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Eingangsstatement von Außenminister Heiko Maas bei der virtuellen Teilnahme am Plenum der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
In seiner Eröffnungsrede vor der ersten Parlamentarischen Versammlung des Europarats am 10. August 1949 sprach deren damaliger Präsident Edouard Herriot eine wie er sagte „extrem delikate Frage“ an: Die nach der Zukunft Deutschlands in Europa.
Als ehemaliger französischer Premierminister betonte Herriot die „Beklommenheit“ der Nachbarn Deutschlands, ihre Erinnerung an „Folter, Exekutionen und Deportationen“, begangen von Deutschen nur wenige Jahre zuvor im Zweiten Weltkrieg.
Und dennoch bot Herriot der gerade neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland Aussöhnung und Zusammenarbeit an: Für das gemeinsame Ziel eines wie er es nannte „liberalen Europas“.
Meine Damen und Herren,
ich denke, Edouard Herriot wäre zufrieden gewesen, wenn er auf unser heutiges Europa blicken würde – ein weitgehend geeinter Kontinent des Rechts und der Menschenwürde. Mit einem demokratischen Deutschland, das in Frieden und Freundschaft mit seinen Nachbarn lebt.
Wir verdanken dies starken Institutionen wie dem Europarat: Fast 72 Jahre nach seiner Gründung ist er heute eine institutionelle Säule unseres geeinten Kontinents. Mit der Europäischen Menschenrechtskonvention setzt er weltweit Maßstäbe im Menschenrechtsschutz.
Gleichzeitig mussten wir in den vergangenen Jahren aber auch feststellen:
Unser friedliches und tolerantes Europa ist keine Selbstverständlichkeit.
Gewalt und Krieg sind leider wieder aufgeflammt, zuletzt in Bergkarabach, aber auch nach wie vor in der Ostukraine.
Und Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte stehen unter Druck.
Bilder wie die, die uns am Wochenende aus zahlreichen russischen Städten erreicht haben – von Polizisten, die friedliche Demonstranten verprügelt, weggeschleift und verhaftet haben – all das steht in krassem Gegensatz zu den Verpflichtungen, die wir alle als Mitglieder des Europarats eingegangen sind. Deshalb fordern wir von Russland die sofortige Freilassung der verhafteten Demonstranten. Und wir erwarten die umgehende Freilassung auch von Alexej Nawalny, gegen dessen Rechte Russland schon in früheren Verfahren verstoßen hat, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zweifelsfrei festgestellt hat.
Vorgänge wie diese unterhöhlen die rechtsstaatlichen Errungenschaften, auf die wir als Mitglieder des Europarats zu Recht stolz sind.
Der Erosion unserer europäischen Menschenrechtsarchitektur müssen wir alle entschlossen entgegentreten.
Als Vorsitz im Ministerkomitee des Europarats haben wir deshalb drei Schwerpunkte uns vorgenommen:
Erstens arbeiten wir für einen einheitlichen Menschenrechtsschutz in ganz Europa.
- Das heißt: Alle Mitgliedstaaten des Europarats müssen sich an rechtskräftige Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte halten. Nationale Regeln sind keine Rechtfertigung, diese Urteile unvollständig oder gar nicht umzusetzen und damit internationales Recht zu brechen.
- Wir engagieren uns mit Nachdruck für den raschen Beitritt der Europäischen Union zur Konvention. Bis zu unserem Ministertreffen im Mai wollen wir das Beitrittsabkommens mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten vorantreiben.
- Wir treten für Menschen ein, deren Rechte in der Pandemie besonders bedroht sind. Gerade Frauen und Kinder leiden zum Beispiel unter steigender häuslicher Gewalt. Wir rufen daher alle Mitgliedstaaten auf, der Istanbul-Konvention beizutreten.
