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Rede von Außenminister Heiko Maas vor dem Deutschen Bundestag anlässlich der Aktuellen Stunde zu Bergkarabach

29.10.2020 - Rede

Der in den letzten Jahren, man muss fast sagen: in den letzten Jahrzehnten immer wieder aufflackernde Konflikt um Bergkarabach ist in den letzten Wochen zu einem heißen Krieg entbrannt. Wir konnten das alle mit Entsetzen gerade in den letzten Tagen mitverfolgen. Wir sehen den Einsatz von Raketen und auch schwerem Kampfgerät. Wir hören von Gefallenenzahlen, die jeden Tag steigen. Wie immer im Krieg leidet auch die Zivilbevölkerung ganz besonders. Die Kämpfe zerstören Brücken, Dörfer, Straßen. Zehntausende Menschen sind bereits auf der Flucht, und dieser Strom wird ständig größer. Weit über 100 Zivilisten hat die Gewalt bereits getötet, im Übrigen auch in Gebieten weit außerhalb der Konfliktzonen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, um dieses Leid zu stoppen, treten wir insbesondere für zwei Ziele ein. Erstens gilt es, die ganz akute Not der Menschen vor Ort zu lindern. Das Rote Kreuz, die aktuell einzige Hilfsorganisation mit Zugang zu den umkämpften Gebieten, hat die internationale Gemeinschaft Mitte Oktober um 9 Millionen Euro Soforthilfe gebeten. Deutschland wird in einem ersten Schritt 2 Millionen Euro bereitstellen, damit wir denjenigen helfen, die ihre Häuser, ihr Hab und Gut und ihre Existenzgrundlage komplett verloren haben. Ich sage aber: Wir sind weiterhin dazu bereit, mehr zu tun, wenn dies noch erforderlich sein wird. Ich sage dies vor allen Dingen mit Blick auf den bevorstehenden Winter im Kaukasus, der die Versorgungslage der Menschen schon jetzt weiter zu verschlechtern droht.

Zweitens ist umso wichtiger ein sofortiger humanitärer Waffenstillstand. Aserbaidschan und Armenien müssen die Kämpfe - das ist nicht nur unsere Forderung, sondern die Forderung der internationalen Staatengemeinschaft - ohne Vorbedingungen stoppen.

Das haben sowohl die Bundeskanzlerin als auch ich beiden Ländern, aber auch anderen Beteiligten in diesem Zusammenhang, etwa der Türkei, immer wieder sehr deutlich gesagt. Das ist auch die einhellige Botschaft der Vereinten Nationen, der OSZE und der Europäischen Union an die Kriegsparteien. Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen haben wir Armenien und Aserbaidschan in den vergangenen Wochen einstimmig aufgefordert - das ist zurzeit im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beileibe nicht mehr alltäglich -, endlich die Waffen schweigen zu lassen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Wir danken der OSZE und unterstützen sie, der über die Minsk-Gruppe nach unserer Auffassung nach wie vor die zentrale Vermittlerrolle zukommt.

Doch trotz aller internationaler Geschlossenheit müssen wir feststellen: Die Konfliktparteien lenken zurzeit nicht ein. Die von den Co-Vorsitzenden der Minsk-Gruppe Frankreich, Russland und den USA vermittelten humanitären Waffenruhen wurden alle innerhalb kürzester Zeit gebrochen, zuletzt Anfang dieser Woche. Uns bleibt daher gar nichts anderes übrig, als den internationalen Druck auf beide Konfliktparteien zu erhöhen. Aserbaidschan und Armenien müssen endlich verstehen: Eine militärische Lösung des schon lange andauernden Konfliktes wird von der internationalen Staatengemeinschaft nicht akzeptiert werden. Eine bessere Verhandlungsposition lässt sich nicht auf dem Schlachtfeld erringen. Es gibt keine Alternative zu einem Waffenstillstand und zum Beginn neuer Gespräche. Das müssen alle begreifen, diejenigen auf den beiden Seiten dieses Konfliktes, aber auch diejenigen, die in diesem Zusammenhang beteiligt sind. Es muss von allen, die dort eine Rolle übernommen haben, ein Zeichen ausgehen, dass auch sie sich ganz maßgeblich am Ende des Blutvergießens beteiligen.

Meine Damen und Herren, natürlich wäre ein humanitärer Waffenstillstand nur ein erster Schritt. Doch er ist letztlich die Grundvoraussetzung dafür, dass eine dauerhafte, nämlich eine politische Lösung für den Bergkarabach-Konflikt endlich erzielt werden kann. Als Mitglied der Minsk-Gruppe steht Deutschland bereit, die substanziellen Verhandlungen, die es dafür bedarf und die in der Vergangenheit anscheinend nicht möglich gewesen sind, jetzt endlich voranzubringen. Auch das sage ich: Auch die Türkei muss ihrer Verantwortung als Mitglied der Minsk-Gruppe gerecht werden und ihren Teil dazu beitragen, dass es endlich zu einer friedlichen Lösung kommt.

Auch die Europäische Union kann und wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Schließlich verfügt sie mit ihrem Sonderbeauftragten für den Südkaukasus und der Östlichen Partnerschaft über Instrumente, um politische Verhandlungen und später auch den wirtschaftlichen Wiederaufbau sowohl in Armenien als auch in Aserbaidschan zu flankieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Verantwortlichen in Eriwan und in Baku und ihre Unterstützer stehen letztlich vor der Wahl, einen Krieg weiter anzufachen, der bereits jetzt Leid und Zerstörung über die Menschen in Bergkarabach gebracht hat und aus dem nur allzu leicht ein regionaler Flächenbrand werden kann, oder - das ist die Alternative, und das ist unsere Alternative - endlich auf die Stimme der internationalen Gemeinschaft zu hören und einzulenken.

Dabei sollten Sie bedenken: Dauerhafter Frieden wird nur erreicht werden, indem die Deeskalation jetzt beginnt. Das ist unsere Botschaft, und das ist die klare Botschaft der gesamten internationalen Staatengemeinschaft, und zwar geschlossen. Das ist zurzeit bedauerlicherweise in viel zu wenigen Konflikten der Fall.

Herzlichen Dank.

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