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Videobotschaft von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Veranstaltung „Freiheit der Kunst in Europa“ der Akademie der Künste

09.05.2021 - Rede

„Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen.“ Man könnte meinen, dieser Satz wäre für die heutige Veranstaltung in der Akademie der Künste nahezu geschrieben worden.

Zumindest aber liefert er die Erklärung, warum das Auswärtige Amt die Europäische Allianz der Akademien von Beginn an aus voller Überzeugung unterstützt hat.

Dieser Satz, vorgetragen von Robert Schuman vor genau 71 Jahren, bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, stand am Anfang einer revolutionären Vision: Die Vielfalt Europas nicht mehr als Bedrohung oder als Auslöser nationalistischen Wettstreits zu verstehen. Sondern Vielfalt in Einheit zu fördern, ja sie sogar als Bereicherung zu empfinden.

Darin liegt der Kerngedanke des vereinten Europas. Und damit der Schlüssel dafür, unsere Werte und Interessen in einer zunehmend autoritären – manche würden sagen: illiberalen – Welt zu behaupten.

Wer könnte die dafür nötigen schöpferischen Anstrengungen besser verstärken als eine freie Kunst und Kultur? Durch sie verorten und verhandeln wir uns und unsere Werte von Freiheit, Solidarität und Demokratie immer wieder aufs Neue. In ihnen spiegelt sich unser Selbstverständnis als europäische Werte- und Vielfaltsgemeinschaft. Und sie mahnen uns, wenn unsere Werte in Gefahr sind.

Deshalb ist die Freiheit der Kunst auch denjenigen ein Dorn im Auge, die Uniformität zum Ziel haben und dafür die Spaltung der Gesellschaft in Kauf nehmen. Ein Blick hinter die Kulissen von „Querdenken“ und Co. genügt, um die Gefahr zu erkennen, die daraus gerade in der Pandemie erwächst.

Wir müssen wachsam sein. Die Freiheit von Kultur gerät nicht erst dort in Gefahr, wo schon zensiert und verboten wird, wo Künstlerinnen und Künstler verfolgt werden. Bei uns in Europa geschieht dies oft viel subtiler – mal werden Genehmigungen oder Fördergelder gestrichen oder viel zu früh wird aus dem nötigen Streit der Meinungen ein öffentliches Mundtotmachen kritischer Stimmen.

Deshalb ist Ihre Initiative – in der sich Kultureinrichtungen europaweit für die Freiheit der Kunst einsetzen und sich gegenseitig unterstützen – so wichtig. Sie kann zu einem europäischen Frühwarnsystem für die Kunstfreiheit werden. Und zwar indem sie die Alarmglocken läutet, wenn Kultur und Kulturschaffende bedroht werden. Wo sie zur Zielscheibe werden, trifft es unsere offenen Gesellschaften als Ganzes - und damit unsere Idee Europas, geeint in Vielfalt.

Meine Damen und Herren,
Kunst und Kultur schaffen Identität. Was wir zeigen, wie wir es zeigen und wem wir es zeigen, das sagt viel über uns selbst aus.

In einem geeinten Europa kann es nur vielfältige, offene Identitätsräume geben, in denen wir uns alle wiederfinden können. Diese Räume zu schaffen, zu erhalten, zu stärken – darin liegt vielleicht die wichtigste Investition in ein krisenfestes, souveränes Europa. So notwendig alle Rettungsschirme, Wiederaufbauprogramme und Gipfelbeschlüsse der vergangenen Krisenjahre waren: Erst wenn wir auch europäisch fühlen, wird europäisches Handeln zum Automatismus. Und erst dann wird dieses Europa wirklich zukunftsfest sein.

Olafur Elíasson hat die Aufgabe, die bis dahin vor uns liegt, im vergangenen Jahr so beschrieben: „Kunst und Kultur bieten einen Raum, einen Treffpunkt, um sich zu vernetzen, Perspektiven auszutauschen und gleichzeitig Unterschiede zu zelebrieren.“ Vernetzen und Unterschiede zelebrieren – beides gehört in Europa zusammen. Und nur in dieser Verbindung wird Kunst zu einem Raum für die Erwartungen an das Europa von morgen. Einem offenen und freien Raum für die Sehnsüchte nach einer besseren Zukunft.

Meine Damen und Herren,
ich weiß, wie schwer es fällt, mitten in der Corona-Pandemie, an diese Zukunft zu glauben, geschweige denn an ihr zu arbeiten. Und ich weiß, wie schmerzhaft diese Zeiten gerade für Künstlerinnen und Künstler und für den Kulturbetrieb insgesamt sind.

Aber ich bin mir auch genauso sicher: Auch hier werden unsere schöpferischen Anstrengungen – um in Schumans Worten zu sprechen – stärker sein als die Bedrohungen. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass Krisenzeiten sich im Rückspiegel als Blütezeiten von Kunst und Kultur erweisen. Weil Kunst und Kultur den Blick über den Tag hinaus richten. Weil sie sich nicht vor Utopien scheuen. Und weil sie Freiheitsräume immer neu ausloten.

Vielen Dank!

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