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Laudatio von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Überreichung des Großen Bundesverdienstkreuzes an Christoph Flügge

13.03.2019 - Rede

Nur selten verdichten sich ein berufliches Leben und die Bedeutung der eigenen Arbeit, in einem symbolischen Bild. Bei Ihnen, lieber Herr Flügge, gibt es ein solches Bild.

Es entstand vor rund sieben Jahren, im Zuschauerraum des Jugoslawien-Tribunals. Es zeigt, wie Sie mit Ihren Richterkollegen den Gerichtssaal betreten und der Gerichtsdiener sagt: “All rise!”. Und das Bild bestand darin zu sehen, wie sich der damalige Bundespräsident Joachim Gauck von seinem Platz erhebt und sich vor dem Gericht tief verneigte.

Ein Teilnehmer der deutschen Delegation sagte später, wie tief ihn dieser Moment bewegt habe und er ist sicherlich nicht alleine gewesen. Weil dieser Moment den abstrakten Begriff der Herrschaft des Rechts veranschaulicht hat: Vor Recht und Gesetz neigen selbst Staatsoberhäupter ihr Haupt.

Lieber Herr Flügge,

pragmatisch und uneitel wie Sie als Hanseat nun einmal sind, haben Sie diese Respektbezeugung natürlich nicht auf ihre Person bezogen, sondern auf ihr Amt als internationaler Richter. Dennoch, dieses Bild zeigt deutlich, was sie – als Richter, aber auch kraft Ihrer Persönlichkeit – erreicht haben.

Der von Ihnen und mir gleichermaßen geschätzte Willy Brandt wurde einmal gefragt, was der größte Erfolg seines Lebens gewesen sei. Seine Antwort lautete: „Dass der Name meines Landes, der Name Deutschlands, wieder mit dem Begriff des Friedens in einem Atemzug genannt werden kann.“

Sie, lieber Herr Flügge, könnten ähnlich antworten. Sie haben dazu beigetragen, dass der Name Deutschlands wieder mit dem Begriff des Rechts und der Gerechtigkeit in einem Atemzug genannt wird.

Angesichts unserer Geschichte grenzt das ja fast an ein Wunder. Vor über 70 Jahren saßen Deutsche vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg auf den Anklagebänken - verantwortlich für das größte Menschheitsverbrechen der Geschichte.

Heute sitzen deutsche Richter in Ost-Timor, in Den Haag, in Arusha und in Kambodscha auf den Richterbänken. Sie kämpfen für die Herrschaft des Rechts. Dafür, dass schwerste Verbrechen nicht ungesühnt bleiben. Dafür, dass Opfern, denen fast alles genommen wurde, zumindest eines erhalten bleibt: nämlich ihr Anspruch auf Gerechtigkeit.

Lieber Herr Flügge,

Ihr jahrelanger Einsatz für die Herrschaft des Rechts hat weltweit Wertschätzung erfahren.

Vor kurzem hat man Sie gebeten, in Jerusalem einen “Moot Court” mit israelischen Studierenden durchzuführen und mit ihnen über das Völkerstrafrecht zu debattieren. Als deutscher Richter, fast 75 Jahre nach Nürnberg. Ich weiß, dass Sie diese Geste sehr berührt hat. Uns hat sie stolz und hoffungsvoll gemacht.

Natürlich wissen wir alle, dass das Völkerstrafrecht nicht unantastbar ist. Im Gegenteil: Die Angriffe nehmen zu. Internationale Regeln, ja sogar die internationale Justiz selbst wird in Frage gestellt – im Übrigen mittlerweile auch von ungewohnter Seite. Täter werden nicht verfolgt, Urteile ignoriert, vor allem weil der politische Wille zur Aufarbeitung fehlt.

Dem nicht tatenlos zuzusehen, ist auch ein Gebot der Humanität.

