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Rede von Außenminister Heiko Maas in der Aktuellen Stunde des Bundestages: „Nach dem Sturm auf das US-Kapitol – Strategien zur Stärkung von Demokratie und Rechts­staatlichkeit in Deutschland und der Welt“

14.01.2021 - Rede

Der Angriff auf die Herzkammer der amerikanischen Demokratie, das Kapitol, hat auch viele von uns ins Herz getroffen. Schließlich verdanken wir Deutschen unsere Demokratie nach 1945 auf ganz besondere Weise dem großen Einsatz der USA. Das dürfen und das werden wir nicht vergessen.

Doch so tief der Schock über die Vorfälle auch sitzt: Diese Vorfälle kamen nicht überraschend. Donald Trump hat die demokratische Entscheidung der amerikanischen Wählerinnen und Wähler missachtet, und er hat demokratische Spielregeln mit Füßen getreten, gerade in den letzten Wochen.

Ein großartiges Amerika, das in der Welt respektiert wird, hatte er, als er gewählt wurde, seinen Anhängern versprochen. Die Reaktionen aus Peking und Moskau auf die Ausschreitungen in Washington, die Schadenfreude in Teheran, Caracas oder Pjöngjang sprechen auf schmerzhafte Weise für sich,. Sie zeigen, was daraus geworden ist, welchen Bärendienst Rechtspopulisten ihren Ländern erweisen und welche Gefahr für die Demokratie von ihnen ausgeht.

Es wird der neuen US-Regierung unter Präsident Biden und Vizepräsidentin Harris viel Kraft abverlangen, das Vertrauen in die amerikanischen Institutionen wiederherzustellen.

Zugleich gilt aber auch: Die amerikanische Demokratie und ihre berühmten Checks and Balances haben den Angriffen standgehalten. Noch in der Nacht nach dem Sturm auf das Kapitol hat der Kongress Joe Biden als legitimen Sieger der Präsidentschaftswahl bestätigt. Deshalb wäre es völlig falsch, jetzt selbstgerecht über die USA zu urteilen.

Die gesellschaftliche Spaltung, die es dort gibt, sehen wir nicht nur dort, sondern längst auf beiden Seiten des Atlantiks. Auch wir in Deutschland mussten erleben, wie aus hetzerischen Worten hasserfüllte Taten wurden: in Halle, Kassel, Hanau und vor einigen Wochen hier, auf den Stufen des Reichstages.

Meine Damen und Herren, in einer Zeit der Großmächterivalität brauchen Deutschland und Europa eine starke handlungsfähige und weltzugewandte amerikanische Demokratie. Deshalb müssen wir gemeinsam den Schulterschluss aller Demokraten gegen die Feinde der Demokratie suchen, innerhalb unserer eigenen Gesellschaften, aber auch darüber hinaus, weltweit. Dieser Schulterschluss beginnt damit, die Urheber solcher Entgleisungen zur Rechenschaft zu ziehen. Dazu zählen die gewalttätigen Randalierer, und dazu zählen auch ihre Anstifter. Wer hetzt, trägt Verantwortung.

Meine Damen und Herren, es steht mir nicht zu, die Einleitung eines zweiten Impeachment-Verfahrens gegen Präsident Trump zu bewerten. Letztlich ist es aber nichts anderes als der Ausdruck des amerikanischen Bedürfnisses, die Beschädigung ihrer demokratischen Institutionen nicht folgenlos zu lassen. Dabei - auch das muss klar sein - kann die juristische Aufarbeitung natürlich nur ein erster Schritt sein für das, worum es in den USA in der nächsten Zeit ganz besonders gehen wird, nämlich die gesellschaftliche Aussöhnung.

Dass Politiker wie Donald Trump und seine Unterstützer jahrelang ungebremst manipulieren und hetzen konnten, ist auch das Resultat einer völlig veränderten Kommunikations- und Medienlandschaft. Soziale Netzwerke tragen heute große Verantwortung für das Funktionieren unserer Demokratie. Deshalb dürfen wir die Antwort auf die Frage, wie wir Hetze im Netz eindämmen und wo wir die Linie zwischen Meinungsäußerung und Hassrede ziehen, nicht allein den CEOs im Silicon Valley überlassen.

Dafür braucht es klare rechtsstaatliche Vorgaben. Vor allem ein nicht unerheblicher Teil unseres Landes, auch auf der politischen Bühne und in diesem Haus, hat das bis heute nicht verstanden. Wohin diese Uneinsichtigkeit führt, zeigt auch der Blick auf die Gewalt in Washington.

Deutschlands Regeln für Plattformbetreiber stellen klar: Die Meinungsfreiheit schützt ganz besonders Ansichten, die der eigenen entgegentreten und die uns möglicherweise nicht gefallen. Aber sie endet genau dort, wo strafbare Bedrohung und Hetze beginnen, auch in den sozialen Netzwerken. Mit dem Digital Services Act gehen wir in der EU in den kommenden Monaten bei diesem Thema weiter voran.

Ich bin zuversichtlich, dass wir künftig in Präsident Biden einen starken transatlantischen Partner haben, wenn es um die Verteidigung unserer Demokratien geht, und das nicht nur gegen Hetze und Verschwörungstheorien im Internet. Joe Biden denkt über ein internationales Netzwerk der Demokratien nach. Wir haben in den letzten drei Jahren vor allem mit unseren französischen Freunden mit der Allianz für den Multilateralismus in eine ganz ähnliche Richtung gearbeitet, und diese Arbeit wollen wir von Tag eins des Amtsantritts der neuen US-Regierung an gemeinsam fortsetzen.

Meine Damen und Herren, was uns mit der neuen US-Regierung verbindet, ist die feste Überzeugung, dass die Demokratie auch im 21. Jahrhundert die beste und auch die menschlichste Staatsform ist und dass eine freie Gesellschaft gut beraten ist, auf die Stimmen der Vernunft und gerade in Zeiten wie diesen auch auf die der Wissenschaft zu hören. So haben wir - übrigens über den Atlantik hinweg - in Rekordzeit Impfstoffe gegen das Coronavirus entwickelt, und darum geht es in diesen Tagen ganz besonders. So sollte es uns auch gelingen, unsere Demokratien gegen das Virus gesellschaftlicher Spaltung zu immunisieren, nicht nur bei uns, sondern weit über die Grenzen Europas hinaus.

Vielen Dank.

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