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„Das letzte Wort hat die irakische Regierung“

06.01.2020 - Interview

Außenminister Heiko Maas im Deutschlandfunk über die aktuelle Lage nach der Ankündigung des irakischen Parlaments, alle ausländischen Truppen des Landes zu verweisen.

Herr Maas, bedeutet der Beschluss des irakischen Parlaments jetzt auch das Ende des Kampfes gegen den IS durch ausländische Truppen im Irak?

Das werden wir jetzt mit der irakischen Regierung, die geschäftsführend im Amt ist, zu besprechen haben. Natürlich will niemand ein militärisches Engagement im Irak gegen den Willen des Parlamentes und der Regierung. Deshalb muss das jetzt besprochen werden. Das letzte Wort hat dort die Regierung.

Wir nehmen diesen Parlamentsbeschluss allerdings sehr ernst, machen uns allerdings auch große Sorge, dass ohne das Engagement der internationalen Staatengemeinschaft – es sind ja Dutzende von Staaten, die sich am Kampf gegen den IS beteiligen- die Instabilität im Irak noch größer werden wird, als es jetzt schon der Fall ist. Das muss man mit den Verantwortlichen im Irak jetzt besprechen. Aber im Ergebnis: Wir werden jede Entscheidung akzeptieren, die dort getroffen wird.

US-Präsident Trump droht ja jetzt schon der Regierung in Bagdad mit massiven Sanktionen, wenn die US-Truppen aus dem Land abziehen müssten. Ist das eine angemessene Reaktion aus Washington?

Zumindest ist sie, glaube ich, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sehr hilfreich. Nach dem Beschluss, den es im Parlament gegeben hat, müssen wir jetzt aktiv dafür werben, dass die internationale Staatengemeinschaft bereit ist, den Irak weiter zu unterstützen.

Wir haben viel investiert an Engagement, nicht nur militärisch, auch an Stabilisierungshilfen, um dieses Land wieder aufzubauen, um Infrastruktur zu schaffen. Das droht, alles verloren zu gehen, wenn sich die Lage so weiterentwickelt. Ich glaube, das geht nicht mit Drohungen, den Irak zu überzeugen, sondern mit Argumenten. Dafür gibt es viele. Aber das letzte Wort hat natürlich der Irak selbst.

Wie weit, glauben Sie denn, wird Donald Trump oder wird die Regierung in Washington gehen, Bagdad unter Druck zu setzen?

Das werden wir sicherlich sehen. Die Maßnahmen, die von den Vereinigten Staaten in den letzten Tagen ausgingen, glaube ich, zeigen ein hohes Maß an Entschlossenheit. Trotzdem, glaube ich, ist es richtig, das was der französische Präsident, der britische Premierminister und die Bundeskanzlerin gestern erklärt haben, dass man auf alle Seiten einwirken muss, dass der Irak nicht zum Schauplatz eines Krieges zwischen den USA und dem Iran werden wird.

Das heißt, die Europäer haben nach beiden Seiten offene und funktionierende Gesprächskanäle, die zurzeit auch genutzt werden, und wir werden unseren Teil dazu beitragen, dass es im Irak keinen Stellvertreterkrieg anderer Länder gibt.

Haben Sie Ihren Gesprächspartnern in Washington gesagt, dass Sie die Reaktionen aus Washington nicht hilfreich finden?

Ich habe mit meinem Kollegen Mike Pompeo telefoniert. Er hat nicht nur mit mir telefoniert, sondern er hat zum Beispiel auch mit dem französischen und dem britischen Kollegen telefoniert, und er hat sich ja anschließend dazu auch geäußert. Er ist anscheinend nicht so sehr erfreut darüber gewesen, dass wir dem Vorgehen der Vereinigten Staaten nicht hundert Prozent zugestimmt haben.

Dennoch ist es, glaube ich, wichtig, dass die Europäer sich hier einig sind, denn nur dann kann Europa überhaupt eine Rolle spielen in dieser Auseinandersetzung. Und da im Irak im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, gegen den IS auch unsere eigenen Sicherheitsinteressen betroffen sind, und zwar ganz massiv, sind wir hier in der Verantwortung, und das versuchen wir aktuell in vielen Gesprächen mit den Kollegen aus Washington, aber auch in Teheran, mit den Golfstaaten, die auch alle sehr besorgt sind über diese Entwicklung.

Dem versuchen wir Rechnung zu tragen und ich halte es auch für notwendig, dass zum Beispiel die Außenminister der Europäischen Union jetzt kurzfristig zusammenkommen, um sich da noch einmal abzustimmen und um eine europäische Haltung einzunehmen.

