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Rede von Außenminister Heiko Maas zum Antrag der Bundesregierung: „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte – Stabilisierung sichern, Wiedererstarken IS verhindern, Versöhnung fördern in Irak und Syrien“

24.10.2019 - Rede

Ich glaube, ich kann mir heute große Lageanalysen sparen. Sie alle haben die Nachrichten der letzten Tage aus Nordsyrien verfolgt: die Abzugsankündigung der Vereinigten Staaten, der türkische Militäreinsatz und seine humanitären Folgen, die Verständigung zwischen den USA und der Türkei auf eine Waffenruhe, der begonnene Rückzug der kurdischen Kräfte, das Vorrücken der Truppen des Regimes und schließlich vorgestern das Treffen von Präsident Erdogan und Präsident Putin in Sotschi, bei dem die jeweiligen Einflusszonen abgesteckt worden sind. Natürlich können wir nicht zufrieden sein, wenn diese Akteure einseitige Fakten schaffen; natürlich muss die internationale Staatengemeinschaft dazu eine Haltung einnehmen und Antworten liefern.

Bei allen Diskussion innerhalb der Bundesregierung über die Frage, ob eine Schutzzone eine Antwort sein kann: Entscheidend ist im Ergebnis, worauf wir uns mit unseren internationalen Partnern in dieser Situation verständigen können. Darüber ist geredet worden, und darüber wird jetzt geredet. Davon wird abhängig sein, welche Pläne wir weiterverfolgen und welche nicht.

Was wir jetzt aber auf jeden Fall unterstützen müssen, meine sehr verehren Damen und Herren, und zwar noch intensiver, als das bisher schon der Fall gewesen ist, ist der politische Prozess unter der Führung der Vereinten Nationen.

In der aktuellen Debatte gerät das ein wenig in den Hintergrund. Das ist das, was wir seit Jahren und Monaten zusammen mit unseren internationalen Partner gemacht haben, etwa indem wir das Büro der syrischen Opposition in Genf mit viel Geld unterstützt haben und damit auch die Verhandlungen, die jetzt geführt werden, erst möglich geworden sind. Wir unterstützen den Sondergesandten der Vereinten Nationen Pederson politisch, finanziell und logistisch, weil wir davon überzeugt sind, dass seine Vorschläge und sein Weg, den er auch jetzt noch einmal beschrieben hat, der richtige ist. Nur auf diesem Weg ist eine politische Lösung möglich, und nur eine politische Lösung kann dauerhaft Frieden in Syrien schaffen.

Mit der langersehnten Einigung auf die Einberufung eines Verfassungskomitees, in dem unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen aus ganz Syrien vertreten sind, sind wir endlich einen Schritt vorangekommen, der uns die Möglichkeit gibt, diesen politischen Prozess zu eröffnen. Die erste Sitzung dieses Verfassungskomitees soll bereits in wenigen Tagen stattfinden. Wenn das der Fall ist, wenn alle Beteiligten endlich an einem Tisch sitzen, dann ist das nichts anderes als die Eröffnung eines wirklichen politischen Prozesses zur Lösung des Syrien-Konfliktes.

Meine Damen und Herren,
ein herber Rückschlag ist allerdings die türkische Militäroperation gewesen, die in den vergangenen Tagen stattgefunden hat. Und auch das sei hier in aller Deutlichkeit gesagt: Ausgelöst wurde sie durch eine Ankündigung der Vereinigten Staaten, ihre Soldaten aus dieser Region zurückzuziehen.

Meine Damen und Herren,
gerade in den letzten Tagen ist zusammen mit unseren internationalen Partnern einiges von uns auf den Weg gebracht worden. Wir haben zum Beispiel zusammen mit den europäischen Partnern in den vergangenen Tagen zwei Dringlichkeitssitzungen des Sicherheitsrates einberufen. Und auch heute befasst sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf unsere Initiative hin mit der veränderten Lage in Syrien und vor allen Dingen in Nordostsyrien nach Sotschi.

Meine Damen und Herren,
auch das will ich in aller Deutlichkeit sagen: Das, was der Außenministerrat der Europäischen Union in der vergangenen Woche beschlossen hat, nämlich dass es einen EU-weiten Stopp von Waffenlieferungen an die Türkei gibt, ist eine wichtige und richtige Entscheidung gewesen.

Es ist jedem unbenommen, darüber zu diskutieren, ob das ausreichend ist oder nicht. Aber ich will Ihnen, auch aus der Kenntnis heraus, dort regelmäßig zu sitzen, einmal sagen: So schnell - und zwar unmittelbar nach der türkischen Offensive in Nordostsyrien - die Europäische Union in einer solchen Frage zu einer geschlossenen Haltung zu bringen, halte ich für einen Erfolg - ob Sie das so sehen oder eben nicht.