  • Deshalb werden wir die ständigen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht auf die Tagesordnung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen setzen, insbesondere dann, wenn wir im April dieses Jahres dort den Vorsitz haben.
  • In Syrien, Myanmar und im Irak unterstützen wir die Vereinten Nationen und auch die Nichtregierungsorganisationen dabei, Beweise für Kriegsverbrechen zu sichern und sie juristisch aufzuarbeiten. Denn die Täter sollen wissen, dass wir sie zur Rechenschaft ziehen für ihre Taten.
  • Deshalb ist es auch ein wichtiges Signal, dass gerade im Moment der Generalbundesanwalt immer mehr schwerste Kriegsverbrechen auch hier in Deutschland verfolgt.
  • Und nicht zuletzt unterstützen wir die internationalen Gerichte: Politisch, finanziell, und natürlich auch mit deutschem Personal.

Lieber Herr Flügge,

Sie haben am Jugoslawien-Tribunal erfahren müssen, dass absolute Gerechtigkeit leider nicht immer möglich ist. Dass es Rückschläge gibt, Misserfolge und nicht erfüllte Erwartungen.

Darüber dürfen wir frustriert und auch empört sein. Aber sicherlich nicht eines: nämlich gleichgültig.

Jaan Kross, der Schriftsteller aus dem von Ihnen geliebten Estland, lässt in seinem Roman „Professor Martens‘ Abreise“ ebendiesen Professor und Völkerrechtler sagen: „Einerlei, letztendlich. Denn was kann ich tun? Nichts als im Innersten unbeteiligt zu sein.“

Lieber Herr Flügge,

im Innersten unbeteiligt - das waren Sie nie! Ganz im Gegenteil: In Ihren Prozessen in Den Haag, darunter auch gegen Ratko Mladić, haben Sie sich den Ruf eines ausgezeichneten, eines unermüdlichen Juristen erworben.

Und Sie haben dazu beigetragen, dass auch andere nicht unbeteiligt bleiben konnten. Immer wieder haben Sie Delegationen aus Deutschland nach Den Haag eingeladen oder jungen deutschen Juristinnen und Juristen zu wertvollen Erfahrungen in der internationalen Strafjustiz verholfen.

Und auch jetzt, nach dem Eintritt in den Ruhestand warnen Sie laut und deutlich davor, wie verletzlich die Strafgerichtshöfe noch sind. Wie wichtig es bleibt, sie vor politischer Einflussnahme zu schützen und sie weiter zu unterstützen.

Sie tun dies, weil Sie davon überzeugt sind: Diese Gerichte bringen nicht nur Recht und Gerechtigkeit, sondern sie stellen auch Wahrheit fest.

Internationale Gerichte nehmen sich Zeit, um Dokumente und Zeugenaussagen zu prüfen. Sie hören Verteidigern und Anklägern zu. Und am Ende des Strafprozesses stehen eben Fakten.

So kann heute niemand mehr leugnen, dass in Srebrenica tausende Männer und Jungen ermordet wurden. Denn dies hat auch Ihre Kammer des Jugoslawien-Tribunals in mehreren Urteilen akribisch dargelegt.

In Zeiten wie heute, in denen Fakten geleugnet und Hetze als Tatsache getarnt wird, kann man dieser wahrheitsstiftenden Funktion der internationalen Gerichtsbarkeit gar nicht genug Bedeutung zubilligen.

Lieber Herr Flügge,

während des zu Beginn erwähnten Besuchs von Alt-Bundespräsident Gauck in Den Haag schilderten sie ihm die Arbeit des Jugoslawien-Tribunals. Dabei haben Sie natürlich auch die täglichen Schwierigkeiten und Herausforderungen nicht verschwiegen.

Irgendwann hat Joachim Gauck Sie dann unterbrochen und gerufen: „Hören Sie auf mit den Problemen – was Sie hier machen, ist großartig!“

Er hatte Recht, wie so oft, unser Alt-Bundespräsident. Nicht nur, weil das Jugoslawien-Tribunal ein Meilenstein der Rechtsgeschichte war und Vorbild für die Tribunale für Ruanda, den Sondergerichtshof für Sierra Leone und auch den Internationalen Strafgerichtshof.

Sondern auch was Ihre Arbeit anbelangt: Ihr Einsatz für Gerechtigkeit, der ist auch großartig gewesen. Dafür darf ich Sie heute mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ehren.

Herzlichen Glückwunsch dazu und vielen Dank dafür, was Sie in vielen Jahren geleistet haben!

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