn man ihn auf das Bild des „Nazi-Jägers“ reduzierte. Das „Problem Auschwitz“ begann für ihn nicht erst an den Toren von Auschwitz und Birkenau – so hat er es selbst einmal ausgedrückt. Es waren eben nicht nur die Nazi-Schergen in den Vernichtungslagern, die die Tötungsmaschine in Gang hielten. Es waren ganz normale Menschen - Beamte, Ingenieure, Ärzte oder Buchhalter - die als Mitläufer oder Schreibtischtäter zu Komplizen des Völkermords wurden: Millionen von Deutschen, für die Mitmenschlichkeit für Schwäche stand. Die an Härte und Gewalt, an Befehl und Gehorsam glaubten.

Der NS-Terror wurde möglich, weil diese Menschen sich nicht wehrten gegen seine menschenfeindliche Ideologie. Weil Hass gegenüber Minderheiten auf fruchtbaren Boden fiel in der deutschen Gesellschaft.

Gerade jungen Menschen wollte Fritz Bauer so Vorbilder schenken. Sie sollten erkennen: Wenn die Menschenwürde mit Füßen getreten wird, dann gilt es, verantwortliches Subjekt zu sein, anstatt bloßes Objekt staatlicher Autorität. Dann wird Ungehorsam zur Pflicht.

Meine Damen und Herren,

in der gerade schon erwähnten Fernsehsendung sagte Fritz Bauer zu den jungen Männern und Frauen: „Im Grundgesetz haben wir eine Demokratie, aber was wir brauchen, sind die richtigen Menschen, die Demokratie leben.“

Demokratie geht zugrunde ohne Menschen, die sie verteidigen. Deshalb habe ich als Justizminister vor einigen Jahren einen Fritz-Bauer-Studienpreis gestiftet, der angehende Juristinnen und Juristen darin bestärken soll, sich mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit, einem humanen Strafvollzug und dem Schutz der Menschenrechte zu beschäftigen.

Demokratie braucht Demokraten. Diese Erkenntnis ist heute so wichtig wie zu Zeiten Fritz Bauers, vielleicht sogar wichtiger denn je. Denn die Decke unserer Zivilisation ist dünner als wir denken.

Um das festzustellen, dafür reicht der Blick nach Charlottesville, nach Christchurch oder in deutsche Städte, wo Neonazis wieder offen den Hitlergruß zeigen oder Juden für das Tragen einer Kippa angefeindet werden. Das ist beschämend, für alle in Deutschland.

Weltweit haben Populisten und Nationalisten Zulauf. Andersdenkende werden niedergemacht, Fakten bewusst verdreht. Im Internet herrscht oft die Sprache der Wut. Und der Kern unserer Demokratie selbst - das Ringen um Kompromisse - wird als Schwäche verächtlich gemacht.

Fritz Bauer hätte uns davor gewarnt. Er hätte uns gesagt, dass nicht diejenigen stark sind, die starke Reden schwingen, die ihre Stärke aus der Schwäche anderer ziehen. Sondern diejenigen, die Mut haben zur Menschlichkeit.

Und er hätte uns aufgefordert zu handeln – so wie Organisationen wie FASPE und unsere Gastgeber von der LRN Corporation dies Tag für Tag tun. Dafür möchte ich Ihnen allen herzlich danken!

Menschen darin zu bestärken, ihrem Gewissen zu folgen, aufzustehen gegen Ungerechtigkeit, Ausgrenzung und Hass – darum ging es Fritz Bauer zeit seines Lebens. Und genau darum geht es in der Arbeit von FASPE.

Deshalb kann ich mir keinen besseren Träger des FASPE Award for Ethical Leadership vorstellen als Fritz Bauer. Vielen Dank. Und ich kann mir kaum eine größere Ehre vorstellen, als diesen Preis stellvertretend für ihn entgegenzunehmen.

Meine Damen und Herren,

Fritz Bauer war einer der wenigen Helden in der Geschichte der deutschen Justiz - ein Verteidiger unserer gemeinsamen Menschlichkeit. Sein Vermächtnis zu bewahren, in New York, Europa und überall in der Welt - dazu leistet dieser Preis einen wichtigen Beitrag.

Er ist uns Ansporn, Mut zu zeigen. Mut zur Menschlichkeit.

Vielen Dank!

[Die Rede wurde auf Englisch gehalten]

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