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Rede von Außenminister Heiko Maas bei der Plenarsitzung des Deutschen Bundestags: Debatte zum Nahost-Friedensprozess

01.07.2020 - Rede

„Deutschland und Israel sind und bleiben auf besondere Weise durch die Erinnerung und das Gedenken an die Shoa verbunden. Hierin liegt auch die bleibende Verantwortung Deutschlands.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir tun, wie ich finde, gut daran, dieses Bekenntnis zu unserer Verantwortung für Israel dem voranzustellen, worüber wir heute und wahrscheinlich auch in den nächsten Tagen, gegebenenfalls Wochen, intensiv diskutieren werden. Deshalb bin ich froh, dass wir diesen Satz auch in dem vorliegenden Koalitionsantrag noch einmal bekräftigt haben.

Als Deutschland und Israel vor 55 Jahren diplomatische Beziehungen aufgenommen haben, hätte sich kaum jemand vorstellen können, wie eng unsere Länder heute miteinander verbunden sind. Auch das ist ein Grund gewesen, weshalb ich Anfang Juni Israel besucht habe - als erstes außereuropäisches Land nach Ausbruch der Coronapandemie, als erster ausländischer Minister zu Gesprächen mit der frisch vereidigten Koalitionsregierung in Israel. Mit meinem neuen Amtskollegen Gabi Aschkenasi habe ich eine Vereinbarung zur weiteren Förderung der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem unterzeichnet. Dank der Mittel, die der Deutsche Bundestag dafür bereitstellt, können wir die Erinnerungsarbeit bis 2031 weiterhin mit jährlich 1 Million Euro unterstützen. Herzlichen Dank an den Deutschen Bundestag für diese wichtige Entscheidung!

Meine Damen und Herren,
der Anlass der Reise war aber natürlich vor allem die Sorge davor, dass Israel, und zwar ab dem heutigen Tag, Schritte zur Annexion von Teilen des Westjordanlandes unternehmen könnte, so wie das die Koalitionsparteien der neuen Regierung miteinander vereinbart haben. Damit stehen die Friedensvereinbarungen von Oslo auf dem Spiel und auch der berechtigte Wunsch der Palästinenser, selbstbestimmt in einem eigenen Staat zu leben. Dieser Wunsch würde in weite Ferne rücken.

Deshalb war es auch mir persönlich wichtig, die Sorge darüber, die nicht nur ich habe, sondern viele in der internationalen Staatengemeinschaft und - ich bin mir sicher - auch viele hier, von Angesicht zu Angesicht zum Ausdruck zu bringen. Denn auch das gehört zu unserer Freundschaft mit Israel: nicht zurückzuschrecken - auch vor schwierigen Themen nicht.

Es ging dabei nicht allein um die rechtliche Bewertung einer aus unserer Sicht völkerrechtswidrigen Annexion. Für uns gilt weiter die verhandelte Zweistaatenlösung. Einseitige Grenzverschiebungen lehnen wir ab, und wir werden sie auch nicht anerkennen.

Es ging, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allen Dingen auch um die weitreichenden Folgen, die ein solcher Schritt für die Sicherheit Israels und die Stabilität der gesamten Region hätte. Was würde eine Annexion für die ohnehin angespannte Sicherheitslage in den palästinensischen Gebieten bedeuten, was für die Sicherheitszusammenarbeit zwischen Israel und den Palästinensern und was für das Verhältnis zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, vor allen Dingen Jordanien, die eindringlich vor einer Annexion warnen, weil sich im Übrigen auch viele palästinensische Flüchtlinge bereits über viele Jahre in Jordanien aufhalten?

Es geht jetzt - und davon bin ich fest überzeugt - darum, Raum für Diplomatie zu schaffen, Raum, den wir nutzen wollen, ja, den wir auch nutzen wollen als Ratspräsidentschaft innerhalb der Europäischen Union, aber auch im Vorsitz des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Vor wenigen Tagen haben die gegenwärtigen und die zukünftigen europäischen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sehr deutlich ihre Bereitschaft für einen Dialog mit allen relevanten Konfliktparteien zum Ausdruck gebracht, und wir haben gegenüber beiden Parteien unsere Bereitschaft bekräftigt, sie bei der Suche nach Lösungen zu unterstützen, wenn sie denn endlich bereit wären, direkt miteinander zu reden, sei es durch die Wiederaufnahme des Nahostquartetts oder durch die Schaffung eines alternativen multilateralen Formates. Dabei ist unsere Botschaft klar, und an ihr wird sich auch nichts ändern: Frieden lässt sich nicht durch einseitige Schritte erreichen, sondern nur durch ernstzunehmende Verhandlungen.

Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, braucht es die Bereitschaft beider Seiten, auch die Bereitschaft der palästinensischen Seite. Auch darum habe ich dort geworben in Gesprächen mit dem Ministerpräsidenten der palästinensischen Behörde, Mohammed Schtajjeh, die ich im Anschluss an meinen Besuch in Jerusalem gemeinsam mit meinem jordanischen Kollegen Ayman Safadi, der in dieser Frage außerordentlich engagiert ist, geführt habe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als EU-Ratspräsidentschaft und als Vorsitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen tragen wir in dieser Frage in diesen Tagen eine ganz besondere Verantwortung, und zwar für Frieden und Stabilität in Israel und der Region, im Nahen Osten insgesamt. Und wir werden uns dieser Verantwortung stellen. Deutschland fühlt sich Israel verpflichtet; das ist ein Teil unserer historischen Verantwortung. Das gilt aber genauso für die Einhaltung der Grundsätze des Völkerrechtes. Und wenn sich daraus ein Konflikt ergeben sollte, dann müssen wir das auch aushalten. Dazu zu schweigen, ist keine Alternative.

Das werden wir auch nicht, und das müssen dann auch die aushalten, die dafür verantwortlich sind.

Herzlichen Dank.

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