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Laudatio von Außenminister Heiko Maas zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Daniel Nivel

16.10.2018 - Rede

In Paris überreichte Außenminister Maas dem französischen Bereitschaftspolizisten Daniel Nivel das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Nivel war 1998 durch deutsche Hooligans nach einem WM-Spiel Deutschland gegen Jugoslawien zusammengeschlagen worden.

Sehr geehrte Familie Nivel,
lieber Daniel Nivel,

im Deutschen gibt es eine Redewendung, „Gras über eine Sache wachsen lassen“ – was so viel heißt, wie: etwas vergessen, mit etwas abschließen.

Ich habe heute Morgen ein Video aus der Rue Romuald Pruvost in Lens gesehen. Wir wissen, dort ist viel passiert in den letzten Jahren. Es wurden Häuser abgerissen, der Straßenverlauf ist geändert worden. Der Gehweg ist verschwunden. Da, wo einst die Nummer 74 war, stehen nun junge Birken. Und Gras ist gewachsen. Und dennoch: die Erinnerung an das, was am 21. Juni 1998 geschah, sie ist und sie bleibt allgegenwärtig.

Sie hat sich vielen Menschen in Deutschland, in Frankreich, aber auch in ganz Europa regelrecht ins Gehirn gebrannt. Auch mir. Auch ich habe das damals gesehen.

So angewidert und entsetzt waren wir über diese kaltblütigen, barbarischen Angriffe deutscher Hooligans auf Sie, lieber Herr Nivel. Und ich sage ganz offen: ich, und ich bin ganz sicherlich nicht der Einzige in meinem Land gewesen, habe mich dafür geschämt und tue das bis heute.

Den Schmerz und das Leid, den dieser Tag über Ihre Familie gebracht hat, das vermag ich wohl gar nicht zu ermessen. Ich gehöre jedoch zu den Millionen Menschen, die zutiefst betroffen waren und das bis heute sind.

Es macht mich eben betroffen, dass Sie noch heute unter diesem feigen Angriff leiden, die Täter ihre Strafen längst verbüßt haben und mittlerweile auf freiem Fuß sind. Es wurde Recht gesprochen, Wiedergutmachung kann es aber in einem solchen Fall kaum geben.

Es macht mich nach wie vor betroffen, dass in Lens, einer Stadt, die in beiden Weltkriegen von deutschen Soldaten besetzt war, rechte Hooligans in den Straßen brüllten „Wir sind wieder einmarschiert“ und im Blutrausch maximale Verwüstung suchten. Diese Bilder ließen vielen in unserem Land und darüber hinaus das Blut in den Adern gefrieren.

Viele Menschen in Ihrer Situation hätten sich zurückgezogen und abgewandt, von Deutschland oder auch vom Fußball. Wer hätte Ihnen das verübeln können! Jedoch Sie haben ganz anders reagiert.

Mit großer persönlicher Stärke setzen Sie sich für Gewaltfreiheit und einen friedlichen Sport ein. Die in Ihrem Namen gegründete Daniel-Nivel-Stiftung engagiert sich dafür, präventiv fußballorientierte Gewalt einzudämmen, die Ursachen für diese zu ergründen und vor allem den Opfern solch niederträchtiger Taten zu helfen. Sie selbst nehmen regelmäßig an deutsch-französischen Fanprojekten und Fußballspielen teil. Für so viel Mut, für so viel menschliche Größe gebührt Ihnen unsere allergrößte Hochachtung!

20 Jahre nach der unerträglichen Attacke auf Sie sind Sie ein Vorbild, ein Vorbild für Menschlichkeit und den starken Willen, durch Differenzierung nicht der Gefahr von Vorurteilen oder Verallgemeinerungen zu erliegen.

Das ist in diesen Tagen wichtiger denn je. Denn in vielen Teilen der Welt drohen wieder nationalistische Parolen salonfähig zu werden. Wir sehen das auch in Deutschland, wir sehen das in Frankreich, wir sehen das in ganz Europa.

Erst sind es Worte, dann folgen die Taten. Es gehen auch bei uns inzwischen wieder Menschen auf die Straße, die vor Gewalt nicht zurückschrecken, die den Hitlergruß zeigen, Menschen jagen. Das ist unerträglich.

Und auch heute wieder geraten dabei häufig die persönlich in Gefahr, die uns schützen. So wie Sie das damals getan haben. Das dürfen wir nie wieder zulassen!

Sie, lieber Herr Nivel, stehen stellvertretend für die Menschen in Uniform, Menschen in Uniform, die dem Gemeinwohl dienen. Die für Sicherheit und Ordnung sorgen und dabei häufig angespuckt und angegriffen werden und wie in Ihrem Fall sogar beinahe umgebracht werden. Polizistinnen und Polizisten sind eine der tragenden Säulen unserer Gesellschaft. Sie verrichten in Tag- und Nachtschicht einen schweren und zum Teil gefährlichen Job, damit wir in Freiheit leben können. Sie alle verdienen unseren höchsten Respekt, unsere Wertschätzung und unsere Anerkennung.

Wir müssen dafür Sorge tragen, die zu schützen, die uns schützen sollen!

Dass es auf unseren Straßen auch ganz anders aussehen kann – bunt, vielfältig, friedlich – das haben gerade am vergangenen Wochenende 250.000 Menschen in Berlin gezeigt. Sie haben ein Zeichen gegen Rassismus und Abschottung gesetzt, für Toleranz und Weltoffenheit. Zum Glück ist dies immer noch die Mehrheit in unserem Land, die so denkt.

Lieber Herr Nivel,

auch Sie haben durch Ihr Wirken mutig Position bezogen und stehen unbeirrt für die Werte eines friedlichen und respektvollen Zusammenlebens ein.

Sie – und da werden ganz sicherlich alle zustimmen – Sie sind zu einem Symbol gegen Hooligangewalt und auch Nationalismus geworden. Ein Symbol für friedlichen Sport und für die deutsch-französische Freundschaft.

Dafür sind wir Ihnen zutiefst dankbar. Ich beglückwünsche Sie zu der Auszeichnung, die ich Ihnen gleich überreichen darf. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Ihnen, als Zeichen seiner Anerkennung für Ihr Engagement für das Vergeben und das Brückenbauen zwischen den Völkern, am
4. September das Verdienstkreuz am Bande verliehen.

Es ist eine der höchsten Auszeichnungen, die die Bundesrepublik Deutschland zu vergeben hat und sie ist bei Ihnen in guten Händen.

Lieber Herr Nivel,

gestatten Sie mir, zum Schluss auch an Ihre Frau einige persönliche Worte zu richten.

Liebe Frau Nivel,

seit dem ersten Tag versorgen Sie die Wunden Ihres Mannes, die körperlichen, die emotionalen. „Pass auf dich auf!“ – mit diesen Worten verabschiedeten Sie Daniel am Morgen des 21. Juni 1998.

Nun tun Sie das immer noch. 24 Stunden am Tag, seit über 20 Jahren. Dafür verdienen Sie unsere Anerkennung, davor habe ich größten Respekt! So lange es auf der Welt Menschen gibt, mit einem so großen Herz wie Sie es haben, ist mir um unsere Zukunft nicht bange.

Liebe Familie Nivel, liebe Lorette, lieber Daniel,

seien Sie gewiss: egal, wie viel Gras in der Rue Romuald Pruvost noch wächst – wir werden niemals vergessen, was dort passiert ist.

Herzlichen Dank und herzlichen Glückwunsch zu dieser Verleihung!

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