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Rede von Außenminister Heiko Maas im Deutschen Bundestag zum Brexit

13.12.2018 - Rede

Die Debatten in den letzten Tagen über den Brexit waren in Großbritannien außerordentlich intensiv, und sie waren auch sehr emotional - und das ist noch sehr diplomatisch ausgedrückt. Aber angesichts der Tragweite der Entscheidungen, um die es da geht, ist das vielleicht auch gar nicht so verwunderlich.

Das gestrige Misstrauensvotum gegen Theresa May war wohl einfach nur der sichtbarste Ausdruck dieser enormen Spannungen. Es sind historische Tage für Großbritannien, aber auch für uns. Dass Theresa May dieses Misstrauensvotum überstanden hat, ist erfreulich; das Ergebnis bietet aber keinen Grund, darauf schließen zu können, dass sich an den Mehrheitsverhältnissen im britischen Unterhaus hinsichtlich des Austrittsabkommens irgendetwas verbessert hätte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Europäische Union hat sich in den Verhandlungen zum Brexit-Abkommen bisher äußerst geschlossen gezeigt. Und auch nach der Verschiebung der geplanten Abstimmung im britischen Unterhaus - vermutlich wird sie im Januar stattfinden - gibt es keinen Anlass, von dieser Linie abzurücken. Unser klares Interesse ist weiter eine Einigung mit Großbritannien. Das gemeinsam über Monate hinweg ausgehandelte Abkommen ist dafür ein wirklich fairer Kompromiss. Er liefert eine gute Basis für einen geordneten Austritt und für den Aufbau enger künftiger Beziehungen. Es gibt keine Grundlage dafür, dieses Abkommen wieder aufzudröseln. Dies haben wir in den vergangenen Tagen noch einmal deutlich gemacht. Daran wird sich auch nichts ändern.

Die kommenden Tage und Wochen werden sicherlich Aufschluss über den weiteren Verlauf der Debatte geben, vor allen Dingen in London. Wir sollten uns, wie ich finde, gar nicht groß mit Spekulationen über mögliche Szenarien in der britischen Innenpolitik aufhalten. Letztlich gebietet das schon der Respekt vor unseren britischen Partnern. Der weitverbreitete und sicherlich nachvollziehbare Wunsch, den Brexit rückgängig zu machen, ist etwas, dem wir alle außerordentlich nahestehen, aber wenn man sich die gegenwärtigen Umfragen in Großbritannien anschaut, dann stellt man fest, dass sich seit dem Referendum trotz einer außerordentlich chaotischen Debatte, die dort geführt wird, nicht viel geändert hat. Auch das muss man zur Kenntnis nehmen.

Entscheidend ist letztlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir als 27 in der Europäischen Union weiterhin geschlossen auf die gegenwärtigen Ereignisse reagieren. Das gilt ganz besonders natürlich auch mit Blick auf den Europäischen Rat, der heute beginnt. Für uns in der Europäischen Union sind dabei folgende Punkte zentral:

Unsere klaren Positionen aus den Leitlinien des Europäischen Rates gelten unverändert nach wie vor.

Die im Austrittsabkommen definierte Lösung für einen funktionierenden Backstop für Nordirland steht nicht zur Disposition. Auf dieser Basis sind wir natürlich bereit, uns britische Überlegungen anzuhören, welche zusätzlichen Klarstellungen gewünscht werden, ohne aber in der Substanz das, was innerhalb der Europäischen Union vereinbart worden ist und was im Kabinett in London Zustimmung gefunden hat, grundsätzlich noch einmal zu verändern.

Schließlich bleibt die Einheit der EU-27 von überragender Bedeutung. Das wird ganz wichtig für die kommenden Tage und Wochen. Diese Einheit ist auch deshalb so wichtig, weil es um die Glaubwürdigkeit und die Zukunft des europäischen Projektes geht. Das hat bisher bemerkenswert gut funktioniert. Letztlich kann bei einem Austritt aus der Europäischen Union, von wem auch immer darüber entschieden wird, niemand darauf setzen, die Verpflichtungen loszuwerden, die Rechte und Vorteile einer Mitgliedschaft aber behalten zu können.

