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Wir verlieren nichts, wenn wir europäisch handeln.

16.02.2019 - Rede

Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Verleihung des Ewald-von-Kleist-Preises an die Premierminister der Hellenischen Republik und der Republik Nordmazedonien, Alexis Tsipras und Zoran Zaev, am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz.

Ein Konflikt um einen Namen dreht sich nie nur um Worte. Auch in dem Konflikt zwischen Skopje und Athen ging es nie allein um einen Namen. Es ging um etwas Tiefgründigeres. Es ging um Identität.

Dieser Konflikt reicht tief in die Geschichte zurück – eine Geschichte gegenseitiger Irritationen und Provokationen. Seine Auswirkungen waren gravierend:

  • Über 27 Jahre hinweg behinderte er die wirtschaftliche Integration einer gesamten Region.
  • Er brachte die euro-atlantische Integration Nordmazedoniens fast zum Erliegen.
  • Und er war eine Quelle ständiger Auseinandersetzungen – zwischen den beiden Ländern, in ihrem Innern, aber auch in den internationalen Beziehungen.

Was also machte nach 27 Jahren den Unterschied aus? Die Antwort lautet: Sie beide, Premierminister Tsipras und Premierminister Zaev.

Wir ehren Sie heute für Ihren Mut: Den Mut zu sagen: „Wir können diesen Konflikt lösen. Wir lassen es nicht länger zu, dass die Vergangenheit unsere Zukunft verbaut.“ Wir ehren Ihren Mut, schmerzhafte Kompromisse einzugehen und für das Prespa-Abkommen zu kämpfen – trotz heftigen Widerstands dagegen in beiden Ländern. Es gibt nicht viele Regierungschefs, Premierminister Tsipras, die so wie Sie Kurs halten würden, obwohl sie dadurch ihre Regierungskoalition aufs Spiel setzen.

Sie beide haben allen Widrigkeiten getrotzt. Die Lösung des Namensstreits war zu keiner Zeit eine “low-hanging fruit”, ein leicht zu erreichendes Ziel. Hunderte von Diplomaten – aus ihren beiden Ländern, aus den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der NATO – haben nichts unversucht gelassen auf der Suche nach einer Lösung. Über die Jahre hat der Sondergesandte der Vereinten Nationen, Matthew Nimetz, Dutzende verschiedener Namen vorgeschlagen. Als er mit seiner Vermittlungstätigkeit begann, gingen Sie beide noch zur Uni. Ihre Außenminister, meine Kollegen Nikola und Nicos, haben ganze Tage und Nächte miteinander durchverhandelt.

Die echte Auseinandersetzung aber begann nach der Unterschriftszeremonie. Als ich letztes Jahr im September Athen und Skopje besucht habe, sah es düster aus für die Umsetzung des Abkommens. Es gab eine massive Gegenkampagne – befeuert auch von interessierten ausländischen Mächten. In Griechenland protestierten Tausende auf den Straßen.

Hoffnung gab mir allein Ihr Optimismus. Ich habe Premierminister Zaev gefragt, wie man das Abkommen durch die innenpolitischen Klippen steuern könne. Er hat nur gelächelt und gesagt: „Wenn es einfach wäre, dann müssten wir nicht ran.“ In diesem Geist haben Sie miteinander verhandelt; das war die Garantie für Ihren Erfolg.

Ihnen ist es gelungen, diesen Konflikt der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Sie haben ein neues Kapitel aufgeschlagen, das Kapitel gutnachbarschaftlicher Beziehungen. Sie haben den Weg geebnet dafür, dass Nordmazedonien nun unser jüngster Alliierter in der NATO wird und schnell in Richtung Europäischer Union vorankommen kann.

Dieser Erfolg wirkt weit über die Region hinaus. Er hat Menschen weltweit inspiriert. Einer meiner internationalen Kollegen hat vor einigen Wochen zu mir gesagt: „In diesen Tagen kommt unsere Hoffnung vom Balkan.“

Das sagt einiges über die Bedeutung dessen, was Sie erreicht haben. Aber es sagt auch einiges über den gegenwärtigen Zustand der Welt – einer Welt, in der das Recht des Stärkeren zu gelten scheint. In dieser Welt hat Europa nur eine Wahl: Zusammenschluss oder Abstieg!

Sie haben das verstanden und den Weg des Kompromisses und des Respekts gewählt, den Weg des Friedens und der regionalen Stabilität. Kurz gesagt: Den europäischen Weg.

In einer Zeit, in der Populisten uns weismachen wollen, dass die Europäische Union unsere nationalen Identitäten auslöschen will, haben Sie den Populisten eine überzeugende Lektion erteilt: Wir verlieren nichts, wenn wir europäisch handeln.

Ganz im Gegenteil: Europa schenkt uns eine zusätzliche Identität – eine europäische. Man kann gleichzeitig und ohne Widerspruch ein stolzer Bürger Skopjes, Nordmazedoniens und Europas sein. Das Schöne an unserer europäischen Identität ist: Sie vereint uns in unserer Vielfalt.

Sehr geehrter Herr Premierminister Zaev, sehr geehrter Herr Premierminister Tsipras,
Ewald von Kleist teilte viele der Charaktereigenschaften, die auch Sie unter Beweis gestellt haben. Er stellte sich zeitlebens gegen jede Form des Nationalismus. Er bewies großen Mut, als er sich dem Widerstand gegen das Nazi-Regime anschloss. Und er hörte nie auf an die Fähigkeit der Menschen zu glauben, zusammenzuarbeiten für den Frieden.

Ich könnte mir daher keine zwei würdigeren Träger des Ewald-von-Kleist-Preises vorstellen, als Sie, Alexis Tsipras und Zoran Zaev.

Ich gratuliere Ihnen herzlich zum Ewald-von-Kleist-Preis! Und ich danke Ihnen dafür, echte europäische Vorbilder zu sein!

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