Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Rede von Außenminister Heiko Maas in der Aktuellen Stunde des Bundestages zum geordneten Rückzug der NATO-Truppen aus Afghanistan

23.06.2021 - Rede

Bevor ich hier in dieser Debatte eine Bilanz des Erreichten ziehen will, möchte ich eines voranstellen, und ich hoffe, dabei im Namen des ganzen Hauses sprechen zu können.

Die Soldatinnen und Soldaten haben in Afghanistan Außergewöhnliches geleistet. Ihr Einsatz hat über den gesamten Zeitraum höchste Wertschätzung erfahren, sowohl von unseren Verbündeten als auch von der afghanischen Bevölkerung. Deshalb möchte ich ihnen, den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und unserer Partnernationen, danken für ihren Mut, ihre Ausdauer und ihre Tapferkeit in diesen 20 langen Jahren Afghanistan.

Und wir denken heute insbesondere an diejenigen, die diesen Einsatz mit dem Leben oder mit schweren Verletzungen oder langanhaltenden Traumata bezahlen mussten, sowie an ihre Angehörigen und Familien. Lassen Sie mich das sagen, weil es auch meiner festen Überzeugung entspricht: Ihr Einsatz war nicht umsonst. Denn wir werden in enger Partnerschaft mit der afghanischen Regierung mit zivilen Mitteln das fortführen, wofür sie so große Opfer gebracht haben. Und wir bleiben ein verlässlicher Partner: international, unseren Verbündeten, aber vor allem auch den Afghaninnen und Afghanen, die gemeinsam mit uns so viel aufgebaut haben in diesen beiden Jahrzehnten. Das heißt auch, dass diejenigen eine sichere Aufnahme in Deutschland finden müssen, die aufgrund ihrer Tätigkeit für uns nun akut gefährdet sein könnten.

Damit bin ich bei der Frage, die wir uns natürlich stellen an einem Tag wie heute: Was haben wir erreicht, und welche Herausforderungen bleiben? Unser Hauptziel war von Beginn an, dass von afghanischem Boden aus kein terroristischer Angriff mehr geplant und vorbereitet werden kann, und dieses Ziel haben wir in den letzten 20 Jahren erreicht.

Zugleich wissen wir: Frieden und Stabilität sind nur von Dauer, wenn die Afghaninnen und Afghanen frei entscheiden können, wie sie zusammenleben wollen. Hier liegt auch nach 20 Jahren und mehreren demokratischen Wahlen noch die größte Herausforderung. Deshalb haben wir den Vertretern Afghanistans fest zugesagt, den politischen Prozess in Doha, auch wenn er nur sehr, sehr schleppend verläuft, weiter nach besten Kräften zu unterstützen. Jeder Aufschub, jede Verzögerung dieses Prozesses bedeuten nur noch mehr Gewalt und noch mehr unnötige Opfer auf beiden Seiten.

Vor allem die Taliban müssen zur Kenntnis nehmen, dass es ein Zurück ins Jahr 2001 nicht geben wird.

Dagegen steht auch eine afghanische Zivilgesellschaft, die in dieser Zeit immer selbstbewusster geworden ist, die vielleicht von der einen Ecke dieses Haus noch nicht erkannt worden ist, aber trotzdem entstanden ist und sich sehr selbstbewusst ihrer Rechte bewusst ist - die vielleicht größte, in jedem Fall aber die nachhaltigste Errungenschaft der letzten zwei Jahrzehnte.

Menschenrechte sind heute in der afghanischen Verfassung fest verankert, und daran darf auch niemand rütteln.

Frauen führen heute ein viel freieres Leben und bekleiden politische und auch öffentliche Ämter.

Afghanistan verfügt nicht nur im regionalen Vergleich mittlerweile über eine vielfältige freie Medienlandschaft. Die Lebenserwartung ist signifikant gestiegen. Die Mütter- und Kindersterblichkeit - lange die höchste der Welt - ist deutlich zurückgegangen in diesen 20 Jahren.

Afghanistan verfügt über eigene Sicherheits- und Polizeikräfte, übrigens nicht zuletzt dank des großen Engagements im Rahmen unseres bilateralen Polizeiprojektes.

Meine Damen und Herren, auf der Genfer Geberkonferenz im November des letzten Jahres haben wir zugesagt, in den nächsten Jahren weiter bis zu 430 Millionen Euro insbesondere für die Stabilisierung und Entwicklung in Afghanistan einzusetzen - geknüpft an klare Bedingungen, allen voran das Bekenntnis jeder afghanischen Regierung zu Demokratie, Menschenrechten, Korruptionsbekämpfung und natürlich Fortschritten im Friedensprozess.

Natürlich wird der Truppenabzug die Region verändern, und auch die Rahmenbedingungen unseres zivilen Engagements werden zukünftig andere sein. Diejenigen, die immer wieder sagen: „Ziviles Engagement, ja; sicherheitspolitisches Engagement, nein“, würde ich bitten, Organisationen wie das Internationale Rote Kreuz oder die Agenturen der Vereinten Nationen, die zivile Arbeit vor Ort leisten, einfach mal zu fragen, ob es nicht Situationen gibt, in denen zivile Aufbauarbeit unmöglich wird, wenn sie nicht auch sicherheitspolitisch begleitet wird.

Das heißt auch: Sich militärisch zu engagieren, ist oftmals die Voraussetzung dafür, zivil helfen zu können. Alles andere ist nichts anderes als wohlfeiles Geschwätz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb ist es auch richtig, dass der Bundestag - dafür will ich mich bedanken - die Idee einer externen strategischen Evaluierung unseres Engagements nachdrücklich unterstützt. Das kann uns allen in der Bilanzierung weiterhelfen; denn wir alle wissen: Unser Afghanistan-Engagement der letzten zwei Jahrzehnte war nicht irgendein Einsatz, sondern ein außen-, sicherheits- und entwicklungspolitisches Kernanliegen von fünf unterschiedlichen Bundesregierungen - getragen von wechselnden, aber stets klaren Mehrheiten in diesem Hause. Gemeinsam - gemeinsam! - in diesem Hause haben wir Verantwortung übernommen: gegenüber Afghanistan, gegenüber unseren Bündnispartnern, aber auch für unsere eigene Sicherheit.

Und auch das, meine Damen und Herren, wird bleiben von diesem Einsatz: das Bild eines Deutschlands, das sich seiner Verantwortung stellt, das sicherheitspolitisch erwachsen geworden ist, auch in Afghanistan. Allen, die daran Anteil haben, sagen wir heute Danke.

Schlagworte

nach oben