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„Wir dürfen Europa nicht den Angstmachern überlassen“

18.05.2019 - Interview

Außenminister Heiko Maas im Interview u.a. mit der Passauer Neuen Presse zur Europawahl.

Der Konflikt zwischen den USA und dem Iran über das Atomabkommen spitzt sich weiter zu. Droht jetzt eine Eskalation?

Die Lage ist sehr ernst. Sowohl die USA als auch der Iran versichern, dass sie keine militärische Konfrontation wollen. Die Gefahr liegt darin, dass auch unvorhergesehene Ereignisse zu einer Eskalationsspirale führen können. Wir haben bereits die Sabotageakte auf Schiffe im Golf von Oman und die Beschädigung einer Pipeline in Saudi-Arabien durch eine Drohne erlebt. Das kann in der gegenwärtig angespannten Situation zu einer weiteren Eskalation und einem militärischen Konflikt führen. Deeskalation ist jetzt nötiger denn je. Das erwarten wir von allen Beteiligten.

Schiffe der US-Navy haben Kurs auf den Persischen Golf genommen. Wie ernst ist die Gefahr eines Krieges und eines Flächenbrandes in der Region?

Es gibt in der Region eine Reihe von Krisen und Konflikten. Das reicht vom Irak über Syrien bis nach Jemen. Allein einer dieser Konflikte könnte Auslöser eines Flächenbrandes sein. Das Risiko einer Eskalation sollte allen Beteiligten bewusst sein.

Kann Deutschland eine Vermittlerrolle übernehmen?

Wir sind bereits in einer Vermittlerrolle: Wir sprechen mit den USA, mit Russland und China. Wir reden auch intensiv mit dem Iran. Wir organisieren gemeinsam mit den Franzosen und Briten die Geschlossenheit der Europäischen Union. Wir übernehmen hier ganz klar Verantwortung und tun alles dafür, dass eine Deeskalation gelingt. Es dürfen keine Missverständnisse entstehen, die zu weiteren Spannungen führen könnten.

Aber bisher gibt es keine Annäherung…

Wir dürfen uns nichts vormachen: ein Jahr nach dem Ausstieg der USA aus dem Nuklearabkommen wird es nicht einfach sein, das JCPoA zu retten. Das Abkommen ist Ausdruck unsere Sorge vor einem nuklear bewaffneten Iran. Die Welt ist mit diesem Abkommen sicherer als ohne. Dass die Amerikaner einseitig aus diesem Abkommen ausgeschieden sind, bleibt für uns nicht nachvollziehbar. Die wirtschaftlichen Vorteile, die sich der Iran durch das Abkommen versprochen hat, werden nach dem Rückzug der Vereinigten Staaten nur sehr schwer zu erreichen sein. Dennoch: Gerade weil wir dem Iran misstrauen, werden wir - trotz schwieriger Ausgangslage - daran arbeiten, das Abkommen zu erhalten. Denn es bleibt jedenfalls im Moment der sicherste Weg, den Iran davon abzuhalten, Atomwaffen zu bauen. Ganz klar: Wir erfüllen unsere Verpflichtungen, erwarten das aber ebenso vom Iran.

Irans Präsident Hassan Rohani wirft den europäischen Vertragspartnern vor, dem Druck der USA nachgegeben zu haben…

Das Gegenteil ist richtig. Die Europäische Union war geschlossen. Das hat funktioniert. Auch unter dem großem Druck, den die Vereinigten Staaten gemacht haben. Wir stehen zusammen.

US-Außenminister Mike Pompeo hatte kurzfristig seinen Besuch in Berlin abgesagt. Wäre es nicht besser gewesen, sich in der Krise eng abzustimmen?

Mit Mike Pompeo stimme ich mich sehr regelmäßig ab. Wir haben noch am Tag des geplanten Besuchs telefoniert. Er hat zuletzt auch seinen Besuch in Moskau abgesagt und ist zu uns EU-Partnern nach Brüssel gekommen. Wenn es Kritik an der Absage seines Berlin-Besuchs gibt, ist das eine komplett überhitzte Debatte. Derzeit ist geplant, dass er den Besuch bereits am 31. Mai nachholt. Wir sind uns einig über das Ziel: Wir wollen einen Iran ohne Atomwaffen. Wir wollen, dass der Iran seine destruktive Rolle in der Region, in Syrien, im Jemen oder im Libanon, aufgibt. Und wir wollen, dass der Iran sein ballistisches Raketenprogramm und seine Drohgebärden gegen Israel stoppt. Allerdings sind wir Europäer der festen Überzeugung, dass uns eine Strategie des maximalen Drucks nicht weiterbringt. Wir setzen auf Dialog statt auf rhetorische Aufrüstung.

Es gibt Zweifel wie ernst die Bedrohung durch den Iran und sein Atomprogramm wirklich ist. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Wir werden sehr genau die unabhängigen Berichte der Internationalen Atomenergie-Organisation betrachten, wenn es darum geht, ob sich Iran an die Verpflichtungen hält oder nicht. Sie bleiben für uns der Maßstab. Unsere Erwartungen an Teheran ist glasklar: der Iran muss seine Verpflichtungen aus dem Abkommen weiterhin umsetzen, und zwar ohne irgendwelche Abstriche. Es wird keinerlei Rabatte geben.