Warum hat das so lange gedauert?

Man kann ja nicht sagen, dass das jetzt besonders lange gedauert hat. Es hat gestern erst mal eine Erklärung Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens gegeben. Die Europäische Union ist dort mit an Bord. Ich glaube, die Entwicklungen verändern sich ja jeden Tag. Insofern werden wir diese Entwicklungen tagesaktuell beurteilen müssen.

Wichtig wäre es allerdings, in einem größeren Rahmen zusammenzukommen, und darüber hinaus halte ich es auch für notwendig, nach dem Beschluss des irakischen Parlamentes, dass die Anti-IS-Koalition, der ja viele Staaten aus der ganzen Welt angehören, jetzt zusammenkommen, um die Lage weiter zu besprechen.

In der NATO findet heute eine außerordentliche NATO-Ratssitzung statt. Wir müssen uns da abstimmen und wir müssen auch eine Entscheidung darüber treffen, wie wir mit dem Votum des irakischen Parlaments umgehen, und werden jetzt noch einmal sehen, wie die irakische Regierung sich letztendlich dazu verhält.

Ist es klar, Herr Maas, dass ohne US-Truppen auch keine deutschen Bundeswehrsoldaten im Irak bleiben?

Das wird sicherlich ganz schwierig sein, weil die Vereinigten Staaten militärisch dort eine Vielzahl von Funktionen übernommen haben, die von heute auf morgen nicht von anderen übernommen werden können. Letztlich hat allerdings das irakische Parlament beschlossen, dass alle ausländischen Streitkräfte das Land verlassen sollen.

Es wird jetzt darum gehen, wie die irakische Regierung diese Resolution umsetzt, und erst dann werden wir wissen, wie die Grundlagen sind für das weitere amerikanische Engagement, aber auch insbesondere das Engagement der Europäer. Deshalb muss man auch innerhalb der EU jetzt schleunigst darüber sprechen.

Wegen der Bedenken der SPD sind die Bundeswehrsoldaten im Irak nicht Teil der NATO-Ausbildungsmission. Die SPD wollte das bilateral mit Bagdad regeln. Das ist auch schon viel kritisiert worden. Es geht im Moment ja den ausländischen Truppen im Irak nur darum, sich zu schützen. Der Einsatz oder die Mission ruht ja ansonsten. Haben die Bundeswehrsoldaten weniger Schutz, weil sie nicht Teil der NATO-Mission sind?

Nein, das kann man definitiv nicht sagen. Wir haben alle Vorkehrungen dafür getroffen, dass die deutschen Soldaten, die im Irak stationiert sind, aber auch diejenigen, die in umliegenden Ländern an der Anti-IS-Mission beteiligt sind, etwa diejenigen, die die Aufklärungsflüge machen, oder die ein Tankflugzeug zur Verfügung stellen, dass deren Sicherheit gewährleistet ist.

Die Mission wird ja nicht durchgeführt, weder die Ausbildungsmission; auch der Anti-IS-Kampf ruht jetzt erst mal, bis die Lage vor Ort geklärt ist, auch politisch. Aber für uns hat natürlich die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten oberste Priorität, und das überprüfen wir tagesaktuell und sind jederzeit in der Lage, daraus auch die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.

Da haben wir auf der anderen Seite auch über das Wochenende wieder von Raketenbeschuss auf eine US-Basis im Irak gehört. Wir haben die Bilder gesehen der hasserfüllten Demonstranten nach der Tötung des iranischen Kommandeurs. Der Hass gegen die USA, der kann ja leicht überspringen auf die Verbündeten. Muss man nicht die deutschen Soldaten sofort aus dieser gefährlichen Situation zurückholen, so wie das auch die Opposition in Berlin verlangt?

Na ja. Ich glaube, das ist, wenn man das jetzt ad hoc tut, schwierig, denn letztlich sind wir ja nicht alleine da. Wenn jetzt jeder alleine eine Entscheidung trifft, was er mit seinen Soldaten macht, dann wird es viel Unsicherheit geben auch für andere, die dort sind.

Aber Deutschland ist ja trotzdem erst einmal für seine eigenen Soldaten verantwortlich.

Genau. Das tun wir ja auch und das überprüfen wir, und wir sind der Auffassung, so wie das ja bei anderen Staaten auch der Fall ist, dass die Sicherheit gewährleistet ist, dass es jetzt zu klären ist mit der irakischen Regierung, wie es überhaupt weitergeht mit dem Anti-IS-Kampf.