Meine Damen und Herren,
der Außenministerrat - das gerät etwas in Vergessenheit - hat sich in dieser Sitzung auch darauf verständigt, weitere Sanktionen in Betracht zu ziehen, wenn es keine dauerhafte Waffenruhe in Nordostsyrien gebe.
Um auch das zu sagen: Weil es besser ist, nicht nur über jemanden zu reden, sondern immer besser ist, mit jemandem zu reden, werde ich am Samstag zu Gesprächen nach Ankara reisen und dort unter anderem mit dem türkischen Außenminister über unsere Erwartungen sprechen. Die kann ich hier noch einmal verdeutlichen: Die Waffenruhe muss eingehalten und die Zivilbevölkerung geschützt werden. Beim Umgang mit Flüchtlingen muss die Türkei internationales Recht einhalten. Wir, wie alle anderen Beteiligten, erwarten von der Türkei, dass sie gerade jetzt den politischen Prozess unter der Ägide der Vereinten Nationen unterstützt. Damit würde erst die Voraussetzung dafür geschaffen, dass wir nach Jahren zäher Arbeit endlich bei der Umsetzung der Resolution 2254 der Vereinten Nationen vorankommen - im Übrigen einer Resolution, die ganz maßgeblich von uns mit auf den Weg gebracht worden ist.

Der zweite internationale Ansatz, um den es jetzt gehen wird, ist und bleibt die Anti-IS-Koalition. Denn eines hat sich in den vergangenen Tagen im Chaos in Nordostsyrien deutlich gezeigt: Das Terrorregime des IS ist nicht vollständig besiegt, und es nutzt auch jetzt schon jede Uneinigkeit, jedes Machtvakuum sofort zu seinen Gunsten aus. In Syrien sind IS-Anhänger aus Camps und Gefängnissen entkommen. Die irakische Regierung ist mittlerweile in großer Sorge, weil erste IS-Kämpfer bereits in den Irak zurückgekehrt sind. Und in den Onlinenetzwerken feiert der IS schon wieder seine Auferstehung.

Meine Damen und Herren,
beim Kampf gegen den IS - genau darum geht es bei dem Mandat, das wir heute verlängern - sind drei Dinge entscheidend.

Erstens. Ohne ein genaues Bild davon, wo sich der IS am Boden aufhält und wo er wieder erstarkt, werden wir die bisherigen Erfolge im Kampf gegen den IS nicht sichern können. Daher ist es gerade jetzt ganz besonders wichtig, die Luftaufklärung bis Ende März nächsten Jahres weiterzuführen und sie dann in andere Hände zu übergeben.

Zweitens. Wir müssen alles dafür tun, dass der IS nicht erneut im Irak Fuß fasst. Das Land hat nach dem Ende der IS-Terrorherrschaft große Fortschritte erzielt; davon kann sich vor Ort jeder überzeugen. Der Irak spielt mittlerweile eine sehr ausgleichende Rolle bei allen Konflikten in der Region. Millionen Flüchtlinge konnten zurückkehren. Das wollen wir auch in anderen Regionen ermöglichen. Unsere zivile Unterstützung im Irak hatte daran einen ganz entscheidenden Anteil. Genauso entscheidend bleibt der Aufbau von Fähigkeiten der irakischen Sicherheitskräfte; dieser Aufbau muss weitergehen.

Und drittens - auch das muss gesagt werden -: Unser militärischer Beitrag und der Einsatz der Anti-IS-Koalition schaffen oft erst die Grundlage für das zivile Engagement. Humanitäre Hilfe, Stabilisierung, Versöhnung - all das braucht ein Mindestmaß an Sicherheit. Bedauerlicherweise ist die Lage dort so, dass dies militärische Sicherheit sein muss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den letzten Tagen über das IKRK, das Welternährungsprogramm und das UNHCR geholfen, die rund 170 000 Vertriebenen in Nordsyrien so gut es geht zu versorgen. Sollte die humanitäre Notlage anhalten, dann müssen wir auch bereit sein, weiterhin Unterstützung zu leisten, vielleicht noch mehr, als wir zurzeit zur Verfügung stellen.

Frau Präsidentin,
ich komme zum Schluss: Auch für diese Menschen wäre viel erreicht, wenn wir die Gefahr durch den IS ein für alle Mal bannen könnten; denn die Menschen in Syrien und im Irak fürchten kaum etwas so sehr wie eine erneute IS-Terrorherrschaft. Aber auch für unsere Sicherheit in Europa - das gehört ebenfalls in diese Debatte - bleibt der IS eine Bedrohung. Deshalb ist die Verlängerung dieses Mandates in unserem ureigenen Interesse.

Herzlichen Dank.

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