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Rede von Außenminister Heiko Maas vor dem Deutschen Bundestag zum Antrag der Bundesregierung: „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-Mission RESOLUTE SUPPORT in Afghanistan“

04.03.2020 - Rede

222 Monate, nachdem im Oktober 2001 die Intervention der Vereinigten Staaten in Afghanistan begonnen hat, haben sich die Vertreter der Vereinigten Staaten, der US-Regierung, und der Taliban am Samstag gemeinsam auf einen sogenannten Zeitplan für den Frieden geeinigt. Auch wenn viele Fragen nach wie vor offen sind, kann man, glaube ich, feststellen, dass die Verständigung von Doha ein Etappenziel ist. Genauso muss man aber feststellen, dass die eigentliche Arbeit jetzt erst beginnt.

Auf die Einigung müssen nun echte innerafghanische Verhandlungen folgen. Ganz entscheidend wird dabei sein, dass alle Teile der afghanischen Bevölkerung beteiligt werden, insbesondere auch Frauen und die Vertreter aller ethnischen Gruppen, von denen es in Afghanistan einige gibt; denn - und das ist die Sorge, die im Moment viele Menschen in Afghanistan haben - einen Rückfall in eine totalitäre Alleinherrschaft der Taliban zulasten einer ganzen Generation junger Frauen und Männer darf es nicht geben.

Man muss in aller Offenheit eingestehen - auch wenn es sich um einen großen Fortschritt handelt -: Der Weg zu einem Friedensvertrag - und das ist das, um was es jetzt geht - wird ein noch sehr weiter sein. Dass die Taliban ihre Angriffe gegen die afghanischen Sicherheitskräfte seit Montag wieder intensiviert haben, obwohl in diesem Abkommen eine Reduktion der Gewalt eindeutig festgelegt worden ist, macht das sehr deutlich. Deshalb kann man nur darauf hoffen, dass diese Angriffe unverzüglich eingestellt werden und nicht der erste Hemmschuh werden, um überhaupt innerafghanische Verhandlungen auf den Weg zu bringen.

Deshalb darf gerade jetzt, meine sehr verehrten Damen und Herren, die internationale Staatengemeinschaft Afghanistan nicht alleinlassen. Dabei kommt es ganz besonders auf uns in Deutschland an; denn Deutschland genießt besonderes Vertrauen in Afghanistan, und das über ideologische und ethnische Grenzen hinweg und schon lange.

Deshalb sind wir bereit, Initiativen zur Vertrauensbildung und zur Vorbereitung der innerafghanischen Verhandlungen, die jetzt folgen müssen, nicht nur politisch weiter zu unterstützen, sondern sie auch mit zu organisieren, natürlich immer in dem Rahmen, in dem beide Konfliktparteien das für erforderlich halten und auch bereit sind, das mitzutragen. Das habe ich Präsident Ghani in unserem Gespräch am Rande der Sicherheitskonferenz in München noch einmal sehr deutlich gemacht. Wie diese Unterstützung konkret aussehen kann, darüber stimmen wir uns derzeit sowohl mit den afghanischen als auch unseren internationalen Partnern ab.

Deshalb hat heute in Berlin bereits ein Gespräch mit meinem katarischen Kollegen stattgefunden, bei dem es genau darum ging, wer welche Rolle übernimmt und wie die katarischen und auch die norwegischen Initiativen, die es gibt, mit unseren zusammengeführt werden und die Grundlage für einen innerafghanischen Dialog legen können.

Meine Damen und Herren, neben dem politischen Engagement werden wir auch den zivilen Wiederaufbau fortsetzen; denn der Bedarf dabei bleibt groß. Geknüpft wird unser Engagement vor allen Dingen an die Voraussetzungen bleiben, die ich meinem amerikanischen Kollegen schon im August des letzten Jahres dargelegt habe, als zum ersten Mal die Bitte an uns herangetragen worden ist, dass, wenn es zu einem Abkommen zwischen der US-Regierung und den Taliban kommt, Deutschland eine wichtige Rolle in der Organisation des innerafghanischen Friedensprozesses übernimmt.