Wichtig ist allerdings: mit den internationalen Partnern. Wir arbeiten ja zusammen. Das heißt, die einen üben diese Funktion aus, die anderen eine andere. Das ist ein abgestimmtes System. Deshalb ist es ja so wichtig, dass der NATO-Rat heute tagt, dass die Anti-IS-Koalition zusammenkommt, um das zu besprechen. Wenn jeder jetzt das macht, was er selber persönlich für richtig hält, dann wird es zwangsläufig nicht mehr möglich sein, dieses Mandat und das Engagement aufrecht zu erhalten. Deshalb ist es wichtig, alles was wir jetzt tun international zu koordinieren. Nur das ist verantwortungsbewusst.

Der Iran hat angekündigt, sich weiter vom Atomabkommen zu distanzieren. Ist das das Ende dieses Abkommens?

Das ist zunächst einmal eine Entscheidung, die die Lage, die ja ohnehin schwierig ist, noch viel schwieriger macht, denn niemand will, dass der Iran in den Besitz von Atomwaffen kommt. Das was der Iran jetzt angekündigt hat, entspricht nicht mehr dem Abkommen. Deshalb werden wir uns heute mit Frankreich und Großbritannien zusammensetzen, um darüber zu entscheiden, und zwar gemeinsam, wie wir noch in dieser Woche darauf reagieren. Das wird sicherlich nicht ohne Reaktion unsererseits so hingenommen werden können.

Was soll das heißen?

Dass wir überprüfen – der Vertrag gibt bestimmte Möglichkeiten –, wie solche Fälle zu klären sind, welche Verfahren ausgelöst werden können. Das werden wir miteinander besprechen. Wir werden, so wie wir das in der Vergangenheit immer getan haben, mit der Internationalen Atom-Energiebehörde darüber sprechen und uns auch deren Einschätzung noch einmal einholen. Auf der Grundlage, wenn die Fakten gesammelt sind, wird es eine koordinierte Reaktion geben, die Deutschland, Frankreich und Großbritannien miteinander in den kommenden Stunden und Tagen absprechen wird.

Was ist das möglichste Szenario? Kann es sein, dass die Europäer aus dem Abkommen aussteigen?

Wir werden sicherlich auch mit dem Iran noch einmal sprechen. Das was angekündigt wurde, ist allerdings nicht im Einklang mit dem Atomabkommen. Und wenn diese Gespräche geführt sind, werden wir darauf eine Entscheidung treffen müssen. Einfacher ist das nicht geworden und das kann auch der erste Schritt hin ins Ende dieses Abkommens sein, was ein großer Verlust wäre.

Deshalb werden wir das sehr, sehr verantwortungsbewusst jetzt noch einmal abwägen, auch in der gegenwärtigen Situation, in der alle darauf hinwirken, dass nicht weiter eskaliert werden soll. Aber das, was der Iran jetzt angekündigt hat, werden wir nicht einfach so achselzuckend hinnehmen können. Das wollen wir aber international koordinieren, wie wir darauf reagieren.

Noch kurz zum Schluss. Sie haben das schon gesagt. Es gab einiges Unverständnis aus Washington auf die Reaktion der Europäer in den letzten Tagen, und es fragen sich wahrscheinlich auch viele, auf welcher Seite stehen die Europäer eigentlich, die nach wie vor Teheran als Verhandlungspartner zum Beispiel für dieses Atomabkommen sehen.

Wir stehen auf der Seite, die der Diplomatie immer eine Chance geben wollen.

Und das muss nicht unbedingt die Seite der Amerikaner sein.

Na ja. Wenn ich mir anschaue, was in den letzten Tagen geschehen ist, nachdem Soleimani getötet worden ist, muss man zwangsläufig die Frage stellen, ob das Entwicklungen sind, die gewollt worden sind. Ich glaube, das ist nicht der Fall. Deshalb müssen wir damit jetzt erst einmal umgehen und wir werden unseren Beitrag dazu leisten, und zwar als Europa, dass jede Möglichkeit genutzt wird, der Diplomatie noch eine Chance zu geben. Das Letzte, was wir alle wollen können, und zwar auch aus ureigenstem Sicherheitsinteresse Europas, ist, dass es einen Flächenbrand im Mittleren und Nahen Osten gibt, denn der wird die Sicherheit in Europa maßgeblich verändern, und zwar nicht zum Besseren.

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Interview: Christiane Kaess

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