Meine Damen und Herren, ein ungeregelter, ein harter Brexit hätte schwerwiegende Konsequenzen. Er liegt nicht im britischen, aber er liegt auch nicht im europäischen und im deutschen Interesse.

Angesichts der schwierigen politischen Lage, die wir in Großbritannien Tag für Tag mitverfolgen können, müssen wir unsere Planungen wie bisher auch für den Fall fortsetzen, dass es zu einem harten Brexit kommt. Wir haben gestern im Kabinett zwei Gesetzespakete verabschiedet, mit denen wir sicherstellen, dass auch in einem solchen Fall größtmögliche Rechtsklarheit für die Bürgerinnen und Bürger herrscht. Auch die praktischen Vorbereitungen laufen. So stellen wir zum Beispiel mehrere Hundert Zollbeamte zusätzlich ein, um das Mehr an Arbeit, das kommen wird, zu bewältigen. Damit sind wir auch für den Worst Case gerüstet. Solange das Austrittsabkommen nicht ratifiziert und unterzeichnet ist, werden wir diese Vorbereitungen konsequent fortführen. Auch das ist ein Gebot verantwortungsvollen Regierungshandelns. Unabhängig davon, ob es Mitglied der Europäischen Union ist: Großbritannien bleibt ein Teil unserer europäischen Werte- und Handlungsgemeinschaft. Wir werden auch in Zukunft viele Ziele gemeinsam verfolgen.

Denn letztlich stehen wir in Europa – und nicht nur in Europa, aber in Europa ganz besonders - vor immensen Herausforderungen, die alle keine Grenzen kennen: Globalisierung, Klimawandel, Migration, die Verteidigung der multilateralen Weltordnung. Auf all diese Fragen werden wir in Europa mit Großbritannien nur gemeinsam Antworten finden können: auf einer anderen Basis, zugegebenermaßen, aber auf jeden Fall als enge Partner und auch als Freunde. Das gilt für das Verhältnis der Europäischen Union zu Großbritannien. Das gilt aber natürlich auch für unser bilaterales Verhältnis zu Großbritannien.

Deshalb haben wir schon im April dieses Jahres mit dem damaligen Außenminister Großbritanniens einen strategischen Dialog vereinbart. Gemeinsam werden wir uns intensiv und konstruktiv zu außen- und sicherheitspolitischen wie globalen Herausforderungen weiter austauschen und austauschen müssen. Eine gemeinsame Erklärung und ein Arbeitsprogramm sollen diesen Dialog um konkrete Projekte ergänzen, zum Beispiel durch eine Stabilisierungspartnerschaft zur Konfliktvermeidung und Friedenssicherung. Die bilaterale Zusammenarbeit wird genauso eng fortgeführt.

Dieser Austausch ist umso wichtiger vor dem Hintergrund unserer anstehenden Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Dort werden wir mit Großbritannien als ständigem Sicherheitsratsmitglied eng zusammenarbeiten. Das haben wir auch schon vereinbart, völlig unabhängig vom Brexit.

Wir haben ein gemeinsames Ziel, das auch nach einem vollzogenen Brexit erhalten bleibt: die Verteidigung der regelbasierten internationalen Ordnung als wichtige Aufgabe gleichgesinnter demokratischer Staaten. Sosehr wir auch den Brexit bedauern, in der Debatte dürfen wir eines, glaube ich, nicht vergessen: Weiterhin wird uns mit Großbritannien mehr einen, als uns trennt. Auch wenn Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU ist, bleibt es immer noch ein Teil Europas, und zwar ein Teil, den wir auch weiterhin brauchen.

Herzlichen Dank.

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