- Und schließlich sollten wir gemeinsam darauf hinarbeiten, dass Einschränkungen von persönlichen Freiheiten zum Schutz unserer Gesundheit in der Pandemie verhältnismäßig und vor allem zeitlich begrenzt bleiben. Das „toolkit“ der Generalsekretärin zur Einhaltung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit in der Pandemie gibt hierzu wertvolle Empfehlungen. Die müssen wir aber auch umsetzen!
Zweitens: Wir wollen die europäische Menschenrechtsarchitektur fit machen für das digitale Zeitalter.
- Künstliche Intelligenz ist janusköpfig – sie birgt neue Möglichkeiten, aber auch viele Risiken. Wenn wir wollen, dass das Internet kein menschenrechtsfreier Raum wird, dann muss der Europarat hier Standards setzen – etwa mit einer neuen Rahmenkonvention.
Der zuständige Ausschuss des Ministerkomitees hat dazu im Dezember eine wichtige Machbarkeitsstudie verabschiedet. Und vergangene Woche haben wir bei unserer virtuellen Konferenz zu künstlicher Intelligenz bereits darüber beraten.
Auf dieser Grundlage sollten wir bei unserem Ministertreffen im Mai weitere Beschlüsse fassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
- Nicht nur in den USA erleben wir, wie Hassrede im Internet die Diskriminierung verschärft und Gewalt entfesselt wird. Deshalb brauchen wir bessere Regeln gegen online-Hetze und Anti-Diskriminierungsstrategien für den digitalen Raum, die längst überfällig sind.
Wie wir dabei weiterkommen, darüber beraten wir bereits im Februar bei einer Vorsitz-Konferenz zur Bekämpfung von “Hate Speech” im Internet.
Meine Damen und Herren,
als dritte große Priorität unserer Präsidentschaft wollen wir den Europarat den Bürgerinnen und Bürgern Europas näherbringen.
- Wir arbeiten eng mit dem Beratenden Jugendausschuss und dem Europäischen Jugendwerk zusammen, um gerade auch mehr junge Menschen für die Arbeit des Rates zu gewinnen. Welche Erwartungen sie an die Zukunft unseres Kontinents haben, das hat sich bei der “Third European Youth Work Convention” im Dezember bereits gezeigt.
- Auch Minderheiten müssen wir noch stärker an unseren Diskussionen beteiligen. Wir konzentrieren uns dabei auf Europas größte Minderheit – Roma and Travellers. Dabei arbeiten wir eng mit dem European Roma Institute for Arts and Culture zusammen.
Nach einem Konzert im Dezember in Berlin wird das Institut im April zum internationalen Tag der Roma eine Jugendkonferenz in Straßburg organisieren.
Meine Damen und Herren,
in seiner Rede bei der Amtseinführung vor wenigen Tagen hat der neue amerikanische Präsident seine Landsleute aufgerufen, nicht nur das Trennende im anderen zu sehen, sondern das Einende. Und Vielfalt als Chance zu begreifen.
Wie viel mehr muss das für Europa gelten und für den Europarat, der die Vielfalt von 47 Nationen vereint. Natürlich wird es unter uns immer wieder Meinungsverschiedenheiten geben. Aber Sie, als Parlamentarier, wir alle, als Demokraten, stehen letztlich in der Pflicht, diese Differenzen miteinander zu lösen – vor allen Dingen respektvoll, kompromissbereit, menschlich.
Ich sage das auch ganz bewusst auch mit Blick auf die Debatte um die heutige Teilnahme einiger russischer Parlamentarier. Der Europarat steht seit jeher für den Austausch auch über ideologische Grenzen hinweg. Das heißt auch, Kritik offen zu äußern – und auszuhalten. Aber ein Abbruch von Brücken ist aus meiner Sicht immer die schlechteste Option.
Nur wenn wir miteinander offen im Gespräch bleiben, dann werden wir auch das bewahren, was für Edouard Herriot 1949 allenfalls ein fernes Ziel gewesen ist: Ein Europa des Friedens, der Zusammenarbeit und der Menschenrechte.
Vielen Dank bis hierher – und jetzt freue ich mich auf Ihre Fragen!