Herr Maas, in einer Woche sind Europawahlen. Der Wahlkampf läuft eher schleppend. Das Interesse an der Wahl scheint bisher nicht besonders groß zu sein. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Die späte Aufmerksamkeit liegt vielleicht auch daran, dass immer mehr Menschen ihre Wahlentscheidung erst ganz kurz vor der Wahl treffen. Deshalb gilt es, jetzt auch in den letzten Tagen vor der Europawahl noch einmal sehr deutlich zu machen, worum es geht.

Europa droht eine Spaltung. Stehen wir vor einer Schicksalswahl?

Bei dieser Europawahl geht es um mehr als je zuvor. Es steht nicht weniger auf dem Spiel als die Zukunft Europas und der Europäischen Union. Wir alle haben am 26. Mai die Wahl: Entweder für Europa oder dagegen, entweder für internationale Zusammenarbeit oder für den Rückfall in den Nationalismus. Meine Haltung ist klar: Wir dürfen Europa nicht den Angstmachern überlassen. Weckrufe gab es genug. Wer jetzt noch nicht wach ist, ist bewusstlos.

Aber Populisten und Nationalisten sind offenbar im Aufwind…

Wir halten alle Errungenschaften der Europäischen Union – Frieden, Freiheit, Demokratie - mittlerweile für selbstverständlich. Das sind sie aber keineswegs! Das sieht man aktuell in Europa und auch in einer Welt voller Krisen. Wir müssen uns vergegenwärtigen: Es gibt einen Großangriff auf unsere europäischen Werte durch Populisten und Nationalisten. Am 26. Mai steht mehr auf dem Spiel als nur die Frage, wer der nächste Kommissionspräsident wird. Die Funktions- und Handlungsfähigkeit der EU droht stark beschädigt zu werden, wenn neben den internationalen Fliehkräften von außen auch die innere Handlungsfähigkeit des Europäischen Parlaments durch Rechtspopulisten geschwächt wird.

Steht Europa am Scheideweg?

Es geht um die Zukunft der Europäischen Union. Den Beitrag, den Europa liefert für Frieden, Freiheit und Demokratie können wir gar nicht genug würdigen. Wir müssen uns kritisch prüfen, warum wir nicht ausreichend klarmachen können, wie wichtig Europa ist - auch mit Blick auf all die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Klimawandel, Digitalisierung, Migration - nichts von dem kann ein einziges Land allein lösen. Das muss man international regeln und dazu brauchen wir die Europäische Union.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stellt das Prinzip in Frage, dass der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion im Europaparlament nach der Wahl auch EU-Kommissionspräsident werden soll. Wie stehen Sie dazu?

Wir sollten das Prinzip der Spitzenkandidaten jetzt nicht kurz vor der Wahl in Frage stellen. Was zur Stärkung des Parlaments beiträgt, weist in die richtige Richtung. Am Ende wird es darum gehen, eine politische Mehrheit im Europäischen Parlament zu finden.

Präsident Macron fordert umfassende Reformen für die EU. Wo bleibt die deutsche Unterstützung? Müsste die Bundesregierung hier nicht eine Führungsrolle übernehmen?

Ich werde oft gefragt, warum wir uns nicht mehr einbringen in Europa. Allerdings nur in Deutschland. Im Ausland wird immer kritisch nachgehakt, dass wir es mit der Führungsrolle in Europa bitte nicht zu sehr übertreiben sollen. Wir sollten uns jedenfalls davor hüten, Europapolitik mit dem erhobenen Zeigefinger zu machen. Es sollte eher die Idee der ausgestreckten Hand sein. Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, dass die Reformagenda für die Europäische Union eine rein deutsch-französische Angelegenheit ist. Es nützt nichts, wenn Deutschland und Frankreich sich einig sind und andere den Eindruck haben, es gebe ein Europa erster und zweiter Klasse.

Die Eurokrise hat Nord und Süd voneinander entfernt, die Debatte über die Flüchtlingspolitik den Osten. In Polen und Ungarn steht der Rechtsstaat auf dem Spiel. Wie lässt sich eine weitere Spaltung verhindern?

Wenn es um die Grundwerte geht, kann es keine Kompromisse geben. Unabhängige Justiz, Gewaltenteilung - da geht es um Elementares. Da kann es keine Rabatte geben. Ich bin fest davon überzeugt, dass viele dieser Länder ein großes Interesse an der Europäischen Union haben. Auch, weil sie von ihr profitieren. Da gibt es nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten.

Die britische Premierministerin Theresa May will unmittelbar nach der Europawahl erneut im Unterhaus über den Brexit abstimmen lassen. Wagen Sie eine Prognose?

Nein, über das Abstimmungsverhalten wage ich keine Vorhersagen mehr. Es ist eine Frist gesetzt bis Ende Oktober. Bis dahin muss eine Lösung gefunden werden. Niemand sollte ein Interesse an einem ungeregelten Brexit haben.

Das Grundgesetz wird 70 Jahre alt. Wie gratulieren Sie?

Danke für Frieden, Freiheit und Bürgerrechte. Dieses Gesamtkunstwerk hat ganz wesentlichen Anteil daran, dass Deutschland seinen Platz in der internationalen Staatengemeinschaft wieder gefunden hat. Und als verlässlicher Partner und Freund wahrgenommen wird. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes wussten: Nationale Alleingänge führen ins Verderben. Nur gemeinsam als vereintes Europa werden wir unsere Werte und Interessen in der Welt behaupten.

Interview: Andreas Herholz

www.pnp.de

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