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„Wir haben nur als geeintes Europa eine Chance“

24.11.2018 - Interview

Außenminister Heiko Maas im Interview mit der Rheinischen Post und dem General-Anzeiger

Herr Minister, die Union, Ihr Koalitionspartner, streitet über den UN-Migrationspakt. Warum ist dieses Abkommen gut für Deutschland?

Der Migrationspakt ist die gemeinsame Antwort der Staatengemeinschaft auf eine Frage, die uns alle betrifft. Migration ist auf der ganzen Welt schlichte Realität. Der Pakt dient nun dem Zweck, dafür eine vernünftige Basis zu schaffen. Das ist nicht nur gut für Deutschland. Es ist auch gut für alle Menschen: der Migrationspakt macht klar, dass die Menschenwürde unteilbar ist.

Braucht man dafür einen Vertrag?

Der Migrationspakt ist ein großer Fortschritt. Er ist eine politische Absichtserklärung, zu der sich die meisten der gut 190 Staaten der Vereinten Nationen bekennen werden. Es geht darum, möglichst gleiche Standards für Rückführung zu setzen. Wir müssen Schleuserkriminalität eindämmen, Grenzen sichern, Fluchtursachen bekämpfen. Migration ist eines der drängendsten Themen weltweit. Deswegen ist es gut, wenn sich möglichst viele Staaten hinter diesem UN-Pakt versammeln.

Die heftige Debatte über den Migrationspakt – ist das eine Kampagne der Rechten?

Rechtspopulisten nutzen das Thema Migration, um mit falschen Behauptungen Ängste zu schüren. Das ist nicht neu. Umso wichtiger ist es, dass darüber breit debattiert wird. So können wir mit Fakten dagegen halten: Der Migrationspakt ist keine Bedrohung, sondern ein Akt der Vernunft.

„Europe united“ funktioniert bei Migration aber nicht….

Im Gegenteil: Kein einziges Land in Europa wird das Thema Migration alleine regeln können. Migration zu regulieren und zu steuern, ist eine globale Herausforderung. Das können wir nur gemeinsam angehen. Wir müssen in Europa versuchen, in Migrationsfragen wenigstens ein Mindestmaß an Einvernehmen zu erzielen.

Sie wollen im Frühjahr, wenn Deutschland als nicht-ständiges Mitglied wieder für zwei Jahre im UN-Sicherheitsrat sitzt, gemeinsam mit Frankreich eine europäische Doppelspitze in dem Weltgremium bilden. Doch „Europe united“ gegen „America first“?

Nein., aber: Es steht unsere politische Gestaltungsfähigkeit auf dem Spiel. Wir Europäer haben keine Chance, unsere Werte und Interessen etwa in Handelsfragen oder im Streit über das Atomabkommen mit Iran durchsetzen, wenn sich jedes Land einzeln mit den USA auseinandersetzt. Erst recht gilt das für strittige Themen mit Russland oder mit China. Nur gemeinsam als „Europe united“ haben wir eine echte Chance. Davon hängt die Durchsetzungsfähigkeit unserer Werte und Interessen ab.

Also eine europäische Armee?

Klar ist, dass Europa sich auch verteidigungspolitisch weiter entwickeln muss. Die EU kann hier militärische wie zivile Fähigkeiten einbringen und miteinander verbinden. Und: Wenn wir jetzt auch noch außenpolitisch handlungsfähiger werden, indem wir im Rat der Außenminister in bestimmten Fragen nicht mehr nur einstimmig entscheiden, sondern hin zu Mehrheitsentscheidungen kommen, wären wir noch einen Schritt weiter.

Spiegelt der UN-Sicherheitsrat noch die Welt so wie sie heute ist – oder bräuchte man mehr Afrika und mehr Asien? Deutschland will ja selbst einen ständigen eigenen Sitz in dem Gremium.

Die Welt hat sich dramatisch verändert. Das drückt der UN-Sicherheitsrat in seiner jetzigen Zusammensetzung nicht mehr aus. Er muss reformiert werden. Wir organisieren uns dabei mit Staaten, die ähnliche Interessen verfolgen wie Deutschland: zum Beispiel Japan oder Indien. Der Reformprozess insgesamt verläuft seit Jahren sehr schleppend. Wir sollten aufhören, uns im Kreis zu drehen und echte Verhandlungen über eine Reform beginnen – so wie es die übergroße Mehrheit der Mitgliedstaaten seit langem will.

Heißt mehr deutsche Verantwortung in der Welt auch mehr deutsche UN-Blauhelme?

Wir sehen unsere Rolle als Friedensstifter. Militärische Operation sind aber immer nur ultima ratio. Wir wollen vielmehr bei den Konfliktursachen ansetzen. Dazu zählen ganz besonders Klimawandel und Migration. Und wir sind ein Mitgliedsland, das bereit ist, im Rahmen seiner Möglichkeiten auch Verantwortung zu übernehmen.

Auch in der Ostukraine?

Wir wollen unsere Zeit im UN-Sicherheitsrat auch dazu nutzen, über einen UN-Friedenseinsatz in der Ostukraine zu reden. Die Präsidenten Russlands und der Ukraine, Wladimir Putin und Petro Poroschenko, schließen eine solche UN-Mission im Grundsatz nicht aus. Aber sie haben noch völlig unterschiedliche Vorstellungen der Ausgestaltung einer solchen UN-Mission. Fortschritte sind nur sehr schwer zu erzielen. Das Friedensabkommen von Minsk aus dem Frühjahr 2015 ist bis heute weitgehend unerfüllt. Trotz aller Schwierigkeiten dürfen wir nichts unversucht lassen, um dem Friedensprozess neue Impulse zu geben.

Eine UN-Mission mit dem Segen Russlands bei schrittweisem Verzicht auf die Sanktionen gegen Moskau – ist das denkbar?

Das sind ja Sanktionen der Europäischen Union gegenüber Russland. Unser unmittelbares Ziel bleibt, die Ukraine zu stabilisieren und einen echten Waffenstillstand durchzusetzen. Gelingt dann die Umsetzung des Minsker Abkommens, können wir über den Abbau der Sanktionen verhandeln. Aber erst dann.

Putin-Versteher Gerhard Schröder hat Sie wegen Ihrer deutlichen Worte über Russlands Politik der Abgrenzung zum Westen kritisiert. Nur eine alte Fehde unter Genossen?

Meine Haltung zu Russland hängt allein davon ab, wie die russische Regierung agiert. Wir brauchen den Dialog mit Russland für die Lösung internationaler Konflikte. Hierfür müssen wir aber auch unsere eigenen Erwartungen glasklar formulieren. Das gilt nicht nur für Russlands Rolle in der Ukraine, sondern auch für den Syrien-Krieg.

Wann reisen Sie wieder nach Saudi-Arabien?

Ich muss nicht vor Ort sein, um unsere Haltung klar zu machen: Wir verlangen Transparenz und wollen eine vollständige Aufklärung des abscheulichen Mordes an Jamal Khashoggi. Die Täter und die Hintermänner müssen zur Verantwortung gezogen werden. Rüstungsexporte haben wir komplett gestoppt. Das gilt auch für bereits genehmigte Lieferungen.

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Interview: Michael Bröcker, Holger Möhle

Rheinische Post

General-Anzeiger

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