Die erste Grundvoraussetzung für beides, einen erfolgreichen Friedensprozess und einen zivilen Wiederaufbau, ist und bleibt die Bewahrung der verfassungsrechtlichen Ordnung Afghanistans und insbesondere der darin festgelegten Menschenrechte.

Zweite Grundvoraussetzung ist und bleibt ein stabiles Sicherheitsumfeld. Dazu braucht es nun einmal leistungsfähige afghanische Sicherheitskräfte. Deshalb sind wir auch bereit, gerade jetzt unser militärisches Engagement in der NATO-Trainingsmission fortzusetzen. Die Einigung von Doha ist mehr als nur eine vertrauensbildende Maßnahme, aber sie ist auch nur ein Anfang. Erst eine Verringerung der Truppenpräsenz der internationalen Staatengemeinschaft, die es dort gibt, die ein weiterer Bestandteil dieses Abkommens ist, wird dazu beitragen können, Vertrauen auf beiden Seiten zu bilden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Anpassung, die die amerikanischen Streitkräfte nun vornehmen und in diesem Abkommen auch relativ detailliert beschreiben, wird auch bedeuten, dass eine behutsame Anpassung unserer Präsenz erforderlich wird. Über die konkrete Ausgestaltung stimmen wir uns deshalb mit den internationalen Partnern, mit den Vertretern der NATO eng ab. Um die dabei notwendige Flexibilität zu wahren, sollten wir deshalb die Obergrenze von 1 300 deutschen Soldatinnen und Soldaten bis zum 31. März des nächsten Jahres unverändert beibehalten. Vieles, was auf diesem Weg zu entscheiden sein wird, wird in Zusammenarbeit mit dem Bundestag entschieden werden; das kann ich Ihnen versichern. Die USA haben uns in diesem Prozess wiederholt versichert, dass mögliche Reduktionen eng an Bedingungen geknüpft bleiben. Das heißt vor allem: Die Fortschritte der letzten 222 Monate - Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschenrechte und insbesondere Frauenrechte und auch das Recht von Mädchen, überhaupt zur Schule zu gehen - müssen erhalten bleiben.

Die dritte Voraussetzung ist - auch das haben wir mit Washington abgestimmt -, dass die USA ihre internationalen Partner in beiden Prozessen, sowohl der Reduzierung militärischer Präsenz, aber auch im weiteren politischen Prozess, ernsthaft und eng einbinden. Ein überstürzter Truppenabzug würde nicht nur die Chance auf einen dauerhaften Frieden zunichtemachen, sondern er würde auch all das gefährden, was in Afghanistan bereits erreicht worden ist. Das können und das wollen wir auch nicht zulassen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wäre auch schwierig, wenn die Opfer, die sowohl bei der deutschen Bundeswehr, aber auch bei den Streitkräften anderer Staaten gebracht worden sind, umsonst gewesen wären, wenn man den Angehörigen, den Eltern, den Partnern oder den Kindern sagen müsste: Ihr habt nicht nur Opfer gebracht, sondern diese Opfer sind auch noch umsonst gewesen. - Das wollen wir verhindern. Deshalb an dieser Stelle noch einmal ein großes Dankeschön an unsere Soldatinnen und Soldaten, an die Polizistinnen und Polizisten, die zivilen Helferinnen und Helfer, die es mit möglich gemacht haben, dass dieser Prozess jetzt beginnen kann.

Jetzt, wo die Chance auf Frieden so nah ist wie lange nicht mehr in Afghanistan, brauchen wir noch einmal eine politische Kraftanstrengung. Deshalb bitte ich Sie um die Zustimmung zu diesem Mandat.

Herzlichen Dank.


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